Dank neuer medizinischer, technologischer und pharmakologischer Methoden rücken präzise und personalisierte Therapieansätze auch auf dem Gebiet von Psychiatrie und Psychotherapie in greifbare Nähe. Trotz dieser großen Chancen steht Deutschland nicht da, wo es stehen könnte: Für die Überführung von Forschungsergebnissen in die Versorgungspraxis sind besser koordinierte Förderstrukturen und eine schlankere Regulierung notwendig. Beim DGPPN-Hauptstadtsymposium am 2. Juli diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Politik, Industrie und Regulatorik gemeinsam mit Betroffenen und einem interessierten Fachpublikum über die Chancen der neuen Methoden und darüber, was nötig ist, damit Innovationen auch bei den Patientinnen und Patienten ankommen. Die Aufzeichnung der Veranstaltung steht ab sofort online zur Verfügung.
„Die Psychiatrieforschung muss biologische, psychologische und soziale Aspekte berücksichtigen – ein enorm anspruchsvolles Unterfangen. Auch hat sie einen besonders komplexen Untersuchungsgegenstand: das menschliche Gehirn. Wir sind heute in der glücklichen Lage, Methoden zu haben, die dieser Komplexität gerecht werden, und könnten so zielgerichtet therapie- und präventionsorientiert forschen. Aber die Rahmenbedingungen in Deutschland machen es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mitunter schwer.“ So skizzierte Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) den Status Quo zu Beginn des DGPPN-Hauptstadtsymposiums zum Thema „Neue Wege in der Erforschung psychischer Gesundheit“. Das Symposium wurde in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG) veranstaltet.
Die Vielfalt, Originalität und Exzellenz der aktuellen Psychiatrieforschung wurde den etwa 200 Interessierten, die vor Ort und per Livestream am Symposium teilnahmen, im ersten Teil der Veranstaltung vor Augen geführt. Prof. Dr. Georgia Koppe aus Heidelberg erläuterte, wie Künstliche Intelligenz eingesetzt werden kann, um Patientinnen und Patienten zur optimalen Therapie zu verhelfen, Prof. Dr. Andreas J. Fallgatter aus Tübingen zeigte auf, wie Neurostimulationsverfahren Psychotherapie unterstützen und verbessern können, und Prof. Dr. Gerhard Gründer aus Mannheim schilderte, wie Psychedelika Menschen Hoffnung geben, deren Depressionen bislang als nicht therapierbar galten. In jedem Vortrag wurde auch deutlich, wie Rahmenbedingungen Forschung und Translation erschweren. Prof. Dr. Klaus Lieb aus Mainz schilderte am Beispiel Long COVID, wie lange es dauert, bis neue Medikamente bei den Patientinnen und Patienten ankommen, und Prof. Dr. Steffi Riedel-Heller aus Leipzig zeigte, dass auch die vielfach gelobten digitalen Gesundheitsanwendungen längst nicht so stark genutzt werden, wie es möglich wäre.
Der zweite Teil des Hauptstadtsymposiums widmete sich daher der Frage, was nötig ist, um die Chancen, die sich dank der neuen Methoden bieten, auch zu realisieren: Welche Rahmenbedingungen braucht es, um neue therapieorientierte Forschung anzuregen und die Translation der Ergebnisse in die Versorgung zu erleichtern? Diese Aspekte haben gemeinsam mit dem DGPPN-Präsidenten Andreas Meyer-Lindenberg diskutiert: Dr. Christoph von der Goltz vom Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim, Dr. Marion Haberkamp vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Dr. David Herr, Leiter des Forschungsreferats des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), Prof. Dr. Veronika von Messling, Leiterin der Abteilung Lebenswissenschaften des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), sowie Waltraud Rinke von der Deutschen Depressionsliga. Sie zeigten in der Diskussion große Einigkeit: Grundvoraussetzung für gelungene innovative Therapieoptionen sei die gute Kooperation der verschiedenen Beteiligten.
Gemeinsam überlegte man auf dem Podium, welche Strukturen und Schnittstellen wichtig und sinnvoll sind, und diskutierte angeregt darüber, welche Anreize gegeben werden müssen, um auch zukünftig gute therapieorientierte Forschung in Deutschland durchführen zu können. Andreas Meyer-Lindenberg freute sich sehr darüber, dass sich alle anwesenden Akteure für eine verbesserte Kooperation offen zeigten. „Wenn wir jetzt an einem Strang ziehen, können wir viel ermöglichen. Wir sind heute in der Lage, dem Problem psychische Erkrankungen in seiner Ganzheit gerecht zu werden: Wir können alle Einflussfaktoren in den Blick nehmen und dieses Wissen nutzen, um präzise und für den einzelnen Menschen passende Therapien zu entwickeln. So können wir gemeinsam die Situation für Menschen mit psychischen Erkrankungen deutlich verbessern.“
Das DGPPN-Hauptstadtsymposium rückt jedes Jahr aktuelle gesundheitspolitische Themen in den Fokus. Vertreterinnen und Vertreter aus dem Fach Psychiatrie und Psychotherapie sowie aus Politik und Öffentlichkeit tragen neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zusammen und diskutieren deren Auswirkungen für die psychische Gesundheit und Versorgung der Bevölkerung.
Die Aufzeichnung des DGPPN-Hauptstadtsymposiums steht hier zur Verfügung.
Programm und Aufzeichnung des Hauptstadtsymposiums