Nach geltenden Regelungen kann die Psychotherapie nur als Videobehandlung durchgeführt werden, wenn bereits ein persönlicher Erstkontakt zur Eingangsdiagnostik, Indikationsstellung und Aufklärung stattgefunden hat. Außerdem sind psychotherapeutische Leistungen wie die Akutbehandlung in der Krise oder die Gruppentherapie via Video* nicht erlaubt. Die Anzahl der Behandlungsfälle, die ausschließlich per Videosprechstunde behandelt werden dürfen, ist gesetzlich auf 20 Prozent beschränkt. Außerdem dürfen maximal 20 Prozent** einer berechneten Gebührenordnungsposition je Vertragsarzt/-psychotherapeut und Quartal als Videosprechstunde abgerechnet werden [1].
Während der Coronakrise haben Sonderregelungen diese Beschränkungen zur Videobehandlung aufgehoben. In Ausnahmefällen kann eine Psychotherapie derzeit ohne unmittelbaren persönlichen Kontakt als Videosprechstunde begonnen werden und auch die 20 Prozent-Regeln sind ausgesetzt. Die Aussetzung der Begrenzungsregeln für Videobehandlung gilt aber zunächst nur bis 30. Juni 2021 [1].
Aktuelle Befragungen der Leistungserbringer kommen zu dem Ergebnis, dass aufgrund der pandemiebedingten Regelungen fast alle Psychotherapeuten die Videobehandlung erstmalig einsetzten. Die überwiegende Mehrheit will die Videobehandlung auch in Zukunft weiter nutzen, allerdings nicht mehr ganz so häufig wie zum Zeitpunkt der Pandemie [2–3].
Fragestellung
Welche Evidenz gibt es zur Integration der Videobehandlung im Rahmen der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen?
Die Psychotherapie per Videokonferenz konnte bereits in einer Vielzahl von therapeutischen Formaten und bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen wirksam eingesetzt werden. Insbesondere in der Behandlung von Erwachsenen mit Traumafolgestörungen, Depressionen oder Angsterkrankungen ist der Videoeinsatz bei (kognitiver) Verhaltenstherapie höchst evident [4–6].
Das klinische Ergebnis von Psychotherapie im Videoformat weist im Allgemeinen keine Unterschiede zu dem in der Präsenz-Psychotherapie auf [4–9]. Eine aktuelle Meta-Analyse über 57 empirischen Studien zeigt, dass Videobehandlung durchgängig weitgehend gleichwertige Behandlungseffekte im Vergleich mit persönlich durchgeführten Interventionen hat [8].
Ebenso ist die Zufriedenheit der Patienten mit der Videobehandlung vergleichbar mit der klassischen Psychotherapie von Angesicht zu Angesicht [10]. Die Leistungserbringer schätzen die Möglichkeit, die Kontinuität von Behandlungen per Video aufrechtzuerhalten, wenn Patienten zum Beispiel aufgrund ihres Berufs nicht immer am Wohnort tätig sind, oder in Ausnahmefällen die Versorgung auch bei akuten körperlichen Erkrankungen oder Krisen sicherzustellen [2].
Die therapeutische Beziehung ist ein wesentlicher Faktor für eine erfolgreiche Psychotherapie [11]. Entgegen häufiger Meinung gibt es sichere Evidenz dafür, dass die therapeutische Beziehung auch über den Weg der Videobehandlung hergestellt und erhalten werden kann. Es gibt zwar Studien, die aufzeigen, dass die therapeutische Beziehung im herkömmlichen Setting stabiler ist. Das Therapieergebnis war davon jedoch nicht negativ beeinflusst [12–14].
Bezüglich der psychologischen und psychiatrischen Diagnostik via Videokonferenz gibt es erste empirische Hinweise darauf, dass es hier ebenfalls keine Unterschiede zwischen deren Ergebnissen und den Ergebnissen aus persönlicher Begutachtung gibt [8, 15–16]. Allerdings ist die Studienlage noch vergleichsweise gering [8, 15–16]. Nützliche nonverbale Informationen zur Bestimmung des emotionalen Zustands des Patienten und des Risikoverhaltens könnten im Videoformat fehlen. Zum Beispiel können olfaktorisch-sensorische Informationen (z. B. Hygiene, Alkoholkonsum) sowie Körperhaltung, Mimik, und Körpersprache klinisch relevant sein. Kamerawinkel, Bildschirmgröße, Raumeigenschaften oder andere technische Faktoren könnten die Beobachtung einschränken [2, 15]. Gleichzeitig bietet die Videokonferenz-basierte Diagnostik das Potenzial für ergänzende, standardisierte Methoden, die zur Qualitätssicherung des psychodiagnostischen Prozesses beitragen können.
Empfehlung
In der Regel sollte in der Anfangsphase der Behandlung mindestens ein persönlicher Kontakt erfolgen. Darüber hinaus sollten Videobehandlungen von psychischen Erkrankungen, individuell mit Präsenzbehandlung kombiniert, ohne Mengenbegrenzung und ohne zwingende Anforderung eines persönlichen Kontakts möglich sein. Ob eine Videobehandlung indiziert ist, muss je nach Einzelfall entschieden werden.
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