08.07.2020 | Stellungnahme

Corona-Pandemie: Ökonomische Auswirkungen auf die psychiatrische Versorgungslandschaft

Die Maßnahmen zur Eindämmung der SARS-CoV-2-Pandemie haben weitreichende ökonomische Auswirkungen auf die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgungslandschaft. Zum einen haben die bereits erfolgten Maßnahmen zu einem erheblichen personellen und sachbezogenen Mehraufwand in den Kliniken, Institutsambulanzen und Praxen geführt. Zum anderen werden dort durch die Restriktionen auch noch in absehbarer Zeit wesentliche Einnahmen fehlen. Refinanzierungen und Investitionen sind notwendig, um in Deutschland auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen gewährleisten zu können.

Die Maßnahmen zur Eindämmung der SARS-CoV-2-Pandemie haben weitreichende ökonomische Auswirkungen auf die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgungslandschaft. Zum einen haben die bereits erfolgten Maßnahmen zu einem erheblichen personellen und sachbezogenen Mehraufwand in den Kliniken, Institutsambulanzen und Praxen geführt. Zum anderen werden dort durch die Restriktionen auch noch in absehbarer Zeit wesentliche Einnahmen fehlen. Refinanzierungen und Investitionen sind notwendig, um in Deutschland auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen gewährleisten zu können.

Zusammenfassung

  • Trotz der reduzierten Belegung liegt der Personalbedarf der Krankenhäuser aufgrund der Pandemie aktuell mindestens auf dem gleichen Niveau wie vor der Krise. Die personellen und sachbezogenen Erfordernisse in der Zeit nach der akuten Krisenphase werden durch das PEPP-Budgetsystem nicht adäquat abgebildet. Auch die neue Richtlinie zur Personalbemessung (PPP-RL) wurde nicht für eine derartige Situation entworfen und gibt daher keine hilfreiche Orientierung.
  • Damit die veränderten Rahmenbedingungen der Krankenhäuser und die Mehraufwände zur Eindämmung des Infektionsrisikos nicht zu Lasten des therapeutischen Angebots gehen, muss die Refinanzierung des zusätzlichen Aufwands auch nach dem 30.09.2020 in adäquater Weise sichergestellt werden.
  • Erkenntnisse aus der Krise sollen künftig bei der Planung und Förderung von Neubauten berücksichtigt werden, um den Patienten ein möglichst sicheres und genesungsförderndes Behandlungsumfeld bieten zu können.
  • Digitale Angebote können das Behandlungsangebot ergänzen und helfen gleichzeitig dabei, die Maßnahmen des Infektionsschutzes einzuhalten. Um digitale Angebote verstärkt entwickeln und flächendeckend umsetzen zu können, sind Investitionen in Hard- und Software, sowie Personal zur Entwicklung sinnvoller Angebote notwendig. Die Kosten müssen durch die zuständigen Kostenträger übernommen werden.
  • Vertragsärztliche Praxen und Psychiatrische Institutsambulanzen versorgen ihre Patienten sicher und verlässlich unter Einsatz von flexiblen Video- und Telefonkontakten. Damit diese auch weiterhin niedrigschwellig und qualitativ hochwertig erbracht werden können, müssen sie ausreichend vergütet werden.

Handlungsbedarf in der stationären Versorgung

Seit Anfang Mai werden im Krankenhausbereich die Kapazitäten für elektive Behandlungsfälle langsam wieder auf- und die Restriktionen abgebaut. Dennoch ist der Krankenhausbetrieb weit entfernt von der Normalität der Prä-Corona-Zeit und eine komplette Normalisierung wird voraussichtlich über einen Zeitraum von vielen Monaten bis zu Jahr(en) nicht möglich sein.

Tiefgreifende Umstrukturierungen

Neben der somatischen ist auch die psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung der Bevölkerung unter dem anhaltenden Einfluss der Corona-Pandemie weiterhin eine wichtige Aufgabe des deutschen Gesundheitssystems. Krankenhäuser, Institutsambulanzen und vertragsärztliche Praxen haben sich inzwischen intensiv mit den Voraussetzungen zur Gewährleistung des Infektionsschutzes für Patienten und Mitarbeiter auseinandergesetzt und bemühen sich, diese im Behandlungsalltag angemessen zu berücksichtigen. Das Ergebnis sind tiefgreifende Prozessmodifikationen und die Reduktionen der Belegung, weshalb auf absehbare Zeit ein Klinik- und Therapiebetrieb wie vor der SARS-CoV-2-Pandemie unvorstellbar ist.

