26.10.2020 | Stellungnahme

Zum Entwurf des Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen

Aus der Perspektive der DGPPN enthält der Referentenentwurf zum Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) wichtige rechtliche Weiterentwicklungen, aber auch kritische Punkte, noch nicht geregelte Sachverhalte und mögliche Gefahren. Die Intention des Entwurfs, die fachlichen Anregungen aufzugreifen und die Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen zu stärken sowie die Familie als Gesamtsystem zu berücksichtigen, wird begrüßt. In der Umsetzung sind jedoch Nachjustierungen notwendig.

Für die DGPPN ist eine Perspektive zentral, die die Familie als Ganzes in den Blick nimmt, und sich dafür einsetzt, dass Familien, die von psychischen Erkrankungen betroffen sind, bedarfsgerechte und individuell passgenaue Hilfen erhalten. Diese Hilfen sollten auf die Bedarfe sowohl der Eltern mit psychischen Erkrankungen als auch der Kinder, die ein höheres Erkrankungsrisiko haben oder selbst erkrankt sind, abgestimmt sein, und – je nach Bedarf – psychiatrische/psychotherapeutische, der Jugendhilfe und weitere Unterstützungsleistungen enthalten. Die Kooperation und integrative Vernetzung zwischen Leistungserbringern verschiedener Sozialgesetzgeber erscheint dabei von besonderer Wichtigkeit. Sie sollte entsprechend der Empfehlungen der Arbeitsgruppe Kinder psychisch und suchtkranker Eltern (AG KpkE) gestärkt und ausgebaut werden. 

Themenkomplexe

 

1. Allgemeines

Das Ziel des Referentenentwurfs, den Kinderschutz zu stärken, Kindern und Jugendlichen mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen (z. B. durch Selbstvertretung, § 4a und Ombudsstellen, § 9a) und Kinder und Eltern, ausdrücklich inklusive Geschwisterkindern, in einer für sie angemessenen Form stärker am Hilfeplanprozess zu beteiligen (§§ 8 Abs. 4, 36 Abs. 1 S. 2, 42 Abs. 2 S. 1), stärkt den Blick auf die Familie als Gesamtsystem und ist als sehr positiv zu bewerten.

Eine Stärkung des Kinderschutzes bedeutet jedoch nicht nur, bei einer möglichen Gefährdung des Kindeswohls einzugreifen, sondern auch und vor allem, schon bei der Entwicklung beginnender Gefährdungen hilfreiche und individuelle passgenaue Unterstützung und Beratungsangebote inklusive therapeutischer Maßnahmen zu etablieren. Diese sollten entsprechend der 19 Empfehlungen der AG KpkE die Bedarfe der Familie im Blick haben und SGB-übergreifende Leistungen einschließen können. Bei dem hier vorliegenden Referentenentwurf besteht die Gefahr, dass das Thema Kinderschutz im Sinne von amtlichem Eingreifen am Ende einer längeren Gefährdungsentwicklung zu stark betont wird – auf Kosten von früher ansetzenden unterstützenden ambulanten Erziehungshilfemaßnahmen. Für niedrigschwellige Unterstützungsmaßnahmen und die potenziell präventiv wirksamen Maßnahmen der Sozialraumgestaltung sieht der Referentenentwurf ebenfalls eine Stärkung vor. Diese ist an sich ebenfalls zu begrüßen, sollte aber auf keinen Fall auf Kosten der individuellen ambulanten Maßnahmen gehen.

Insgesamt betont der vorliegende Referentenentwurf die Sicht, dass Eltern eine Gefahr für ihre Kinder darstellen können. Dies ist auch und gerade für eine Gelingen der Elternschaft von Eltern mit psychischen Erkrankungen eine ungünstige Sichtweise.

2. Stärkung der Position der Kinder und Jugendlichen

Im vorliegenden Referentenentwurf ist der elternunabhängige (d. h., ohne dass die Personensorgeberechtigten davon wissen) Beratungsanspruch für Kinder und Jugendliche bedingungslos ausformuliert, d. h. nicht mehr wie bisher an das Vorliegen einer Not- und Konfliktlage gekoppelt. Dies entspricht den Empfehlungen der AG KpkE und stellt einen wichtigen Fortschritt dar. Um diesen Anspruch auch sinnvoll umsetzen zu können, wird erforderlich sein, ausreichend niedrigschwellig zugängliche Beratungsmöglichkeiten vorzuhalten bzw. auszubauen.

