Um das Risiko für Gewalttaten durch Menschen mit psychischen Erkrankungen zu senken, sind keine neuen gesetzlichen Regelungen nötig. Die wissenschaftliche Fachgesellschaft DGPPN fordert vielmehr den Ausbau der ambulanten psychiatrischen Versorgungsstrukturen, der Eingliederungshilfe und der Sozialpsychiatrischen Dienste sowie die konsequente Nutzung bestehender rechtlicher Möglichkeiten.
Prof. Dr. Ute Habel
Die Mitautorin des DGPPN-Positionspapiers Prävention von Gewalttaten Ute Habel lehrt und forscht als Professorin für neuropsychologische Geschlechterforschung an der RWTH Aachen und arbeitet als leitende Psychologin an der dortigen Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Sie ist Sprecherin des Transregio-Sonderforschungsbereichs Die Neuropsychobiologie von Aggression: Ein transdiagnostischer Ansatz.
Ute Habel steht Ihnen im Rahmen der Eröffnungspressekonferenz am 26.11.2025 um 12:00 Uhr für Fragen zur Verfügung.
Prof. Dr. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank
Die DGPPN-Präsidentin ist Ärztliche Direktorin des psychiatrischen Fachkrankenhauses LVR-Klinik Köln und Fachliche Direktorin Forschung des LVR-Instituts für Forschung und Bildung. Sie leitet dort die Sparte Versorgungsforschung.
Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank steht Ihnen im Rahmen der Eröffnungspressekonferenz am 26.11.2025 um 12:00 Uhr für Fragen zur Verfügung.
Prof. Dr. Joachim Nitschke
Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie leitet das Bezirkskrankenhaus Straubing, eine Einrichtung des Maßregelvollzugs des Bezirks Niederbayern. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf der empirisch fundierten Rückfallprävention und der Entwicklung wirksamer Behandlungs- und Nachsorgekonzepte.
Joachim Nitschke steht Ihnen im Anschluss an die Eröffnungspressekonferenz am 26.11.2025 für Fragen zur Verfügung.
Zum Kongressbeginn werden hier Zitate aller Expertinnen und Experten freigeschaltet.
„Die überwiegende Mehrheit der Menschen, die an psychischen Erkrankungen leiden, ist nicht gewalttätig. Gewalttaten haben in der Regel keinen einzelnen Auslöser; sie sind multifaktoriell bedingt. Das Risiko, dass ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung gewalttätig wird, ist fast immer das Resultat aus der Interaktion bestimmter Symptome der Erkrankung mit weiteren Belastungs- und Risikofaktoren für Aggression und Gewalttätigkeit, wie zum Beispiel junges Alter, männliches Geschlecht, Konsum von Drogen oder Alkohol, eine Sozialisation mit Vernachlässigung und Gewalterfahrungen, soziale Isolation oder auch Armut oder Wohnungslosigkeit.
Bei bestimmten psychischen Erkrankungen besteht ein statistisch erhöhtes Risiko, Gewalttaten zu begehen. Am besten belegt ist dies für Schizophrenien und andere Psychosen, Substanzkonsumstörungen und schwere Persönlichkeitsstörungen. Das Risiko steigt, wenn zusätzlich Drogen und Alkohol konsumiert werden und es sinkt, wenn die Erkrankung adäquat behandelt wird. Das heißt: Wir können eingreifen. Das beste Mittel der Gewaltprävention ist die konsequente Therapie psychischer Erkrankungen.“
„Das beste Mittel, um Gewalttaten durch Menschen mit psychischen Erkrankungen vorzubeugen, ist deren fachgerechte Behandlung. Dafür brauchen wir flächendeckend niedrigschwellige, ambulante Behandlungsangebote, die sich flexibel am Bedarf der Betroffenen orientieren.
Leider werden insbesondere schwer erkrankte Personen durch die ambulante Regelversorgung häufig nicht erreicht. Dies trifft auch für Patientinnen und Patienten zu, die die in der Vergangenheit durch Aggressivität und Gewaltbereitschaft aufgefallen sind. Deshalb müssen Möglichkeiten geschaffen werden, den Betroffenen bedarfsadaptierte Behandlungsangebote zu machen, gegebenenfalls auch aufsuchend in ihrem Wohnumfeld. Unterstützung muss dort angeboten werden, wo sie benötigt wird und die Menschen erreicht.