Dies führt zu wesentlichen Einschränkungen im Diagnostik- und Therapieangebot, was auch weitreichende ökonomische Auswirkungen hat. Den Krankenhäusern werden aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen in absehbarer Zeit wesentliche Einnahmen fehlen, die nicht (vollständig) durch Ausgleichszahlungen kompensiert werden, denn die Restriktionen des Infektionsschutzes werden auch weit über den Zeitraum der Gültigkeit des aktuellen „Rettungsschirms“ hinaus wirksam bleiben.

Weiterhin hoher Personalbedarf

Obwohl es den Krankenhäusern zwischenzeitlich wieder erlaubt ist, den regulären Behandlungsbetrieb aufzunehmen, führen die notwendigen Maßnahmen zur Gewährleistung des Infektionsschutzes dazu, dass Behandlungskapazitäten weiterhin freigehalten werden müssen und sich trotz reduzierter Belegung ein weiterhin hoher Personalbedarf ergibt:

  • Krankenhäusern wurde empfohlen, soweit möglich Screening- oder Aufnahmebereiche bzw. -stationen zu implementieren, um vor der stationären Aufnahme eine Risikoeinstufung der Patienten vornehmen zu können. Der Aufbau solcher Einheiten, eventuell sogar in Verbindung mit zusätzlichen Isolierungsbereichen für COVID-Fälle bzw. Verdachtsfälle, ist mit einem hohen personellen Aufwand verbunden. Das dort eingesetzte Personal kann zur Minimierung der Übertragungswege zudem nur noch eingeschränkt am regulären Dienst-/Rotationsbetrieb der Klinik teilnehmen.
  • Aufgrund der großen Nachfrage mussten die Krankenhäuser bereits vor der SARS-CoV-2-Pandemie Wartelisten führen und die Unterbringung der Patienten teilweise unter relativ engen räumlichen Bedingungen in Mehrbett-Zimmern realisieren. Dies ist in der aktuellen Zeit zur Einhaltung des Infektionsschutzes und der Abstandsgebote auf den Stationen nicht möglich, woraus eine Reduktion der Belegung resultiert. In der aktuellen Zeit müssen Patienten zudem (teilweise) in einem Einzelzimmer isoliert werden, was ebenfalls – je nach bau-licher Voraussetzung der Klinik – zu einer temporär reduzierten Auslastung der Bettenkapazitäten beiträgt.
  • Stationen mit überwiegendem Anteil von Patienten mit höherem Risiko für schwere COVID-19-Krankheitsverläufe, z. B. in der Gerontopsychiatrie, müssen unter den veränderten Rahmenbedingungen grundsätzlich mit eingeschränkter Kapazität betrieben werden, um den hohen Betreuungsaufwand und die Sicherheit der Patienten, sowie die Einhaltung des Infektionsschutzes personell bewältigen zu können.
  • Sofern Krankenhäuser bzw. Abteilungen eigene Isolationsbereiche betreiben, können entsprechende Behandlungsplätze nicht frei belegt werden, sondern müssen für isolationspflichtige Patienten freigehalten werden. Trotz überwiegend niedriger Belegung bedarf der Betrieb eines solchen Bereichs jedoch einer besonderen fachlichen Expertise und personellen Besetzung. Wie auch bei den Screening- oder Aufnahmestationen kann das dort beschäftigte Personal i.d.R. nicht mehr länger am regulären Dienst-/Rotationsbetrieb der Klinik teilnehmen.
  • Um dem Infektionsschutz auch im therapeutischen Bereich der Krankenhäuser Rechnung zu tragen, müssen die in der stationären, multimodalen psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung wichtigen Gruppentherapien in Abhängigkeit von den räumlichen Verhältnissen vor Ort mit verkleinerter Personenanzahl abgehalten werden. Damit dennoch alle Patienten ein ausreichendes, genesungsförderndes Therapieangebot erhalten können, muss die Personalausstattung der Krankenhäuser kurzfristig angepasst werden.
  • Zu einem stationären Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik gehören ganz wesentlich auch – abhängig von Krankheit und Behandlungsdauer – Belastungserprobungen im häuslichen Umfeld und (begleitete) Ausgänge im Gelände. Diese sind unter den gegebenen Umständen zeit- und personalintensiv. Vor Verlassen des stationären Umfelds sind die Patienten umfassend über die Verhaltensregeln aufzuklären. Um das Infektionsrisiko für die Patienten und Mitarbeiter bei diesen exponierten Tätigkeiten minimieren zu können, müssen die therapeutisch notwendigen Maßnahmen engmaschig durch Labortests und das Bereitstellen umfassender Schutzmaterialen (einfacher MNS) flankiert werden. Perspektivisch werden auch Antikörpertests zur Abklärung des Immunstatus von Patienten und Mitarbeitern einen immer höheren Stellenwert einnehmen.

