Vom 26. bis 29. November 2025 findet im CityCube Berlin der DGPPN Kongress statt – Europas größter Fachkongress für psychische Gesundheit. Mit rund 550 Veranstaltungen und etwa 9.000 Teilnehmenden bietet die Veranstaltung einen umfassenden Überblick über aktuelle Entwicklungen in Forschung, Versorgung und Gesundheitspolitik. Das Leitthema lautet in diesem Jahr: Der Mensch im Mittelpunkt: regionale, personenzentrierte Versorgung
Immer mehr Menschen erleben psychische Belastungen und suchen Unterstützung durch Psychiatrie und Psychotherapie. Ihnen die Hilfe zukommen zu lassen, die sie benötigen, ist das Ziel einer modernen bedarfsorientierten Versorgung.
„Psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlungen müssen sich am Bedarf der Betroffenen ausrichten“, macht die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Prof. Dr. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, zur Eröffnung des DGPPN Kongresses deutlich. „Dafür benötigen wir einen niedrigschwelligen Zugang zum Versorgungssystem und ausreichend Ressourcen – gerade für die Versorgung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen. Im Bereich der Krankenhausversorgung werden realistische Vorgaben für Mindestpersonalgrenzen und ein echtes Personalbemessungsinstrument benötigt, zudem müssen Krankenhäuser ihre Mittel flexibel einsetzen können. Nur so wird eine individuelle und koordinierte Behandlung möglich.“
Personenzentriert, flexibel und gut koordiniert
Die DGPPN fordert seit längerem strukturelle Reformen, darunter Globalbudgets für die Krankenhäuser und eine über die Grenzen der Sozialgesetzbücher hinaus geltende populationsbezogene Versorgungsverpflichtung. Menschen mit höherem Unterstützungsbedarf müssen zudem Zugang zu einem breiten Spektrum funktioneller Leistungen erhalten – von Beratung und Frühintervention über psychotherapeutische, psychosoziale und somatische Angebote bis hin zu Case Management, Soziotherapie, aufsuchenden Teams und alltagspraktischer Unterstützung. Auf dem Kongress wird diskutiert, wie diese Hilfen sektorenübergreifend finanziert, koordiniert und regional gesteuert werden können.
Auch präventive Maßnahmen, Rehabilitation und Teilhabeförderung sind zentrale Bausteine einer modernen Versorgung. Prof. Dr. Katharina Stengler, Leiterin des DGPPN-Referats Rehabilitation und Teilhabe erläutert: „Teilhabe ist der eigentliche Maßstab einer modernen psychiatrischen Versorgung. Neben der Behandlung der Symptomatik muss es immer auch darum gehen, Menschen mit psychischen Erkrankungen in ihrem sozialen Lebenskontext zu stärken – insbesondere in Bezug auf Arbeit, Wohnen und die soziale Gemeinschaft. Teilhabe ist kein ‚Luxus‘, sondern Teil des Genesungsprozesses.“
Prävention von Gewalttaten
Psychische Erkrankungen verursachen erhebliches Leid – bei Betroffenen und Angehörigen. In seltenen, aber besonders tragischen Fällen wirken sich unzureichend behandelte Erkrankungen sogar direkt auf die Öffentlichkeit aus. Wie wichtig die Therapie psychischer Erkrankungen auch für die Sicherheit der Bevölkerung ist, wurde im laufenden Jahr vielfach diskutiert.
