23.06.2025 | Pressemitteilung

Das beste Mittel der Gewaltprävention ist Therapie

Um das Risiko für Gewalttaten durch Menschen mit psychischen Erkrankungen zu senken, empfiehlt die medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie DGPPN in einem neuen Positionspapier insbesondere den Ausbau der Versorgungsstrukturen, der Eingliederungshilfe und der Sozialpsychiatrischen Dienste. Es brauche keine neuen Regelungen, sondern die konsequente Nutzung bestehender rechtlicher Möglichkeiten.

„Die wirksamste Maßnahme der Gewaltprävention bei Menschen mit psychischen Erkrankungen ist eine fachgerechte psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung“, betont die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) Prof. Dr. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank. „Eine konsequente Therapie senkt nachweislich das Risiko für Gewalttaten. Zusätzlich sind Maßnahmen zur Förderung der sozialen Integration und Teilhabe essenziell; denn das Risiko, dass ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung gewalttätig wird, entsteht aus der Wechselwirkung von Erkrankung und weiteren Belastungs- und Risikofaktoren für Aggression und Gewalttätigkeit, wie dem Konsum von Drogen oder Alkohol, Gewalterfahrungen, sozialer Isolation, Armut und Wohnungslosigkeit.“

Um das Risiko für Gewalttaten zu senken, fordert die Fachgesellschaft in ihrem Positionspapier Prävention von Gewalttaten deshalb dezidiert den Ausbau geeigneter Behandlungsstrukturen für Menschen mit schweren psychischen Störungen. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank erläutert: „Wir brauchen flächendeckend niedrigschwellige Behandlungsmöglichkeiten, die sich flexibel am Bedarf der Betroffenen orientieren. Gerade schwer erkrankte Personen werden durch die ambulante psychiatrische Regelversorgung wie auch durch Psychotherapien häufig nicht erreicht. Deshalb müssen Möglichkeiten geschaffen werden, die Betroffenen bedarfsadaptiert zu behandeln, gegebenenfalls auch aufsuchend in ihrem Wohnumfeld. Unterstützung muss dort angeboten werden, wo sie benötigt wird und die Menschen erreicht.“

Besonders wichtig ist es, jene Betroffenen gezielt zu unterstützen, die sich bereits in der Vergangenheit aggressiv oder gewaltbereit gezeigt haben und deshalb in einer psychiatrischen Klinik untergebracht waren. Die DGPPN empfiehlt, dieser Gruppe eine zusätzliche intensive Betreuung nach dem Vorbild der bayerischen Präventionsambulanzen zu ermöglichen und dabei einen besonderen Fokus auf die Früherkennung und Prävention drohender Gewalt zu legen.

Neuere komplexe Studien belegen für Menschen mit psychischen Erkrankungen ein statistisch erhöhtes Risiko, Gewalttaten zu begehen; eindeutig gesichert ist es für Schizophrenien und andere Psychosen, Substanzkonsumstörungen (Missbrauch/Abhängigkeit von Drogen und Alkohol) und schwere Persönlichkeitsstörungen. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank führt aus: „Zunächst muss betont werden: Die überwiegende Mehrheit der Menschen, die an diesen Erkrankungen leiden, ist nicht gewalttätig. Aber das Risiko ist tatsächlich statistisch erhöht. Es steigt, wenn Drogen und Alkohol konsumiert werden und es sinkt, wenn die Erkrankung adäquat behandelt wird. Das heißt, wir können eingreifen: Das beste Mittel der Gewaltprävention ist die konsequente Therapie psychischer Erkrankungen.“

Eine besondere Herausforderung stellen daher jene Patientinnen und Patienten dar, die in der Vergangenheit durch Aggressivität und Gewaltbereitschaft aufgefallen sind, sich aber gegen eine Behandlung aussprechen. „Natürlich müssen vorrangig Maßnahmen eingesetzt werden, um die Betroffenen zu einer Behandlung zu motivieren“, macht die DGPPN-Präsidentin deutlich. „In einzelnen Fällen muss aber bei hohem Aggressionspotenzial auch darüber nachgedacht werden, wann die Voraussetzungen für eine unfreiwillige Behandlung vorliegen. Aktuell ist es so, dass eine Unterbringung wegen Selbst- oder Fremdgefährdung unmittelbar beendet wird, wenn die akute Symptomatik abgeklungen ist, auch wenn sich der Zustand noch nicht ausreichend stabilisiert hat. Damit ist mittel- und langfristig weder den Betroffenen noch der Gesellschaft geholfen.“ Die DGPPN empfiehlt deshalb, diese Praxis unbedingt zu überdenken.

Weitere Behandlungsanreize ließen sich dadurch setzen, dass man Unterbringungen unter Auflagen aussetzt. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank erläutert: „Die Aussetzung einer gerichtlich beschlossenen Unterbringung kann mit Auflagen verknüpft werden. Zum Beispiel kann festgelegt werden, dass der Patient verpflichtend eine medikamentöse Behandlung erhält und keine Drogen nimmt. Wird gegen die Auflagen verstoßen, kann geprüft werden, ob die Person zurück in die Klinik muss. Diese Möglichkeit wird aktuell sehr selten benutzt, dabei eignet sie sich gut, in ausgewählten Fällen nach einem Klinikaufenthalt die konsequente Therapie sicherzustellen.“

Die DGPPN-Präsidentin führt weiter aus: „Wir brauchen keine neuen gesetzlichen Regelungen oder Konstrukte – wir müssen die bestehenden Möglichkeiten besser anwenden. Register oder die Weitergabe von medizinischen Daten an Behörden mindern das Gewaltrisiko nicht. Im Gegenteil: Wenn die Furcht vor Stigmatisierung dazu führt, dass Betroffene nicht zum Arzt gehen oder sich erst spät behandeln lassen, erhöhen solche Maßnahmen das Risiko, dass eine Gewalttat begangen wird.“

Das Positionspapier Prävention von Gewalttaten wurde von einer speziell eingerichteten Arbeitsgruppe der DGPPN unter Einbezug renommierter Expertinnen und Experten zum Thema verfasst. In dem Papier stellt die DGPPN wissenschaftliche Daten zum Risiko von Gewalttaten durch psychisch erkrankte Menschen zusammen und macht Empfehlungen zur Prävention. Mit dem Positionspapier soll eine fundierte, praxisorientierte und ethisch reflektierte Grundlage für Diskussionen um mögliche Maßnahmen geschaffen werden. Das DGPPN-Positionspapier wird von insgesamt mehr als 20 weiteren Fach- und Klinikverbänden sowie Angehörigen- und Betroffenengruppen unterstützt.

 

Weitere Informationen

Prävention von Gewalttaten [PDF] | DGPPN-Positionspapier | Juni 2025

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