3. Unterstützung und Beratung für (auch z. B. psychisch erkrankte) Eltern

3.1. Alltagsunterstützung (§ 28 a)

Der Referentenentwurf greift die Anregung der AG KpkE einer Alltagsunterstützung auf, was als sehr positiv zu bewerten ist. Anspruchsvoraussetzung ist das Ausfallen eines Elternteils aus gesundheitlichen oder anderen zwingenden Gründen, was wahrscheinlich bei ärztlich attestierten schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen greifen wird. Ob eine solche Alltagsunterstützung auch durch die Eltern selbst ausgelöst werden könnte, ist unklar. Aus Sicht der DGPPN wäre es wichtig, dass die Alltagsunterstützung nicht erst bei vollständigem „Ausfallen“ eines Elternteils zur Verfügung steht, sondern auch schon vorher gewährt werden kann (z. B. schon bei einer „Beeinträchtigung“), um in einer besonderen Belastungssituation präventiv gerade ein vollständiges Ausfallen zu vermeiden. Hierzu ist wünschenswert, dass die Leistung flexibel, kurzfristig und auch für kurze Zeiträume, z. B. stundenweise oder über Nacht, in Anspruch genommen werden kann.

Die im vorliegenden Referentenentwurf verankerte Alltagsunterstützung eignet sich jedoch nicht zur dauerhaften Unterstützung für Eltern von Kindern mit Behinderungen, die oft chronisch an der Belastungsgrenze oder darüber sind und in der Folge selbst psychische Störungen entwickeln können. Hier ist eine Lücke im Entwurf. Die Möglichkeit einer Dauerentlastung auch für solche Konstellationen wäre wünschenswert.

Wichtig bleibt auch zu bemerken, dass diese Art der Alltagsunterstützung die anderen erzieherischen Hilfen nach § 27 nicht ersetzen, sondern höchstens ergänzen kann und daher nicht konkurrierend mit diesen aufgefasst werden sollte.

3.2. Einsatz von Pat*innen:

Alltagsunterstützung bei Ausfallen eines Elternteils kann nach dem vorliegenden Entwurf auch durch ehrenamtliche Pat*innen geleistet werden (§ 28 a). Dies erscheint sinnvoll. In Patenschaftsprojekten für Kinder psychisch erkrankter Eltern gibt es mit der Tätigkeit ehrenamtlicher Helfer sehr gute Erfahrungen, wobei die Voraussetzung ist, dass die ehrenamtlichen Helfer fachlich gut eingebunden sind und z. B. professionell supervisiert und angeleitet werden. Insofern sind Patenschaftsprojekte nicht unbedingt zum Kostensparen geeignet.

3.3. Unterstützung und Beratungsangebote bei Fremdunterbringung

Die Einführung eines ausdrücklichen, eigenen Beratungs- und Unterstützungsanspruchs der Eltern (§ 37) und Pflegeeltern (§ 37a) ist als sehr positiv zu bewerten. Dies stellt eine deutliche Stärkung der Rechtsposition der Eltern auch nach Fremdunterbringung ihres Kindes dar und macht deutlich, wie wichtig eine weitergehende Unterstützung der Eltern auch in dieser Phase ist, gerade auch, um eine mögliche Rückführung des Kindes im Sinne von Eltern und Kind gut vorzubereiten.

Es fehlt der wünschenswerte Hinweis darauf, dass auch nach Inobhutnahme ein weiterer Verbleib des alleinsorgenden Elternteils in den gemeinsamen Wohnformen entsprechend § 19 SGB VIII als Hilfeleistung gewährt werden kann. Auch die Möglichkeit einer stationären Unterbringung im Familiensetting sollte an dieser Stelle erwähnt werden.

