Eine Gesellschaft mit Tradition: Historische Entwicklung der DGPPN

Die Entwicklung der Psychiatrie als eigenständige Wissenschaft und selbständiges Fachgebiet ist in Deutschland eng mit der Geschichte der Fachgesellschaft und der psychiatrischen Fachzeitschriften verknüpft.

Die Bezeichnung Psychiatrie geht auf den Mediziner Johann Christian Reil (1759 bis 1813) aus Halle zurück. Die ersten dokumentierten Bemühungen um eine Organisation der Psychiater in Deutschland finden sich 1827 in einer Denkschrift von Joseph Ennemoser (Bonn) und Wilhelm Ruer (Marburg), die zur Gründung eines Vereins zur Verbesserung der praktischen Seelenheilkunde aufriefen. Diese Initiative blieb zunächst – u. a. durch die noch geringe Vertretung der Psychiatrie an den Medizinischen Fakultäten (der erste Lehrstuhl für Psychiatrie wurde 1811 in Leipzig errichtet) – erfolglos.

Psychiater schließen sich zusammen
Das "Pro Memoria an Deutschlands Irrenärzte" (1841) von Heinrich Damerow, Professor der Medizin und Direktor der Irrenanstalt zu Halle, kann als "Gründungsurkunde" der heutigen DGPPN angesehen werden. 1842 gilt als das eigentliche Gründungsjahr der Fachgesellschaft. 1844 erschien die erste Ausgabe der "Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medizin" unter der Redaktion von Heinrich Damerow (Halle), Carl Friedrich Flemming (Schwerin) und Christian Friedrich Wilhelm Roller (Achern), deren Herausgeber und Mitarbeiter sich als Mitglieder einer noch unverfassten "Gesellschaft von Deutschlands Irrenärzten" verstanden.


Psychiatrie – Politik – Wissenschaft:
175 Jahre psychiatrische Fachgesellschaften in Deutschland

Die Geschichte der DGPPN und ihrer Vorgängerorganisationen

Vor 175 Jahren beginnt die Geschichte der heutigen Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Sie spiegelt in ihrem Verlauf die Höhen und Tiefen, Fort- und Rückschritte, Irrungen und Wirrungen der deutschen Geschichte – und gibt heute doch viel Anlass zu Hoffnung.

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1846 bildete sich bei der Versammlung der 1822 gegründeten „Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte“ in Kiel erstmals eine psychiatrische Sektion, 1860 fand die erste selbständige Tagung der Psychiater in Eisenach statt. Ihre ersten Statuten erhielt die Gesellschaft 1864 und nannte sich seitdem „Verein der Deutschen Irrenärzte", dessen erster Präsident Carl Friedrich Flemming (Schwerin) war. 1903 erhielt die Gesellschaft den Namen „Deutscher Verein für Psychiatrie (DVP)".

Bis zum ersten Weltkrieg verzeichnete der DVP 550 Mitglieder. Auf Initiative von Emil Kraepelin (München), der der Gesellschaft von 1906 bis 1920 vorstand, wurde 1917 eine Forschungsanstalt für Psychiatrie in München eingerichtet. Die erste ordentliche Jahresversammlung nach Ende des ersten Weltkrieges fand 1920 in Hamburg statt, wo Karl Bonhoeffer (Berlin) zum Vorsitzenden gewählt wurde und es durch Wiederwahl mit Unterbrechungen bis 1934 blieb.

Zeit des Nationalsozialismus 

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erfolgte die organisatorische Vereinigung und „Gleichschaltung“ des DVP mit der „Gesellschaft Deutscher Nervenärzte“ zur „Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater“ (GDNP), deren Vorsitz Ernst Rüdin (München) bis 1945 innehatte. In diese Zeit fällt das dunkelste Kapitel der deutschen Psychiatrie: Die als „jüdisch“ oder „sozialistisch“ deklarierten Psychiater verloren ihre Arbeitsgrundlage und wurden in die Emigration getrieben. Die überwiegende Mehrheit derjenigen, die in Deutschland blieben, wurde in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Psychiater (darunter Ernst Rüdin) waren maßgeblich an der Zwangsterilisierung von mehr als 360.000 vor allem psychisch kranken Menschen beteiligt. Die finanziellen Ressourcen für die Unterbringung und Behandlung von chronisch psychisch Kranken wurden drastisch reduziert. Schließlich wurden zwischen 1939 und 1945 wiederum unter maßgeblicher Beteiligung von Psychiatern – darunter Ordinarien und Anstaltsdirektoren – im Deutschen Reich und den besetzten Gebieten etwa 300.000 psychisch Kranke und Behinderte als "lebensunwertes Leben" klassifiziert und Opfer der systematischen Krankentötungen („Euthanasie“).

Neuordnung nach 1945

In der Periode des Wiederaufbaus nach 1945 fehlte es an Nachwuchskräften. Im September 1947 lud Ernst Kretschmer (Tübingen) zur Neurologen- und Psychiater-Tagung nach Tübingen, ein Jahr später folgte die „Jahresversammlung Deutscher Neurologen und Psychiater“ in Marburg. Die GDNP wurde wiedergegründet und Kretschmer zum Notvorstand bestellt. 1949 wurde die Gesellschaft entsprechend ihrer neuen Statuten in 4 Sektionen aufgeteilt: Psychiatrie, Neurologie, Psychotherapie mit Medizinischer Psychologie und Neurochirurgie. 1954 wurde auf der 70. Wanderversammlung Südwestdeutscher Neurologen die „Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie“ (DGPN) als Nachfolgeorganisation des DVP gegründet. Ein Jahr später erfolgte die Umbenennung in „Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde“.

In der ehemaligen DDR löste sich die aus der „Sektion Psychiatrie“ der dortigen „Gesellschaft für Neurologie und Psychiatrie“ 1990 kurz vor der Wiedervereinigung hervorgegangene „Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde in der DDR“ 1991 wieder auf. Die Vorstandsmitglieder wurden von der DGPN kooptiert. 1992 wurde die DGPN in „Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde“ (DGPPN) umbenannt. Im Jahr 2012 wurde das Fach Psychosomatik in den Gesellschaftsnamen impliziert und heißt nun „Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde“ (DGPPN).

Die DGPPN stellt sich ihrer Vergangenheit

Im Jahr 2009 bekannte sich die DGPPN im Rahmen einer Satzungsänderung zu ihrer besonderen Verantwortung, die ihr aus der Beteiligung ihrer Vorläuferorganisationen an den Verbrechen des Nationalsozialismus, an massenhaften Krankenmorden und Zwangssterilisierungen erwuchs. Im Jahr 2010 initiierte sie ein Forschungsprojekt zur „Geschichte des Deutschen Vereins für Psychiatrie, bzw. der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater in der Zeit des Nationalsozialismus". 

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