Thüringen

(vom 5. Februar 2009, zuletzt geändert am 5. Oktober 2022)

 

Anwendungsbereich des Gesetzes

Das Gesetz gilt für psychisch kranke Menschen; das sind im Sinne des Gesetzes Personen, bei denen eine Krankheit, Behinderung oder Störung von erheblichem Ausmaß mit Krankheitswert einschließlich einer physischen oder psychischen Abhängigkeit von Rauschmitteln, Suchtmitteln oder Medikamenten vorliegt (§ 1).

Hilfen für Patienten

In welcher Art und Weise werden Hilfen für Patienten angeboten?
Die angebotenen Hilfen sind Leistungen, die über die allgemeinen Gesundheitshilfen hinaus den psychisch kranken Menschen befähigen sollen, eigenverantwortlich und selbstbestimmt zu leben (§ 3).

Welche Ziele sollen durch die Hilfen erreicht werden?
Das Ziel der vorsorgenden Hilfen besteht darin, seelische Erkrankungen oder Störungen von erheblichem Ausmaß rechtzeitig zu erkennen und die die selbstständige Lebensführung persönliche Freiheit einschränkenden Maßnahmen entbehrlich zu machen. Das Ziel der nachsorgenden Hilfen ist, nach einer stationären Behandlung die Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu erleichtern und eine erneute Unterbringung zu verhindern (§ 3).

Regelungen zur Unterbringung

Welche Voraussetzungen müssen für eine Unterbringung vorliegen? Welcher Unterbringungszweck ist definiert?
Ein psychisch kranker Mensch kann gegen oder ohne seinen Willen untergebracht werden, wenn und solange er infolge seines Leidens sein Leben, seine Gesundheit oder bedeutende Rechtsgüter anderer erheblich gefährdet und die gegenwärtige Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Der Zweck der Unterbringung besteht in der Abwendung dieser Gefahren und der Behandlung des psychisch kranken Menschen nach Maßgabe dieses Gesetzes (§ 7).

Wer ist berechtigt, einen Antrag auf Unterbringung einzureichen?
Der Sozialpsychiatrische Dienst (§ 8).

Welche Einrichtungen sind für die Unterbringung zuständig?
Psychiatrische Fachkrankenhäuser oder psychiatrische Fachabteilungen von Krankenhäusern (§ 7). Kinder und Jugendliche sollen je nach Eigenart und Schwere ihrer Krankheit nach ihrem Entwicklungsstand untergebracht und betreut werden (§ 13).

In welcher Form ist der Patient unterzubringen?
Der Patient unterliegt während der Unterbringung den in diesem Gesetz vorgesehenen Beschränkungen seiner Freiheit. Diese müssen im Hinblick auf den Zweck der Unterbringung oder zur Gewähr des geordneten Zusammenlebens in der Einrichtung erforderlich sein. Die Beschränkungen müssen in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem Zweck stehen und dürfen den Patienten nicht mehr und nicht länger als notwendig beeinträchtigen (§ 10). Die Unterbringung wird unter Berücksichtigung medizinischer, therapeutischer und sicherungsbedingter Gesichtspunkte den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich angeglichen. Der regelmäßige Aufenthalt im Freien ist zu gewährleisten. Während der Unterbringung fördert die Einrichtung die Aufrechterhaltung bestehender und die Anbahnung neuer sozialer Kontakte des Patienten, soweit sie der Wiedereingliederung dienen (§ 13). Der Patient hat Anspruch auf die notwendige Behandlung inklusive der erforderlichen Untersuchungen sowie sozialtherapeutischer, psychotherapeutischer, heilpädagogischer, beschäftigungs- und arbeitstherapeutischer Maßnahmen. Die Behandlung erfolgt nach einem Behandlungsplan, der bei der Unterbringung unverzüglich zu erstellen ist (§ 12).