Als sehr problematisch erscheint hier jedoch die im Referentenentwurf, z. B. in § 37 und 37 a, mehrfach verwendete Formulierung „innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen vertretbaren Zeitraums“. Generell ist zu begrüßen, dass die Entscheidung über die Länge eines solchen Zeitraums unter Besichtigung der Interessen des Kindes oder Jugendlichen getroffen wird, was aber auch schon nach der jetzigen Gesetzeslage selbstverständlich sein sollte. Die Formulierung erscheint an dieser Stelle problematisch, weil unklar ist, wer anhand welcher Kriterien diese Entscheidung trifft und ob damit wirklich die Interessen des Kindes bzw. Jugendlichen und seiner Eltern ausreichend vertreten sind. Was Eltern mit psychischen Erkrankungen anbetrifft, so kann diese Formulierung Handlungsweisen bahnen, die von den Eltern als massiver Zeitdruck wahrgenommen werden und eine konstruktive Entwicklung von Veränderungen in Richtung Rückführung eher erschweren als erleichtern. Es ist zu befürchten, dass hierdurch eine Haltung, die Eltern als schwierig und gefährlich für ihre Kinder erlebt, befördert und elterlichen Entwicklungsbemühungen gerade im Kontext psychischer Erkrankung nicht genügend Zeit und Raum gegeben wird. Hierdurch würde diese ohnehin schon massiv belastete Elterngruppe weiter benachteiligt.

3.4. Gruppenangebote

Die Erbringung von HzE-Leistungen als Gruppenangebote ist ebenfalls grundsätzlich zu begrüßen (§27 Abs. 3 S. 3), dies ermöglicht z. B. Schulassistenzen für mehrere Schüler. Hier sind eine Einbeziehung der Eltern und eine Abstimmung mit anderen etwaig bestehenden Hilfen aus unserer Sicht wichtig für ein Gelingen der Maßnahmen.

Die Gruppenangebote sollten nicht anstelle ambulanter individueller Hilfen (bzw. auf deren Kosten) stattfinden, sondern diese je nach Bedarf sinnvoll ergänzen.

3.5. Niederschwellige Angebote der Familienförderung

Niederschwellige Angebote der Familienförderung sind ebenfalls zu begrüßen, wobei die Formulierung von § 16 Abs. 1 Satz 2, in der als Ziel genannt wird, den „Erwerb von Fähigkeiten und Kenntnissen“ zu unterstützen, aus unserer Sicht besonders für Eltern mit psychischen Erkrankungen zu kurz greift. Hier reicht der Erwerb von Fähigkeiten und Kenntnissen keinesfalls aus, sondern es geht in der Regel um die Begleitung langfristiger Entwicklungsprozesse, in der therapeutische und pädagogische Unterstützungsleistungen ineinandergreifen müssen und die beispielsweise durch die in den AG KpkE-Empfehlungen vorgeschlagenen SGB-übergreifenden Komplexleistungen abgebildet werden könnten.

3.6. Niederschwellige Angebote, Qualitätssicherungspflicht, Kombinierbarkeit

Für die niederschwelligen Angebote wird explizit eine Qualitätssicherungspflicht erwähnt (§ 80 Abs. 3), was sehr wichtig ist, damit auch niedrigschwellige Hilfen qualitativ hochwertig angeboten werden.

Insgesamt besteht die Gefahr der Verminderung ambulanter Einzelunterstützungsmaßnahmen nach § 27 zugunsten von Maßnahmen der Sozialraumorientierung und niedrigschwelliger Maßnahmen wie Gruppenangebote und ehrenamtlichen Angeboten. Diese sind einzeln ergänzend unbedingt zu begrüßen, können aber individuelle ambulante Hilfsangebote in der Breite nicht ersetzen.

Eine Stärkung der niedrigschwelligen Angebote darf nicht damit einhergehen, dass die Nutzung der niedrigschwelligen Angebote eine Voraussetzung für individuelle Hilfen zur Erziehung ist. In diesem Fall würde ggf. wichtige Zeit zur Entwicklung sicherer Be- und Erziehungsmuster, begleitet durch individuelle ambulante Hilfsmaßnahmen, ungenutzt verstreichen und Kindeswohlgefährdungen, die im Sinne des Kinderschutzes drastischere Maßnahmen erfordern, würden wahrscheinlicher.

Die Möglichkeit, unterschiedliche Hilfearten zu kombinieren (§ 27 Abs. 2) ist ebenfalls ein positiver Aspekt des vorliegenden Referentenentwurfs. Hier ist sehr wichtig, dass sich die Hilfe weiterhin am Einzelfallbedarf orientiert und nicht ambulante Einzelhilfsmaßnahmen insgesamt heruntergefahren werden.

3.7. Maßnahmen der Sozialraumorientierung

Die erwähnten strukturellen Hilfen im Sozialraum sind begrüßenswert, sollten aber in der Umsetzung nicht mit dem Anspruch auf Einzelfallhilfen zur Erziehung konkurrieren und können diese nicht ersetzen.

