Hessen

(vom 1. August 2017, zuletzt geändert am 1. Januar 2023)

Anwendungsbereich des Gesetzes

Das Gesetz gilt für Personen, die infolge einer psychischen Störung funktionseingeschränkt, krank oder behindert sind oder bei denen Anzeichen für eine solche Funktionseinschränkung, Krankheit oder Behinderung bestehen (§ 1).

Hilfen für Patienten

In welcher Art und Weise werden Hilfen für Patienten angeboten?
Bei den Hilfen ist auf die individuelle Situation der Person besondere Rücksicht zu nehmen (§ 2). Zu den Hilfen gehören die Beratung, Begleitung, Hinführung zu ärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung, die Vermittlung von Hilfen zur Selbsthilfe und Angeboten des gemeindepsychiatrischen Versorgungssystems sowie ehrenamtliche Hilfen (§ 3). Die Hilfen sollen wohnortnah vorgehalten werden und möglichst als ambulante Maßnahmen erfolgen (§ 4).

Welche Ziele sollen durch die Hilfen erreicht werden?
Ziele sind die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erhalten oder wiederherzustellen, die Wiedereingliederung in die Gemeinschaft zu fördern, die selbstständige Lebensführung beeinträchtigende und die persönliche Freiheit einschränkende Maßnahmen entbehrlich zu machen oder zu verkürzen und die Selbstbestimmungsfähigkeit zu fördern, dazu beizutragen, dass Funktionseinschränkungen, Krankheiten und Behinderungen frühzeitig erkannt und behandelt werden, und Maßnahmen der Unterbringung und stationäre Behandlungen zu vermeiden (§ 3).

Regelungen zur Unterbringung

Welche Voraussetzungen müssen für eine Unterbringung vorliegen? Welcher Unterbringungszweck ist definiert?
Eine Unterbringung einer psychisch kranken Person ist nur zulässig, wenn und solange infolge ihrer psychischen Störung eine erhebliche Gefahr für ihr Leben oder ihre Gesundheit oder für das Leben, die Gesundheit oder andere bedeutende Rechtsgüter Anderer besteht und nicht anders abgewendet werden kann (§ 9).

Wer ist berechtigt, einen Antrag auf Unterbringung einzureichen?
Das Gesundheitsamt (§ 16).

Welche Einrichtungen sind für die Unterbringung zuständig?
Die psychiatrischen Fachkrankenhäuser oder die psychiatrischen Fachabteilungen eines Krankenhauses. Kinder und Jugendliche sind in kinder- und jugendpsychiatrischen Fachkrankenhäusern oder Fachabteilungen der Krankenhäuser unterzubringen (§ 10).

In welcher Form ist der Patient unterzubringen?
Der Patient wird so untergebracht, behandelt und betreut, dass der Unterbringungszweck mit dem geringstmöglichen Eingriff in die persönliche Freiheit und die körperliche Unversehrtheit erreicht wird (§ 18). Die untergebrachte Person unterliegt den in diesem Gesetz vorgesehenen Freiheitsbeschränkungen. Diese müssen in Hinblick auf den Zweck der Unterbringung oder zur Gewähr der Sicherheit und Ordnung in der Einrichtung erforderlich sein (§ 18). Die untergebrachte Person hat Anspruch auf eine Behandlung, die die gebotenen medizinischen und therapeutischen Maßnahmen umfasst (§ 19).

Ist eine offene Unterbringung vorgesehen?
Die Unterbringung soll so weit wie möglich in offenen und freien Formen durchgeführt werden, soweit der Zweck der Unterbringung dies zulässt und dies von der ärztlichen Leitung des psychiatrischen Krankenhauses verantwortet wird. Die psychiatrischen Krankenhäuser haben durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass sich die untergebrachten Personen der Unterbringung nicht entziehen (§ 10).

Regelungen zum Umgang mit Sicherungsmaßnahmen und unmittelbarem Zwang

Unter welchen Voraussetzungen sind Sicherungsmaßnahmen zulässig?
Bei einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der untergebrachten Person oder für das Leben, die Gesundheit oder andere bedeutende Rechtsgüter Anderer können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn und solange die Gefahr nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen abgewendet werden kann (§ 21).

