17.09.2019 | Stellungnahme

BMG-Dialog: Handlungsbedarf zur Selbstbestimmung und Partizipation

Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht: Jeder Mensch hat das Recht, über seine Lebensführung und damit auch über Maßnahmen, die seine Gesundheit betreffen, selbst zu bestimmen. Die selbstbestimmte Entscheidung des Patienten ist dementsprechend eine Grundvoraussetzung für eine gute medizinische Behandlung.

Hintergrund
In Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik stellen sich tiefgreifende Fragen, denn psychische Erkrankungen können in Einzelfällen die Selbstbestimmungsfähigkeit des Patienten einschränken. Dabei gilt grundsätzlich: Allein aus dem Vorliegen einer psychischen Erkrankung folgt nicht, dass ein Patient nicht selbstbestimmt entscheiden kann und darf. Bei einem kleinen Teil psychisch schwer erkrankter Patienten kann diese Fähigkeit jedoch zeitweilig oder langfristig eingeschränkt bzw. aufgehoben sein. In einem solchen Falle bedarf es einer erweiterten ethischen Orientierung für gutes ärztliches Handeln.

In folgenden Bereichen sieht die DGPPN einen spezifischen Handlungsbedarf: 

Öffentlich-rechtliche Unterbringung 
Bei selbst- oder fremdgefährdendem Verhalten soll eine Einweisung gegen den Willen des Betroffenen in eine psychiatrische Klinik nur erfolgen, wenn die Einwilligungsfähigkeit mutmaßlich aufgehoben oder die Entscheidungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist und eine Behandlungsoption besteht. Ausnahmen können für kurze Zeiträume einer erforderlichen Diagnostik und fachlichen Einschätzung gelten. Ein Missbrauch des psychiatrischen Hilfesystems mittels Zwangseinweisungen für reine Ordnungsaufgaben ohne Vorliegen der zuvor genannten Voraussetzungen soll vermieden werden.
Die öffentlich-rechtliche Unterbringung fällt zwar in den Kompetenzbereich der Länder, der Bund ist aber verpflichtet für bundesweit einheitliche Lebensverhältnisse Sorge zu tragen. Deshalb sollte die extreme Heterogenität der entsprechenden Ländergesetze durch ein Bundesgesetz vermindert werden, in dem die wichtigsten Regelungen festgehalten werden, welche die Landesgesetzgeber obligatorisch umzusetzen haben. Dies gilt insbesondere für Regelungsbereiche, welche die Freiheits- und Teilhaberechte von Menschen mit psychischen Erkrankungen betreffen. 

Zwangsreduzierung
Die aktuelle S3-Leitlinie „Verhinderung von Zwang“, welche die DGPPN federführend erstellt hat, macht eine Reihe von Empfehlungen, welche zur Reduzierung von Unterbringungen und Zwangsmaßnahmen beitragen können.

  • Eine quantitativ und qualitativ ausreichende Personalausstattung ist unverzichtbar für die Vermeidung von Gewalt und Zwang und soll gesetzlich sichergestellt werden.
  • Eine geeignete und qualitativ hochwertige Architektur kann die Häufigkeit von Zwangsmaßnahmen und vermutlich auch aggressiven Vorfällen reduzieren. Eine Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte bei der Planung und beim Betrieb psychiatrischer Einrichtungen soll erfolgen.
  • Die Behandlung in psychiatrische Einrichtungen und Stationen soll so gestaltet werden, dass die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der psychisch erkrankten Menschen möglichst gering ist. Durchgängig oder zeitweise offene Türen können dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.
  • Die Erfassung von Daten zu Zwangsmaßnahmen und vertrauensvolle Qualitätszirkel mit den Vertretern der Einrichtungen, mit dem Zweck Zwangsmaßnahmen zu reduzieren und dies auf Grund der regelmäßig erhobenen Daten zu überprüfen (sogenanntes Benchmarking) kann Zwangsmaßnahmen wirksam reduzieren. 
     

Kontrollmöglichkeiten
Die Möglichkeiten juristischer und politischer Überprüfungen sowie Beschwerdemöglichkeiten für Patienten sind ein wesentliches Instrument zur Wahrung von Patientenrechten und sollten gestärkt werden.
 

Berichterstattung und Forschung
Alle Gesundheitseinrichtungen (Somatische und psychiatrische Krankenhäuser, Pflegeheime) werden per Gesetz verpflichtet anonymisierte Daten zu zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Unterbringungen, insbesondere Zwangsmaßnahmen und Zwangsbehandlungen an ein bundesweites Register zur melden. Die hierfür notwendige Eigenforschung sollte gesetzlich geregelt werden. Eine neu zu schaffender Sachverständigenrat zur Vermeidung von Zwang in Medizin und Pflege sammelt und analysiert diese Daten, erstellt jährlich einen Bericht und berät die Bundesregierung hinsichtlich möglicher praktischer Maßnahmen und Forschungsnotwendigkeiten zur Zwangsvermeidung. Die Finanzierung erfolgt aus Mitteln der GKV.

 

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Literatur

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