Folgendes erscheint als Gefahr des vorliegenden Referentenentwurfs: Den Jugendämtern wird die Möglichkeit eröffnet, Ansprüche auf individuelle Hilfen zur Erziehung mit Verweis auf Sozialraumangebote zu verweigern oder die Inanspruchnahme niedrigschwelliger Maßnahmen zur Voraussetzung weiterer Hilfen zu machen. Dies ist aber für die betroffenen Familien nicht sachgerecht, da gerade eine frühzeitige Kombination verschiedener Hilfeformen (niedrigschwellig, Gruppenangebote, aber auch individuelle Einzelfallhilfe), die flexibel eingesetzt werden und auf sozialraumorientierte Maßnahmen und Strukturen zurückgreifen kann, die größte Chance hat, Entwicklungen zu verhindern, die in einer Kindeswohlgefährdung münden.
 

3.8. Multiproblemfamilien

Gerade für Multiproblemfamilien (z. B. mit psychisch erkrankten Eltern und Kinder sowie sozioökonomisch erschwerten Bedingungen) sind komplexe und interdisziplinär gestaltete Hilfsangebote über Jahre in wechselndem Ausmaß erforderlich. Familien mit psychisch erkrankten Eltern sind in der Regel weniger als andere Familien in der Lage, niedrigschwellige Angebote zu nutzen, die von ihnen Eigeninitiative und Interesse fordern. Oft ist es schwer, Vertrauen herzustellen und tragfähige Arbeitsbündnisse zu etablieren. Dies sollte nicht durch erschwerte Verfahrensrichtlinien für Hilfen weiter kompliziert werden.

Für Multiproblemfamilien sind SGB-übergreifende Komplexleistungen von besonderer Wichtigkeit, auf die ein Hinweis in diesem Referentenentwurf fehlt.

3.9. Stärkere Beteiligung am Hilfeplanprozess

Die Verpflichtungen zu einer wahrnehmbaren Gestaltung von Beratung und Beteiligung (§§ 8 Abs. 4, 36 Abs. 1 S. 2, 42 Abs. 2 S. 1 SGB VIII) befürwortet die DGPPN ebenso wie die ausdrückliche Erwähnung der Verwendung leichter Sprache.

Der Einbezug nicht sorgeberechtigte Eltern in den Hilfeplanprozess (§ 36 Abs. 5) ist grundsätzlich ebenfalls als sehr positiv zu bewerten, jedoch im Referentenentwurf mit Vorbehalt verankert. Der Passus „solange der Hilfeprozess nicht infrage gestellt wird“ und die Erklärung, dass die Entscheidung hierüber „im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte unter Berücksichtigung der Interessen des Kindes oder Jugendlichen sowie der Willensäußerung des Personensorgeberechtigten getroffen werden“ soll, kann in der Praxis zu einem Ausschluss insbesondere von Eltern, die in der Interaktion als schwierig erlebt werden – was nicht selten auf Eltern mit psychischen Erkrankungen zutrifft –, führen. Es fehlen Hinweise darauf, wie und mit welchen Kriterien dieser Prozess in wirklicher Multiperspektivität gut gestaltet werden kann. Damit dies auch mit Eltern mit chronischen schweren psychischen Erkrankungen gut gelingen kann, braucht es auch hier frühzeitig eine enge Abstimmung von Ärzt*innen/Therapeut*innen und Jugendhilfe in gemeinsamer Verantwortung.

Eltern, die v. a. auf ihr schädigendes Verhalten reduziert werden, werden sich unverstanden fühlen und in der Folge in der Interaktion eher als noch schwieriger erlebt werden, was ihnen schließlich noch weiter zum Nachteil gereicht. Hier ist hohe Fachlichkeit und Kooperation von Ärzten/Therapeuten und Jugendhilfe zu fordern, damit auch Eltern, die krankheitsbedingt manche Äußerungen „verzerrt“ wahrnehmen und oft ihre eigenen Wünsche und Beweggründe wenig funktional ausdrücken können, eine Chance auf Entwicklung und Rückführung ihres Kindes haben.