Welche Sicherungsmaßnahmen sind zulässig?
Die Absonderung von anderen Patienten, die Unterbringung in einem besonders gesicherten Raum ohne gefährdende Gegenstände, der Entzug oder die Vorenthaltung von Gegenständen, der Entzug oder die Beschränkung des Aufenthalts im Freien, die Aufhebung der Bewegungsfreiheit an allen Gliedmaßen, die sonstige Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch eine mechanische Vorrichtung, die Beobachtung, auch durch technische Hilfsmittel (§ 21).

Bedürfen diese Maßnahmen einer richterlichen Anordnung oder Genehmigung?
Eine Aufhebung der Bewegungsfreiheit an allen Gliedmaßen, die voraussichtlich länger als 30 Minuten dauern wird, erfordert eine richterliche Anordnung. Dasselbe gilt für eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch eine mechanische Vorrichtung, die über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig erfolgt. Bei Gefahr im Verzug kann ein Arzt diese Maßnahmen anordnen. Es ist dann unverzüglich eine nachträgliche richterliche Genehmigung zu beantragen (§ 21).

Wie ist der Patient bei der Anwendung von Sicherungsmaßnahmen zu überwachen?
Bei einer Unterbringung in einem besonders gesicherten Raum ohne gefährdende Gegenstände sowie bei einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch eine mechanische Vorrichtung ist die Person engmaschig durch therapeutisches oder pflegerisches Personal zu überwachen. Bei der Aufhebung der Bewegungsfreiheit an allen Gliedmaßen ist stets eine Eins-zu-Eins-Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Personal zu gewährleisten. Während der Durchführung besonderer Sicherungsmaßnahmen sind eine ärztliche Mitwirkung und Überwachung zu gewährleisten (§ 21).

Wie sind diese Maßnahmen zu dokumentieren?
Im Fall einer Unterbringung in einem besonders gesicherten Raum ohne gefährdende Gegenstände, einer Aufhebung der Bewegungsfreiheit an allen Gliedmaßen sowie einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch eine mechanische Vorrichtung sind die Anordnung der Maßnahme, ihre Begründung, ihre Dauer, die Art der Betreuung und Überwachung, die Beendigung und die Nachbesprechung zu dokumentieren. Bei der Aufhebung der Bewegungsfreiheit an allen Gliedmaßen und bei der Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch eine mechanische Vorrichtung sind zusätzlich die dazu ergangenen gerichtlichen Entscheidungen und der Hinweis auf die Möglichkeit der nachträglichen gerichtlichen Überprüfung zu dokumentieren (§ 21).

Ist eine Nachbesprechung vorgeschrieben?
Im Fall einer Unterbringung in einem besonders gesicherten Raum ohne gefährdende Gegenstände, einer Aufhebung der Bewegungsfreiheit an allen Gliedmaßen sowie einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch eine mechanische Vorrichtung sind diese Maßnahmen nachzubesprechen, sobald der Zustand der untergebrachten Person es zulässt. Nach Beendigung einer Aufhebung der Bewegungsfreiheit an allen Gliedmaßen muss ein Arzt die untergebrachte Person auf die Möglichkeit der nachträglichen gerichtlichen Überprüfung ihrer Zulässigkeit hinzuweisen (§ 21).

Welche Voraussetzungen müssen für unmittelbaren Zwang vorliegen?
Unmittelbarer Zwang darf nur angewandt werden, soweit und solange dies im Hinblick auf den Zweck der Unterbringung oder des Transports oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung des psychiatrischen Krankenhauses unerlässlich ist (§ 22).

Regelungen zu Zwangsbehandlungen

Welche Voraussetzungen müssen für die Zwangsbehandlung vorliegen?