Bewährt haben sich dafür unter anderem multiprofessionelle mobile Behandlungsteams, so genannte Assertive Community Treatment Teams; wir empfehlen, sie flächendeckend einzurichten. Auch eine enge Kooperation von Behandelnden mit der Eingliederungshilfe und spezielle Angebote wie die bayerischen Präventionsstellen erhöhen die Behandlungsbereitschaft. Prinzipiell gilt: Wenn ein Vertrauensverhältnis hergestellt werden kann und passgenaue Behandlungs- und Unterstützungsangebote gemacht werden, ist es meist gut möglich, Patientinnen und Patienten für eine Therapie zu motivieren.
Wenn allerdings alle Maßnahmen, die Betroffenen zu einer freiwilligen Behandlung zu motivieren, scheitern und Behandlungsangebote konsequent abgelehnt werden, muss in Einzelfällen bei hohem Aggressionspotenzial auch darüber nachgedacht werden, ob die Voraussetzungen für eine unfreiwillige Behandlung im Rahmen einer Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik gegeben sind.
Zudem muss eine konsequente Therapie auch nach der Entlassung aus einer Unterbringung sichergestellt werden. Eine Möglichkeit, nach einer Unterbringung weitere Behandlungsanreize zu setzen, kann darin bestehen, eine Unterbringung unter Auflagen auszusetzen. Wird auf diese Weise beispielsweise festgelegt, dass ein Patient eine medikamentöse Behandlung erhält und keine Drogen nehmen darf, kann bei Verstoß gegen die Auflagen geprüft werden, ob er zurück in die Klinik muss. Diese Möglichkeit wird derzeit nur selten genutzt, sie kann sich aber in ausgewählten Fällen gut eignen, um eine nachhaltige Therapie zu gewährleisten.
Mit den richtigen Behandlungsangeboten und individuellen Ansprachen können glücklicherweise die meisten Patientinnen und Patienten davon überzeugt werden, eine Behandlung in Anspruch zu nehmen. Unfreiwillige Unterbringungen und Behandlungen sind nur im Einzelfall nötig und oder sinnvoll. Eine Verschärfung der entsprechenden Gesetze ist deshalb aus Sicht unserer Fachgesellschaft nicht nötig, vielmehr sollte die Politik die Voraussetzungen für eine flächendeckende, niedrigschwellige und bedarfsadaptierte Versorgung schaffen. Denn die beste Maßnahme der Gewaltprävention ist und bleibt eine konsequente Therapie psychischer Erkrankungen.“
„Die bayerischen Präventionsstellen richten sich an Menschen, die aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung ein erhöhtes Risiko aufweisen, Gewalt- oder Sexualstraftaten zu begehen. Ziel des Angebots ist es, im Anschluss an eine stationäre Unterbringung, die Lücke in der Versorgung von schwer psychisch kranken Patientinnen und Patienten mit hohem Gewaltrisiko zu schließen und so Gewalt- und Sexualstraftaten zu verhindern.
Es handelt sich um ein niederschwelliges und freiwilliges Angebot eines multiprofessionellen Teams unter Beachtung der Schweigepflicht; therapeutische und soziale Maßnahmen werden systematisch kombiniert. Neben dem ambulanten Angebot besteht die Möglichkeit einer aufsuchenden Hilfe.
Grundlage ist das international anerkannte Prinzip der Risk-Need-Responsivity, das Therapie und Hilfe individuell auf das jeweilige Risikoprofil abstimmt. Diese evidenzbasierte Vorgehensweise ermöglicht es, Defizite der Patientinnen und Patienten gezielt zu bearbeiten und Rückfälle frühzeitig zu verhindern – und so gleichzeitig die gesellschaftliche Sicherheit zu stärken. Die Wirksamkeit dieses Ansatzes ist wissenschaftlich belegt: Das Risiko der Betroffenen gewalttätig zu werden, sinkt. Zudem ist die ambulante Versorgung deutlich kosteneffizienter als eine stationäre Unterbringung. Präventionsstellen sind somit ein gutes Beispiel dafür, wie wissenschaftliche Erkenntnisse in eine wirksame, nachhaltige Praxis umgesetzt werden können.
Die Therapie und die Wiedereingliederung dieser Hochrisikogruppe auf freiwilliger Basis sowie unter Einhaltung der Schweigepflicht ist sinnvoll und effektiv – für die Erkrankten selbst und für die Gesellschaft als Ganzes. Die bayerischen Präventionsstellen können als Modell für andere Bundesländer dienen.“
Außerdem interessant: DGPPN-Hauptstadtsymposium zum Thema Prävention von Gewalttaten am 5. März 2026