3.10. Einsatz von Verfahrenslotsen

Aus Sicht der DGPPN ist zu begrüßen, dass der vorliegende Referentenentwurf Schritte in Richtung inklusiver Ausrichtung des SGB VIII mit Überwindung der Zuständigkeitsspaltung zwischen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit körperlicher und geistiger Behinderung (SGB IX–2. Teil) und der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung und den erzieherischen Hilfen (SGB VIII) (§ 10) geht.

Ebenfalls positiv ist generell die Erweiterung der Zielbestimmungen der Kinder und Jugendhilfe um den Aspekt der Teilhabe (§1 Abs. 3, Nr. 2). Um diesen Übergang gut zu begleiten, sollen Verfahrenslotsen etabliert werden (§ 10 b), was ebenfalls günstig erscheint. Aus Sicht der DGPPN sind solche Verfahrenslotsen auch für andere Bereiche wünschenswert und erforderlich, so z. B. für Eltern mit psychischen Erkrankungen. Eine solche Notwendigkeit entspricht auch den Empfehlungen der AG KpkE. Hinweise darauf fehlen im vorliegenden Entwurf. 
 

4. Stellung seelischer/drohender seelischer Behinderung bei Eltern

Eine Lücke des vorgelegten Referentenentwurfs ist, dass die Zuständigkeiten für Eltern mit seelischer und geistiger Behinderung zwischen SGB VIII und SGB IX weiterhin nicht geregelt sind. Es ist nicht klar, wie sich die Leistungen zur unterstützten Elternschaft, die nach SGB IX auch für Eltern mit seelischer Behinderung gelten, zu den Jugendhilfeleistungen nach SGB VIII verhalten. Hier ist aus Sicht der Fachgesellschaft ebenfalls eine klare Regelung der Zuständigkeiten und der Schnittstellen erforderlich, da psychisch kranke Eltern eine besonders vulnerable Gruppe darstellen, sich im „Zuständigkeitsdschungel“ noch schlechter orientieren und durchsetzen können und dadurch chronisch benachteiligt werden.

5. Kooperation und Schnittstellen

Im vorliegenden Referentenentwurf sind Schnittstellen für Kooperation, wie sie auch nach den Empfehlungen der AG KpkE erforderlich sind, noch nicht ausreichend ausgestaltet. Eine zentrale Forderung der AG KpkE ist, die Kooperation zwischen Vertragsärzt*innen/-psychotherapeut*innen und der Jugendhilfe zu verbessern, gegenseitig Informationen auszutauschen und bei „Hinweisen auf Risiko- oder Belastungssituationen bei der Behandlung eines erkrankten Elternteils oder eines betroffenen Kindes“ das praktische Vorgehen besser abzustimmen (Empfehlung 5). Der vorliegende Referentenentwurf trägt dieser frühzeitigen Notwendigkeit zu Kooperation jedoch gerade nicht Rechnung, sondern stärkt die Kooperation vor allem im Zusammenhang mit vorliegenden Kindeswohlgefährdungen. Hier sollen Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen stärker eingebunden und beteiligt werden.

Aus Sicht der DGPPN ist das nicht nur deutlich zu spät, sondern droht die Intention der Empfehlungen zunichte zu machen. Sind die Eltern psychisch erkrankt, entwickeln sich Risiko- und Belastungssituationen für die betroffenen Kinder meist über längere Zeit mit zunehmender Eskalation. Gut abgestimmte Hilfs- und Unterstützungssysteme können in früheren Phasen meist besser, nachhaltiger und mit geringerem Aufwand helfen als in einer Gefährdungssituation, in der oft mit hohem Druck eingegriffen werden muss und die Kooperation der Eltern deutlich schwieriger erreicht werden kann. Es ist daher unbedingt erforderlich, eine Kooperation zwischen Gesundheitswesen und Jugendhilfe schon, wie von der AG KpkE empfohlen, frühzeitig bei Belastungssituationen zu bahnen, um eben eine eintretende Gefährdung präventiv verhindern zu können. Schon ab dieser frühen Phase sollten Ärzt*innen/Therapeut*innen und Jugendhilfe bei Bedarf parallel „im Boot“ bleiben können mit fortlaufender gegenseitiger Abstimmung der Verantwortlichkeiten, Handlungsimpulsen und Gefährdungseinschätzungen. Ein Hinweis, dass Eltern einbezogen oder über die Informationen, die vom Gesundheitswesen (Ärzt*in/Hebamme o. ä.) an die Jugendhilfe weitergegeben werden, in Kenntnis gesetzt werden sollten, fehlt an dieser Stelle im Referentenentwurf, ist aber wichtig, um eine vertrauensvolle Kooperation mit den Eltern zu erleichtern.