  • Einsichtsunfähigkeit und/oder Steuerungsunfähigkeit (+)
  • Einwilligungsunfähigkeit (+)
  • Ultima ratio (+)
  • Überzeugungsversuche (+)
  • Positive Kosten-Nutzen-Abwägung (+)
  • Richtervorbehalt (+)
  • (§ 20).

Ist eine Zwangsbehandlung zur Erreichung der folgenden Ziele unter Umständen erlaubt?

  • Behandlung einer interkurrenten Erkrankung (Begleiterkrankung) (+)
  • Wiederherstellung der Voraussetzungen der Selbstbestimmungsfähigkeit (+)
  • Beseitigung der Notwendigkeit der Unterbringung (-)
  • Abwehr einer Lebensgefahr oder einer gegenwärtigen erheblichen Gesundheitsgefahr (+)
  • Abwehr einer Fremdgefährdung (+)
  • Sicherstellung der Ordnung und Sicherheit (-)
  • (§ 20).

Gibt es weitere formale Durchführungsbestimmungen?
Zwangsbehandlungen sind durch einen Arzt einzuleiten und zu überwachen. Die Gründe für die Anordnung einer Zwangsbehandlung, das Vorliegen der Voraussetzungen sowie die ergriffenen Maßnahmen, einschließlich ihres Zwangscharakters, ihrer Durchsetzungsweise, der Wirkungsüberwachung, sowie der Untersuchungs- und Behandlungsverlauf sind zu dokumentieren. Die Anordnung einer Zwangsbehandlung bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts außer bei Gefahr im Verzug. (§ 20)

Sind Zwangsbehandlungen bei Gefahr im Verzug zulässig?
Ja, bei Gefahr im Verzug kann davon abgesehen werden, die Zustimmung zur Maßnahme zu erreichen und die Zwangsbehandlung anzukündigen. Bei Zwangsbehandlungen zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für das Leben oder einer schwerwiegenden Schädigung der Gesundheit der untergebrachten Person sowie bei Zwangsbehandlungen zur Wiederherstellung ihrer Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit kann von der gerichtlichen Genehmigung abgesehen werden, wenn hierdurch die Behandlung verzögert würde und erhebliche Nachteile für das Leben oder die Gesundheit der gefährdeten Person erfolgen würden. Die Genehmigung ist unverzüglich einzuholen, wenn die Behandlungsmaßnahme fortgesetzt werden muss (§ 20).

Regelungen zu sozialen Aspekten, Leben und Ordnung in der Einrichtung

Hat die untergebrachte Person ein Recht auf Besuch?
Ja, im Rahmen der allgemeinen Besuchszeiten, wenn und solange dadurch der Zweck der Unterbringung oder die Sicherheit oder Ordnung im Krankenhaus nicht gefährdet wird (§ 23).

In welchem Rahmen hat die untergebrachte Person Zugang zu Telekommunikation?
Die untergebrachte Person hat das Recht, auf eigene Kosten Telefongespräche zu führen. Dieses Recht kann eingeschränkt werden, wenn und solange der Zweck der Unterbringung oder die Sicherheit oder Ordnung in dem Krankenhaus gefährdet wird (§ 23).

Darf die untergebrachte Person Schrift- und Paketverkehr führen?
Die untergebrachte Person hat das Recht auf Schriftverkehr. Dieser darf jedoch überwacht und angehalten werden, falls Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass durch den Schriftverkehr der Zweck der Unterbringung oder die Sicherheit oder Ordnung im Krankenhaus gefährdet werden. Davon ausgenommen ist der Schriftverkehr mit Gerichten, Rechtsanwälten, Notaren, der Besuchskommission, dem Patientenfürsprecher, der unabhängigen Beschwerdestelle, Seelsorgern, Betreuern, der Betreuungsbehörde, der Fachaufsichtsbehörde, den Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, den Volksvertretungen des Bundes und der Länder sowie deren Mitgliedern, dem Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe, ggf. der konsularischen und diplomatischen Vertretung des Heimatlandes, Ärzten, in deren Behandlung sich die untergebrachte Person vor ihrer Unterbringung befunden hat, sowie den Personen und Stellen nach § 119 Abs. 4 Satz 2 Nr. 5, 6, 8 bis 12 und 14 bis 17 der Strafprozessordnung (§ 24).