Ist eine offene Unterbringung vorgesehen?
Die Unterbringung soll nach Möglichkeit in offenen und freien Formen durchgeführt werden, soweit der Zweck der Unterbringung dies zulässt (§ 13).

Regelungen zum Umgang mit Sicherungsmaßnahmen und unmittelbarem Zwang

Unter welchen Voraussetzungen sind Sicherungsmaßnahmen zulässig?
Besondere Sicherungsmaßnahmen können bei einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Patienten oder für das Leben, die Gesundheit oder andere bedeutende Rechtsgüter Dritter angeordnet werden. Es darf kein milderes Mittel zum Erreichen des Ziels zur Verfügung stehen, es muss stets das jeweils mildeste eingesetzt werden, es muss verhältnismäßig sein, der Nutzen muss die Beeinträchtigung überwiegen und die Maßnahme darf nicht über das Erforderliche hinausgehen (§ 14).

Welche Sicherungsmaßnahmen sind zulässig?
Die Beschränkung des Aufenthaltes im Freien, die Wegnahme und Vorenthaltung von Gegenständen, die Absonderung in einem besonderen Raum (Isolierung), die Absonderung von anderen Patienten, die Einschränkung oder Aufhebung der Bewegungsfreiheit (Fixierung) oder bei erhöhter Fluchtgefahr die Fesselung bei Ausführung, Vorführung oder Transport (§ 14)

Bedürfen diese Maßnahmen einer richterlichen Anordnung oder Genehmigung?
Ja, die Anordnung einer Fixierung, durch die die Bewegungsfreiheit des Patienten nicht nur kurzfristig aufgehoben wird, ist nur nach vorheriger Anordnung des Gerichts auf schriftlichen Antrag des Chefarztes oder im Fall seiner Verhinderung seines Stellvertreters zulässig (§ 14).

Wie ist der Patient bei der Anwendung von Sicherungsmaßnahmen zu überwachen?
Bei Isolierung und Fixierung ist eine angemessene und regelmäßige Überwachung durch einen Arzt zu gewährleisten und zusätzlich bei Fixierungen eine ununterbrochene Eins-zu-Eins-Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Personal sicherzustellen (§ 14).

Wie sind diese Maßnahmen zu dokumentieren?
Nach Aufhebung Maßnahme sind die anordnende Person und ihre Funktion, die Umstände, der Zeitpunkt von Beginn und Beendigung, die Wirksamkeit, besondere Vorkommnisse, die Nachbesprechung und der Hinweis auf die Möglichkeit der nachträglichen gerichtlichen Überprüfung sowie bei Isolierungen und Fixierungen die Art der Überwachung und Betreuung umfassend zu dokumentieren. Erfolgte die Anordnung einer Maßnahme bei Gefahr im Verzug, sind zusätzlich die Gründe für die Gefahr im Verzug umfassend zu dokumentieren (§ 14).

Ist eine Nachbesprechung vorgeschrieben?
Ja.

Welche Voraussetzungen müssen für unmittelbaren Zwang vorliegen?
Mitarbeiter der Einrichtung dürfen unmittelbaren Zwang zur Durchsetzung der in diesem Gesetz vorgesehenen Einschränkungen der Rechte des Patienten anwenden. Bei Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen ist unmittelbarer Zwang nur auf ärztliche Anordnung und nur dann zulässig, wenn eine Behandlung ohne Einwilligung zulässig ist. Gegenüber anderen Personen darf unmittelbarer Zwang angewendet werden, wenn sie es unternehmen, Patienten zu befreien oder wenn sie unbefugt in den Bereich der Einrichtung eindringen oder sich unbefugt darin aufhalten. Unmittelbarer Zwang hat zu unterbleiben, wenn ein dadurch zu erwartender Schaden erkennbar in einem unangemessenen Verhältnis zum angestrebten Erfolg steht. Unmittelbarer Zwang ist vor seiner Anwendung anzudrohen, außer wenn die Umstände dies nicht zulassen (§ 16).