Eine Gefährdungseinschätzung ist dann am besten, wenn sie viele unterschiedliche Perspektiven berücksichtigen und abwägen kann, inklusive der Perspektive der betroffenen Familie und des Kindes. Eine sich entwickelnde Kindeswohlgefährdung kann am besten abgewendet werden, wenn professionelle Helfer der unterschiedlichen SGB-Säulen kooperativ mit der Familie und miteinander arbeiten können. Hier erscheint die isolierte Betonung der ärztlichen Position im Referentenentwurf dem Dienst des Kooperationsgedankens insgesamt wenig dienlich.

SGB-übergreifende Komplexleistungen werden im vorliegenden Referentenentwurf leider nicht erwähnt. Dies ist eine deutliche Schwachstelle, sind diese Leistungen doch ein wichtiges Instrument, den Empfehlungen der AG KpkE entsprechend „Familie als Ganzes“ interdisziplinär in den Blick zu nehmen. Komplexleistungen als Kombination unterschiedlicher systemübergreifender Hilfen der Jugendhilfe, des Gesundheitswesens und der Eingliederungshilfe könnten z. B. in § 27 zumindest mit einem Hinweis verankert werden. 
 

6. Kinderschutz

Kinderschutz ist eine wichtige Aufgabe u. a. der Kinder und Jugendhilfe und spielt auch in diesem Referentenentwurf eine zentrale Rolle, was grundsätzlich positiv ist. In der Ausgestaltung der Regelungen scheint jedoch weniger die Idee, durch frühzeitige passgenaue Unterstützung und Hilfe Kindeswohlgefährdungen abzuwenden, handlungsleitend zu sein, sondern es wird eher ein strukturelles Eingreifen bei schon eingetretenen Gefährdungssituation propagiert – also „nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist“. Dies erscheint als Leitidee sehr gefährlich und ist nicht hilfreich, mit Familien, in denen Eltern z. B. psychisch erkrankt sind, tragfähige Kooperationen mit Helfersystemen und darüber schließlich nachhaltige Lösung zu erarbeiten.

Die vorrangige Fokussierung auf den Kinderschutz ohne gleichzeitig die früh beginnenden Unterstützungs-, Hilfs-, therapeutischen und Vernetzungsangebote zu verbessern, stärkt in der Umsetzung weder die Rechte der betroffenen Kinder noch ihrer Eltern.

Die Verpflichtung zur Übersendung vollständiger Hilfepläne an das Familiengericht (§ 50 SGB VIII-E) wird in diesem Zusammenhang als sehr kritisch eingeschätzt: Von psychischer Erkrankung betroffene Eltern haben oft Vorbehalte gegenüber dem Jugendamt und befürchten, stigmatisiert zu werden oder Nachteile zu erleiden. Die Kooperation zwischen Gesundheitswesen und Jugendhilfe ist im Sinne einer komplexen und nachhaltigen Unterstützung für die Familie eminent wichtig, zugleich erfordert ihre Anbahnung in Bezug auf die Familie viel Sensibilität und Fingerspitzengefühl, um auch eine gute Kooperationsbasis mit den Eltern zu etablieren. Eine Verpflichtung zur Übersendung vollständiger Hilfepläne an das Familiengericht würde das Misstrauen der Eltern bezüglich einer Kontaktaufnahme mit dem Jugendamt verstärken und ihre Kooperationsbereitschaft gefährden. Somit gefährdet die Formulierung dieses Paragrafen möglicherweise die Gesamtintention des Entwurfs.

Die Kooperation im Kinderschutz sollte weit vor der „Gefährdungsschwelle“ beginnen und kooperativ die Experten der verschiedenen SGB-Systeme einbeziehen. Die gegenwärtig vorliegende Fassung des § 8a ist in dieser Form dazu nicht hilfreich.

Fort- und Weiterbildungen auch im Hinblick auf ein gemeinsames Fallverständnis sind sowohl innerhalb der Jugendhilfe (z. B. bezüglich psychischer Erkrankung bei Eltern und Kindern), als auch im Bereich des Gesundheitswesens (z. B. bezüglich Kinderschutz) erforderlich.

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