Lange dachte man, ADHS sei eine Kinderkrankheit, sie wachse sich früher oder später aus. Heute ist klar: Bei mindestens 60 Prozent der Betroffenen dauern die Symptome bis ins Erwachsenenalter an. Immer häufiger hört man auch von Personen, die erst als Erwachsene die Diagnose erhalten, darunter auch viele Prominente. Das Besondere daran: Betroffene wie Eckart von Hirschhausen, Robbie Williams oder Sarah Kuttner gehen mit ihrer Diagnose an die Öffentlichkeit. So schaffen sie ein neues Bewusstsein für die Aufmerksamkeitsstörung und ihre Symptomatik.
Prof. Dr. Andreas Reif
Mitglied im Vorstand der DGPPN:
„Eine Aufmerksamkeitsstörung ist, auch bei Erwachsenen, eine psychiatrische Erkrankung, die sich durch Konzentrationsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizite, impulsives Verhalten und Stimmungsschwankungen auszeichnet. Es ist keine Erkrankung, die man bekommt, weil man zu viele Computerspiele spielt und es ist auch keine Erkrankung der Moderne. Sie ist schon vor 300 Jahren beschrieben worden. Aber in der modernen Arbeitswelt haben Betroffene es schwerer, denn mehr Tätigkeiten sind heute durch eine hohe kognitive Last gekennzeichnet. Bei einem Schreibtischjob fällt eine ADHS eher auf als früher auf dem Bauernhof.
Auch wenn die Zahlen für eine ADHS-Diagnose bei Erwachsenen zunehmen – zu häufig wird die Erkrankung bei Erwachsenen in Deutschland nicht diagnostiziert. Wir wissen aus epidemiologischen Daten – also Studien mit diagnostischen Untersuchungen an repräsentativen Stichproben – dass in der Allgemeinbevölkerung die Häufigkeit von ADHS im Erwachsenenalter zwischen zwei und drei Prozent liegt. Davon ist aber nicht einmal jeder Hundertste diagnostiziert. Das weist darauf hin, dass wir im Bereich der Erwachsenen eine Unterdiagnostik haben, keine Überdiagnostik.
Es muss auch nicht unbedingt ein Problem sein, wenn man Symptome einer ADHS aufweist. Die Frage ist, ob es als Belastung empfunden wird und zu Schwierigkeiten im Alltag führt. Eine unbehandelte ADHS kann zum Beispiel zu Schwierigkeiten in sozialen Beziehungen führen. Wenn ich ständig impulsiv mit Sachen herausplatze und mich nicht unter Kontrolle habe, wird das irgendwann anstrengend – für mich und für meine Freunde. Impulshaftes Verhalten kann zudem weitere schädliche Verhaltensweisen mit sich bringen: Betroffene haben beispielsweise eine höhere Neigung zu Unfällen und zu Süchten. Deshalb leiden viele ADHS-Betroffene, deren Erkrankung nicht behandelt wird, an weiteren psychischen Störungen. Aktuelle Studien geben zum Beispiel Hinweise darauf, dass bis zu 50 Prozent aller Erwachsenen mit ADHS die Kriterien einer Depression erfüllen.
Menschen, die merken, dass sie immer wieder wegen ihrer Symptomatik anecken oder in Schwierigkeiten geraten, sollten eine Psychiaterin oder einen Psychologen aufsuchen, der auf dem Gebiet Erfahrung hat und erst einmal eine diagnostische Abklärung machen lassen. Glücklicherweise lassen sich die Symptome einer ADHS heute gut behandeln.“
DGPPN-Experte: Prof. Dr. Andreas Reif
Er ist Mitglied des Vorstands der DGPPN und leitet die Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main. Sein klinisches Interesse gilt insbesondere den affektiven Erkrankungen und der adulten ADHS.
Stand: November 2023
Mehr erfahren