Regelungen zu Zwangsbehandlungen

Welche Voraussetzungen müssen für die Zwangsbehandlung vorliegen?

  • Einsichtsunfähigkeit und/oder Steuerungsunfähigkeit (-)
  • Einwilligungsunfähigkeit (-)
  • Erreichbarkeit des Behandlungsziels (-)
  • Ultima ratio (-)
  • Überzeugungsversuche (-)
  • Positive Kosten-Nutzen-Abwägung (-)
  • Richtervorbehalt (-)
  • (§ 12).

Ist eine Zwangsbehandlung zur Erreichung der folgenden Ziele unter Umständen erlaubt?

  • Behandlung einer interkurrenten Erkrankung (Begleiterkrankung) (+)
  • Wiederherstellung der Voraussetzungen der Selbstbestimmungsfähigkeit (-)
  • Beseitigung der Notwendigkeit der Unterbringung (-)
  • Abwehr einer Lebensgefahr oder einer gegenwärtigen erheblichen Gesundheitsgefahr (+)
  • Abwehr einer Fremdgefährdung (+)
  • Sicherstellung der Ordnung und Sicherheit (-)
  • (§ 12).

Gibt es weitere formale Durchführungsbestimmungen?
Alle Behandlungen sowie eine Ernährung gegen den Willen des Patienten dürfen nur auf Anordnung und unter Leitung eines Arztes durchgeführt werden. Ärztliche Eingriffe und Behandlungsverfahren, welche mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind oder welche die Persönlichkeit tiefgreifend und auf Dauer schädigen könnten, sind unzulässig. Eine Ernährung gegen den Willen des Patienten ist nur zulässig, wenn dies zur Abwendung einer Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Patienten erforderlich ist. Zur Durchführung der Maßnahme ist die Einrichtung nicht verpflichtet, solange von einer freien Willensbestimmung des Patienten ausgegangen werden kann (§ 12).

Sind Zwangsbehandlungen bei Gefahr im Verzug zulässig?
Erste Hilfe muss erfolgen, wenn ärztliche Behandlung nicht rechtzeitig erreichbar ist und ein Aufschub mit Lebensgefahr verbunden wäre (§ 12).

Regelungen zu sozialen Aspekten, Leben und Ordnung in der Einrichtung

Hat die untergebrachte Person ein Recht auf Besuch?
Der untergebrachte Patient hat das Recht, im Rahmen der Besuchszeiten regelmäßig Besuche zu empfangen. Dieses Recht darf nur eingeschränkt werden, wenn der Zweck der Unterbringung, die Sicherheit oder das geordnete Zusammenleben in der Einrichtung gefährdet ist (§ 19).

In welchem Rahmen hat die untergebrachte Person Zugang zu Telekommunikation?
Es besteht das Recht auf Telekommunikation. Der untergebrachte Patient hat das Recht, im Rahmen der Hausordnung Telefongespräche zu führen. Dieses Recht darf nur eingeschränkt werden, wenn der Zweck der Unterbringung, die Sicherheit oder das geordnete Zusammenleben in der Einrichtung gefährdet ist (§ 20).

Darf die untergebrachte Person Schrift- und Paketverkehr führen?
Ein untergebrachter Patient hat das Recht, Schreiben und Pakete abzusenden sowie zu empfangen. Dasselbe gilt für Telegramme, Telefaxe und sonstige Mittel der Telekommunikation sowie für Datenträger und Zugänge zu Datennetzen. Der Postverkehr kann überwacht und angehalten werden, soweit es zur Verhinderung von Nachteilen für den Patienten, zur Sicherung des Zwecks der Unterbringung, für die Sicherheit der Einrichtung oder zur Verhinderung einer Gefährdung bedeutender Rechtsgüter Dritter erforderlich ist. Der Schriftwechsel mit Gerichten, Rechtsanwälten, Verteidigern, den gesetzlichen Vertretern oder Betreuern unterliegt keiner Einschränkung. Dies gilt auch für den Schriftwechsel mit den Volksvertretungen des Bundes und der Länder sowie deren Mitgliedern, mit den Kommunalvertretungen, den Aufsichtsbehörden, der Besuchskommission, dem Patientenfürsprecher, dem Landesbeauftragten für den Datenschutz, dem Bürgerbeauftragten, der Europäischen Kommission für Menschenrechte, dem Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe sowie bei Patienten mit ausländischer Staatsangehörigkeit für den Schriftwechsel mit der konsularischen oder diplomatischen Vertretung des Heimatlandes (§ 20).