Darf der untergebrachten Person Urlaub zur Belastungserprobung gestattet werden?
Die untergebrachte Person kann bis zu zwei Wochen beurlaubt werden, wenn ihr Gesundheitszustand und ihre persönlichen Verhältnisse es rechtfertigen und ein Missbrauch nicht zu befürchten ist. Die Beurlaubung kann mit Auflagen verbunden werden (§ 26).

Darf der untergebrachten Person Ausgang gewährt werden?
Ja (§ 26).

Sicherstellung von Patientenrechten

Ist ein Patientenfürsprecher, an den sich Patienten und Angehörige wenden können, vorgeschrieben?
Die Landkreise und kreisfreien Städte sollen unabhängige Beschwerdestellen einrichten. Diese prüfen neutral Anregungen und Beschwerden von Personen, für die dieses Gesetz gilt, sowie von deren Angehörigen und Vertrauenspersonen und wirken in Zusammenarbeit mit ihnen auf eine Problemlösung hin (§ 32). Mit Einverständnis der Person kann der Patientenfürsprecher nach § 7 des Hessischen Krankenhausgesetzes 2011 in einem psychiatrischen Krankenhaus mit der unabhängigen Beschwerdestelle zusammenarbeiten (§ 33).

Sind Besuchskommissionen vorgeschrieben?
Ja, das für Gesundheit zuständige Ministerium muss Besuchskommissionen einrichten. Diese sollen die psychiatrischen Krankenhäuser in den ersten zwei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes mindestens einmal pro Jahr, danach mindestens alle zwei Jahre besuchen. Die Besuche dürfen unangekündigt oder mit einer bis drei Tage vorher erfolgenden Ankündigung stattfinden. Zusammensetzung: ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. ein Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, ein Gesundheits- oder Krankenpfleger oder eine Pflegefachkraft mit Berufserfahrung im Fachgebiet Psychiatrie und Psychotherapie, ein Psychologischer Psychotherapeut, beim Besuch einer Einrichtung für Kinder- und Jugendpsychiatrie ein Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, ein Betreuungsrichter bzw. ein Familienrichter, ein Vertreter eines Sozialpsychiatrischen Dienstes, ein Vertreter der unabhängigen Beschwerdestellen, ein Vertreter aus dem Kreis der Psychiatrie-Erfahrenen und ein Vertreter aus dem Kreis der Angehörigen (§ 13).

Reporting und Monitoring

Werden Daten zur Unterbringung und zu Zwangsmaßnahmen zentral erfasst, ausgewertet und öffentlich gemacht?

  • Zentrale Datensammlung: Ja, die Krankenhäuser haben jährlich der Fachaufsichtsbehörde alle Fälle von Unterbringungen und sofortigen vorläufigen Unterbringungen sowie alle Fälle, in denen nach dem Hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (§ 32) keine Unterbringungsentscheidung erfolgt ist, zu melden. Für jeden Fall sind anonymisierte Detaildaten zu melden, u. a. zu Alter, Geschlecht, Haupt- und Nebendiagnosen der untergebrachten Personen. Außerdem müssen sie Angaben über alle Zwangsbehandlungen (medizinische Untersuchung und Behandlung sowie Ernährung, nach § 20 PsychKHG) und alle Fälle der folgenden besonderen Sicherungsmaßnahmen nach § 21 PsychKHG machen: Unterbringung in einem besonders gesicherten Raum ohne gefährdende Gegenstände, Aufhebung der Bewegungsfreiheit an allen Gliedmaßen und die sonstige Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch eine mechanische Vorrichtung (§ 14).
  • Auswertung: Die Daten dürfen zum Zweck der statistischen Auswertung zur Verbesserung der Versorgung psychisch kranker Menschen von dem für Gesundheit zuständigen Ministerium erhoben und verarbeitet werden. (§ 14)
  • Öffentliche Berichterstattung: Keine Angaben

     

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