Maßregelvollzug

Wenn ein Mensch aufgrund einer psychischen Erkrankung eine Straftat begeht, aber wegen seiner Erkrankung nicht in der Lage war, das Unrecht der Tat einzusehen, kann es sein, dass ein Gericht ihn als schuldunfähig beurteilt. Dann kommt er nicht zur Bestrafung in ein Gefängnis, sondern wird als Patient im Maßregelvollzug behandelt.

Die Zustände dort sind aber nicht unbedingt heilsam. Zu viele Patienten, zu wenig Personal, unzureichende Räumlichkeiten, fehlende Therapien. Die Ergebnisse einer DGPPN-Umfrage zur Situation im deutschen Maßregelvollzug sind ernüchternd. Was kann und muss jetzt getan werden, damit der Maßregelvollzug seine Aufgabe erfüllen kann? Welche Reformen fordert die DGPPN? 

Prof. Dr. Jürgen L. Müller
Leiter des DGPPN-Referats „Forensische Psychiatrie“ und der Task-Force „Gefängnispsychiatrie“:

„Die DGPPN-Umfrage zur Situation im deutschen Maßregelvollzug hat es schwarz auf weiß gezeigt: Es gibt dringenden Handlungsbedarf. Ein Drittel der Kliniken gibt an, sie seien deutlich überbelegt. Um Raum für die Patienten zu schaffen, werden Einzelzimmer in Mehrbettzimmer umfunktioniert. Vielfach werden auch Isolations- oder Therapieräume zweckentfremdet. Damit einhergehend gibt etwa ein Drittel der Kliniken an, im ersten Halbjahr 2021 sei die Zahl der körperlichen Übergriffe durch Patienten angestiegen.

60 Prozent der angeschriebenen Kliniken beteiligten sich an der Befragung. Diese hohe Rücklaufquote ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Kliniken ein großes Interesse und Bedürfnis haben, zu einer Verbesserung der Datenlage beizutragen.

Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit zur Reformierung des Maßregelvollzugs. Aus Sicht der DGPPN und als Ableitung aus den Umfrageergebnissen sind für eine Reform folgende Forderungen an die politischen Entscheidungsträger zu stellen:

  • Die Rahmenbedingungen der Unterbringung im Maßregelvollzug der verschiedenen Bundesländer müssen angeglichen werden, insbesondere was Stationsgrößen, Therapieräume, Zimmerausstattung und -belegung sowie die Personalausstattung betrifft.
  • Damit die forensischen Kliniken ihre Aufgaben erfüllen können, bedarf es einer auskömmlichen Finanzierung.
  • Wir benötigen ein bundesweites Register zur Dokumentation von Zwangsmaßnahmen, um Zwang und Gewalt im Maßregelvollzug zu reduzieren. Das ist nur möglich, wenn Daten zu Unterbringung und Behandlung wissenschaftlich fundiert, systematisch, detailliert und transparent erfasst werden.
  • Auf Bundesebene sollte eine Expertenkommission zur Zukunft des Maßregelvollzugs eingesetzt werden.
  • Die Forschung zu forensisch-psychiatrischen Fragestellungen muss gestärkt werden, um die Versorgung auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse verbessern zu können.

Nur dann kann der gesetzliche Auftrag der Kliniken für den Maßregelvollzug dauerhaft sach- und fachgerecht erfüllt werden.

Noch besser wäre es natürlich, die Zahl der Unterbringungen insgesamt zu reduzieren. Das könnte mit einer Stärkung der Prävention und dem Wiederaufbau der Vernetzung mit der Allgemein- und Gemeindepsychiatrie erreicht werden.“

Literatur
  • Zeidler R et al (2023) Die Situation des deutschen Maßregelvollzugs – Ergebnisse einer Umfrage der DGPPN. Nervenarzt https://doi.org/10.1007/s00115-023-01564-7

 

DGPPN-Experte: Prof. Dr. Jürgen L. Müller

Der Leiter des DGPPN-Referats „Forensische Psychiatrie“ und der neu gegründeten DGPPN-Task-Force „Gefängnispsychiatrie“ vertritt die Forensische Psychiatrie im Vorstand der DGPPN. Er leitet die Asklepios Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Göttingen und hat die Schwerpunktprofessur Forensische Psychiatrie und Psychotherapie an der dortigen Universität inne.


Stand: November 2023

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