Darf der untergebrachten Person Urlaub zur Belastungserprobung gestattet werden?
Die untergebrachte Person kann durch die ärztliche Leitung der Einrichtung für maximal zwei Wochen beurlaubt werden, wenn der Gesundheitszustand und die persönlichen Verhältnisse es rechtfertigen und kein Missbrauch des Urlaubs zu befürchten ist. Die Beurlaubung kann mit Auflagen verbunden werden. Sie kann widerrufen werden, wenn der Patient die Auflagen nicht (vollständig) erfüllt oder sich sein Gesundheitszustand wesentlich verschlechtert (§ 22).

Darf der untergebrachten Person Ausgang gewährt werden?
Ausgang kann gewährt werden, wenn der Gesundheitszustand und die persönlichen Verhältnisse es rechtfertigen und kein Missbrauch des Ausgangs zu befürchten ist. Der Ausgang kann mit Auflagen verbunden werden. Er kann widerrufen werden, wenn der Patient die Auflagen nicht (vollständig) erfüllt oder sich sein Gesundheitszustand wesentlich verschlechtert (§ 22).

Sicherstellung von Patientenrechten

Ist ein Patientenfürsprecher, an den sich Patienten und Angehörige wenden können, vorgeschrieben?
Für geschlossene Stationen und Betreuungsbereiche in psychiatrischen Fachkrankenhäusern oder psychiatrischen Fachabteilungen von Krankenhäusern ist je Einrichtung ein Patientenfürsprecher zu bestimmen. Der Patientenfürsprecher prüft Wünsche und Beschwerden der Patienten und trägt sie auf Wunsch dem Krankenhausträger und der Besuchskommission vor (§ 25).

Sind Besuchskommissionen vorgeschrieben?
Das für das Gesundheitswesen zuständige Ministerium beruft eine unabhängige Besuchskommission. Die Besuchskommission nimmt mündliche und schriftliche Anregungen, Wünsche und Beschwerden von Patienten entgegennehmen und geht diesen, soweit möglich, an Ort und Stelle nach. Der Besuchskommission gehören an: ein Vertreter des für das Gesundheitswesen zuständigen Ministeriums, ein Arzt für Psychiatrie eines psychiatrischen Fachkrankenhauses oder einer psychiatrischen Fachabteilung eines Krankenhauses, eine mit Unterbringungsangelegenheiten vertraute, zum Richteramt befähigte Person, ein Arzt für Psychiatrie des Sozialpsychiatrischen Dienstes, ein Arzt aus einer Einrichtung zur Durchführung des Maßregelvollzugs, ein Vertreter der Liga der freien Wohlfahrtspflege, ein Mitglied des Landesverbandes Thüringen der Angehörigen psychisch Kranker sowie ein Mitglied des Thüringer Landesverbandes der Psychiatrie-Erfahrenen (§ 24).

Reporting und Monitoring

Werden Daten zur Unterbringung und zu Zwangsmaßnahmen zentral erfasst, ausgewertet und öffentlich gemacht?

  • Zentrale Datensammlung: Keine Angaben
  • Auswertung: Keine Angaben
  • Öffentliche Berichterstattung: Keine Angaben

     

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