Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen haben in Deutschland oftmals große Schwierigkeiten, auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzukommen. Die DGPPN hat deshalb heute auf ihrem großen Jahreskongress in Berlin einen neuen Teilhabekompass vorgestellt. Dieser bietet erstmals einen Überblick über die zahlreichen Angebote der beruflichen Rehabilitation. Gleichzeitig fordert die Fachgesellschaft die Gesundheits- und Sozialpolitik auf, der Bedeutung psychischer Erkrankungen stärker Rechnung zu tragen.
Psychische Erkrankungen zählen in Deutschland längst zu den Volkskrankheiten: Über 27 Prozent der Erwachsenen sind innerhalb eines Jahres betroffen. Depressionen, Angststörungen und andere psychische Leiden gehören heute zu den häufigsten Gründen für Krankschreibungen und frühzeitige Berentungen. Damit ist die Bedeutung der psychischen Gesundheit für die Gesellschaft heute so groß wie noch nie zuvor. Trotzdem ist das Versorgungs- und Rehabilitationssystem in Deutschland noch nicht so aufgestellt, wie es für die Betroffenen notwendig wäre.
„Vielerorts sind die Wartezeiten auf einen Therapieplatz viel zu lange. In der ambulanten Versorgung entspricht die Bedarfsplanung nicht dem tatsächlichen Hilfebedarf. Zudem werden die Leistungen der niedergelassenen Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie nur ungenügend vergütet. Die stationäre Versorgung steht mit der Einführung des PsychVVGs vor umfassenden Neuerungen, doch zentrale Fragen wie die der Personalausstattung an den Kliniken sind noch ungeklärt“, stellt DGPPN-Präsidentin Dr. Iris Hauth anlässlich der Eröffnung des Jahreskongresses der Fachgesellschaft fest.
Die Herausforderungen in der Versorgung setzen sich im Bereich der beruflichen Rehabilitation fort: Insbesondere Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen sind heute in Deutschland überdurchschnittlich oft von Arbeitslosigkeit betroffen. Dabei würde sich eine regelmäßige Berufstätigkeit positiv auf den Krankheitsverlauf und die Lebenszufriedenheit auswirken. „Wir haben festgestellt, dass die Angebote zur beruflichen Rehabilitation nicht ausreichend bei den Betroffenen ankommen. Das System ist ausgesprochen kompliziert und unübersichtlich. Es basiert auf unterschiedlichen Sozialgesetzbüchern und ist stark zergliedert. Vor allem an der Schnittstelle zwischen Akutbehandlung und Rehabilitation fehlen einfach umsetzbare Möglichkeiten zur Steuerung. Die Folgen: zu wenig Effektivität bei der Wiedereingliederung in die soziale Gemeinschaft“, so Dr. Iris Hauth weiter.
Hier setzt der neue Teilhabekompass der DGPPN an, der sich an alle Ärzte und Therapeuten richtet, die erwachsene Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen behandeln. Er bietet erstmals einen Überblick über regelfinanzierte Leistungsanbieter und Maßnahmen nach dem neunten Sozialgesetzbuch. Praktische Fallbeispiele erleichtern die Orientierung. Der Teilhabekompass steht als Broschüre zur Verfügung, zusätzlich wurde auf www.teilhabekompass.de ein neues Internetportal aufgebaut.
„Mit dem Teilhabekompass haben wir als wissenschaftliche Fachgesellschaft einen wichtigen Schritt gemacht. Doch damit Versorgung und Rehabilitation noch besser ineinander greifen, benötigen wir Strukturen, in denen die verschiedenen Berufsgruppen und Sektoren Hand in Hand arbeiten können. Menschen mit psychischen Erkrankungen brauchen einen niederschwelligen Zugang zur Versorgung, damit ihre Beschwerden rasch behandelt und nicht chronisch werden. Bei schweren Verläufen müssen wir alles daran setzen, dass sie an allen Bereichen des Lebens teilhaben können. Das wirkt sich nicht nur positiv auf ihre Lebenssituation aus, sondern entlastet auch die Sozialversicherungen. Hier ist die Politik gefordert, welche die psychische Gesundheit zu einem übergreifenden Schwerpunktthema machen muss“, fordert Dr. Iris Hauth.
Neue Ansätze in der Versorgung und Teilhabe von psychisch erkrankten Menschen stehen im Fokus des DGPPN Kongresses 2016. In den nächsten vier Tagen werden sich über 9000 Ärzte, Wissenschaftler und Therapeuten im CityCube Berlin zu diesem und vielen weiteren Themen austauschen.