In der deutschsprachigen Psychiatrie und Psychotherapie ist ein „spiritual turn“ zu beobachten: Nachdem Fragen des Glaubens, der Religiosität und Spiritualität lange Zeit nicht im Fokus standen, findet nun zunehmend eine professionelle Auseinandersetzung statt. Die DGPPN hat deshalb eigens das Fachreferat „Religiosität und Spiritualität“ gegründet.
Die kulturelle Vielfalt in Deutschland wächst: Fast ein Fünftel der Einwohner hat heute ausländische Wurzeln, die Lebenswelten differenzieren zusehends. Die unterschiedlichen Wertvollstellungen, Weltdeutungen und religiösen Überzeugungen spielen auch in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung eine immer größere Rolle. Ohne Verständnis für diese Besonderheiten besteht die Gefahr, dass religionsspezifische Tabus und Grenzen in der Therapie unwissentlich verletzt werden. Interkulturelle Kompetenzen – gerade in Bezug auf Religion und Weltanschauung – sind deshalb in der Versorgung unverzichtbar. Das Referat „Religiosität und Spiritualität“ der DGPPN setzt sich deshalb intensiv mit dem internationalen Forschungsstand auseinander und leitet daraus Fragestellungen für Forschungsprojekte ab.
In einem 2016 unter enger Mitarbeit des Referats veröffentlichten Positionspapier gibt die DGPPN konkrete Empfehlungen zum Umgang mit der Thematik. Zentral ist, dass die Behandler im klinischen Alltag erkennen, ob der Glaube bei einer psychischen Erkrankung Teil des Krankheitsbildes ist oder sich als Ressource in die Behandlungsstrategie einbinden lässt. Die Fachgesellschaft hat insgesamt zehn Empfehlungen formuliert, die zum Beispiel die Neutralität, die professionellen Grenzen oder das Diversity Management und die Passung in der therapeutischen Beziehung betreffen.