Finanzierung sicherstellen

Die bisherigen Ansätze des kurzfristig implementierten „Rettungsschirms“ sind richtig gewesen. Die Bemühungen des Gesetzgebers haben es den Krankenhäusern ermöglicht auch in dieser schwierigen Zeit ihre Patienten bestmöglich zu versorgen. Auch für die Zeit nach dem 30.09.2020 müssen nun aber Regelungen gefunden werden, welche die veränderten Rahmenbedingungen der Krankenhäuser adäquat berücksichtigen und die Mehraufwände zur Eindämmung des Infektionsrisikos ausgleichen. Ebenso müssen die Erkenntnisse der Krise künftig bei der Planung und Förderung von Neubauten Berücksichtigung finden, um den Patienten ein möglichst sicheres und genesungsförderndes Behandlungsumfeld bieten zu können. Eine Schlüsselrolle könnte digitalen Angeboten zukommen, welche das Behandlungsangebot sinnvoll ergänzen und dabei helfen können, die Maßnahmen des Infektionsschutzes einzuhalten. Der flächendeckende Einsatz von digitalen Angeboten bedarf umfangreicher Investitionen, welche durch die zuständigen Kostenträger refinanziert werden müssen.

Handlungsbedarf in der ambulanten Versorgung

Die ambulante fachärztliche Behandlung ist besonders geeignet, Kontakte zu minimieren, denn die dezentrale Versorgung macht eine individuelle Behandlung von Patienten unter Einhaltung der Hygienebestimmungen möglich. Dabei muss auch bei der Behandlung in einer Facharztpraxis oder Institutsambulanz darauf geachtet werden, dass Patientenkontakte bei Infektionsgefahr in Dauer und Frequenz minimiert werden. Durch Video- und Telefonkontakte kann die Behandlung auch unter Pandemie- und Quarantänebedingungen sicher und verlässlich gewährleistet werden. Damit diese niedrigschwellig und qualitativ hochwertig erbracht werden können, müssen sie ausreichend vergütet werden. Neben der Videokommunikation kommt dabei insbesondere der Telefonie eine wichtige Rolle zu, da sie flexibler einsetzbar ist und gerade bei chronisch erkrankten Menschen, welchen oftmals die nötige Videotechnik fehlt, die einzige Kontaktmöglichkeit darstellt. Die Begrenzung der Telefonkontakte auf das 2. Quartal 2020 durch die KBV ist deshalb ein fatales Signal.

Folgende Maßnahmen sind notwendig:

  • Gesprächskontakte mit in der Praxis bekannten Patienten soll solange die Pandemiegefahr besteht telefonisch ermöglicht werden. Die Vergütung dieser Gespräche muss analog den direkten Patientenkontakten in der Praxis vergütet werden, denn der Organisations- und Dokumentationsaufwand bleibt gleich.
  • Videokontakte müssen gefördert und ausreichend vergütet werden.
  • Sektorenübergreifende Behandlung muss erleichtert werden, um bei Pandemiegefahr für die Patienten handlungsfähig zu sein. Dafür ist die Entwicklung eines entsprechenden Vergütungssystems erforderlich.

 

Downloads

Ökonomische Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie auf die psychiatrische Versorgungslandschaft [PDF, 236 KB]

Orientierungshilfen zur psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung in der postakuten Phase der SARS-CoV-2-Pandemie [PDF, 360 KB]

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