Dazu erklärt Prof. Dr. Ute Habel, Sprecherin des Transregio-Sonderforschungsbereichs Die Neuropsychobiologie von Aggression und Mitautorin des DGPPN-Positionspapiers Prävention von Gewalttaten: „Es ist tatsächlich so, dass für Menschen mit psychischen Erkrankungen ein statistisch erhöhtes Risiko besteht, Gewalttaten zu begehen; eindeutig gesichert ist es für Schizophrenien und andere Psychosen, Substanzkonsumstörungen und schwere Persönlichkeitsstörungen. Die überwiegende Mehrheit der Menschen, die an diesen Erkrankungen leiden, ist nicht gewalttätig. Aber das Risiko ist statistisch erhöht. Es steigt, wenn Drogen und Alkohol konsumiert werden und es sinkt, wenn die Erkrankung adäquat behandelt wird. Das heißt: Wir können eingreifen und mit einer konsequenten Therapie das Risko für aggressives Verhalten und Gewalttaten verringern.“
Die DGPPN hat der Politik konkrete Empfehlungen zur Gewaltprävention vorgelegt. DGPPN-Präsidentin Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank führt aus: „Eine Verschärfung der entsprechenden Gesetze ist aus der Sicht unserer Fachgesellschaft nicht nötig. Vielmehr sollte die Politik die Voraussetzungen für eine flächendeckende niedrigschwellige und bedarfsadaptierte ambulante Versorgung schaffen. Denn die beste Maßnahme der Gewaltprävention ist und bleibt eine konsequente Therapie psychischer Erkrankungen.“
Versorgung mit neuen Medikamenten
Auch im Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen sind Anpassungen des Versorgungssystems nötig: Die erfreuliche Zulassung der neuen Antikörpertherapien gegen Alzheimer stellt die Psychiatrie vor organisatorische Herausforderungen.
Prof. Dr. Frank Jessen, Mitglied im Vorstand der DGPPN und Experte für neurodegenerative Erkrankungen, führt aus: „Mit Hilfe der neuen Medikamente kann die Phase, in der eine Alzheimer-Erkrankung nur mit einer leichten kognitiven Störung einhergeht, relevant verlängert werden.“ Diese neuen Entwicklungen verlangen nach einer Anpassung der Versorgungspfade. Zwar erhalten erste Patientinnen und Patienten bereits die neuen Antikörper, doch zentrale Fragen – von Diagnostik über Monitoring bis zur regionalen Organisation und Finanzierung – sind weiterhin offen. Diese Themen werden auf dem Kongress ausführlich erörtert.
Ausgezeichnet
Auf dem DGPPN Kongress werden zudem herausragende Leistungen auf dem Gebiet der psychischen Gesundheit mit den DGPPN-Preisen ausgezeichnet. Auch die Wilhelm-Griesinger-Medaille der DGPPN wird in diesem Jahr verliehen. Für besondere Verdienste rund um die Psychiatrie und Psychotherapie erhält sie Dr. Maria Rave-Schwank. Die 1935 geborene Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie war Mitglied der Psychiatrie-Enquete und hat die Versorgung und das Selbstverständnis der Psychiatrie in Deutschland entscheidend mitgeprägt. Als sie 1979 die Leitung des Philippshospitals Riedstadt übernahm, war sie die einzige Frau, die einer psychiatrischen Klinik in Deutschland vorstand. Maria Rave-Schwank hat die Ziele der Psychiatrie-Enquete in der Versorgung etabliert, die Gemeindepsychiatrie entscheidend mitentwickelt und zudem die Weiterbildung der psychiatrischen Pflegekräfte professionalisiert. Für ihre Verdienste wird sie von der DGPPN mit der Wilhelm-Griesinger-Medaille ausgezeichnet.
Der DGPPN Kongress läuft noch bis Samstag, den 29. November im CityCube Berlin. Insgesamt etwa 550 Veranstaltungen – darunter Diskussionsforen, Lectures, State-of-the-Art-Symposien und Workshops – decken das gesamte Spektrum psychiatrischer Themen ab, von ADHS bis Zwangsstörungen, vom Absetzen von Medikamenten bis zur Vermeidung von Zwangsmaßnahmen.
Die zentralen Veranstaltungen des DGPPN Kongresses werden auch per Livestream übertragen und stehen im Anschluss an den Kongress als On-Demand-Angebot bereit.