16.03.2016 | positionspapier

Verhaltenssüchte und ihre Folgen: Prävention, Diagnostik und Therapie

Problematische Verhaltensweisen werden zunehmend mit dem Suchtbegriff in Verbindung gebracht. In Übereinstimmung mit aktuellen Forschungsergebnissen spricht sich die DGPPN dafür aus, pathologisches Glücksspiel und pathologischen Computer- und Internetgebrauch als „Verhaltenssüchte“ zu bewerten. Daher ist die verstärkte fachliche Beschäftigung mit den Verhaltenssüchten bzw. ihrer Klassifikation, Diagnostik und Behandlung auf der Basis öffentlicher Förderung unabdingbar. Die Politik ist gefordert, Aufklärungsmaßnahmen flächendeckend einzuführen, Angebote für Betroffene zu schaffen sowie verstärkt in die Entwicklung von Präventionsmaßnahmen zu investieren.

Zusammenfassung

Traditionell wird der Begriff der „Sucht“ mit der Abhängigkeit von psychotropen Substanzen wie Alkohol und anderen Drogen in Verbindung gebracht. Jedoch wird er zunehmend häufiger auch auf eine Reihe problematischer Verhaltensweisen wie z. B. pathologisches Glücksspiel, Internetabhängigkeit, Computerspielsucht, exzessives Kaufen, exzessives Essverhalten und zwanghafte sexuelle Aktivitäten angewandt. Die Forschung der letzten Jahre hat tatsächlich Befunde geliefert, pathologisches Glücksspiel und exzessiven Computer- und Internetgebrauch (insbesondere als Internet-Gaming-Disorder) als Suchterkrankungen zu behandeln. Die DGPPN spricht sich in Übereinstimmung mit dem neuen amerikanischen Klassifikationssystem DSM-5 daher dafür aus, pathologisches Glücksspiel als „Verhaltenssucht“ in das Kapitel der Suchterkrankungen aufzunehmen. Gleiches wird auch für pathologischen Computer- und Internetgebrauch (Internet-Gaming Disorder) empfohlen. Bei einzelnen Patienten kann das Suchtmodell auch bei pathologischem Kaufen, exzessivem Sexualverhalten und Adipositas therapeutisch genutzt werden, wobei insbesondere die Grenzen des Suchtmodells beachtet werden müssen (Heinz 2014). In jedem Fall ist die verstärkte fachliche Beschäftigung mit den Verhaltenssüchten bzw. ihrer Klassifikation, Diagnostik und Behandlung auf der Basis öffentlicher Förderung unabdingbar. Die Politik ist gefordert, Aufklärungsmaßnahmen flächendeckend einzuführen, Angebote für Betroffene zu schaffen sowie verstärkt in die Entwicklung von Präventionsmaßnahmen zu investieren.

Fakten und Forderungen auf einen Blick

Fakten

Immer mehr Menschen betreiben in exzessivem Maße bestimmte Verhaltensweisen wie Glücksspiele oder Computer- oder Internetnutzung.

Diese sogenannte „nicht-stoffgebundene Sucht“ oder „Verhaltenssucht“ äußert sich in zwanghafter Wiederholung von bestimmten Verhaltensweisen. Betroffene verspüren dann den starken Drang, dem jeweiligen Reiz zu folgen, er dominiert ihre Gedanken und ihre Handlungs- und Entscheidungsfreiheit ist stark eingeschränkt. Letztlich haben sie nicht die Freiheit, diesem imperativen Bedürfnis zu widerstehen.

Die exzessive Ausübung der jeweiligen Tätigkeiten aktiviert dieselben Belohnungszentren im Gehirn (siehe unten) und führt zu einer ähnlichen Symptomatik wie bei substanzbezogenen Störungen (z. B. Alkohol-, Tabak- und Drogensucht), d. h. Wiederholungszwang, Kontrollverlust, Toleranzentwicklung und (in schwächerem Umfang) Entzugserscheinungen.

Ähnlich wie andere Süchte nehmen Verhaltenssüchte so viel Raum in Anspruch, dass sie mit den Erfordernissen des sozialen und beruflichen Lebens kollidieren. In der Folge entstehen Probleme im sozialen Umfeld und am Arbeitsplatz, es kann zu sozialem Rückzug, psychischen Störungen und im Extremfall zu Suizidgefährdung oder zu Verwahrlosung kommen.
 

Das Abhängigkeitspotenzial, die Gesundheitsrisiken, die schwerwiegenden sozialen und beruflichen Folgen von Verhaltenssüchten stehen denen von substanzbezogenen Süchten in nichts nach. Glücksspielsucht beispielsweise ist mit massiven Verschuldungen, einem deutlich erhöhten Suizidrisiko, Beschaffungskriminalität bzw. dem drohenden Abgleiten in die soziale Isolierung verbunden. Sie ist damit unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten eine der teuersten psychischen Störungen. Pathologisches Kaufen, exzessives Sexualverhalten und einzelne Aspekte von Adipositas können in Einzelfällen Suchtcharakter annehmen, allerdings reichen die Forschungsbefunde nicht für eine Eingruppierung in die Verhaltenssüchte aus.

DSM-5 hat aufgrund der neuen Befunde eine Reklassifikation des „pathologischen Spielens“ in die Kategorie „Substance Use and Behavioral Disorders“ vorgenommen. Des Weiteren wird die Computerspielabhängigkeit (Internet Gaming Disorder) als Forschungsdiagnose im Anhang des DSM-5 aufgeführt (Petry et al. 2014a u. 2014b, Petry & O'Brien 2013). Die Positionierung der WHO für die ICD-11 ist für 2018 vorgesehen.

Forderungen der DGPPN

Bezüglich der Verhaltenssüchte begrüßt die DGPPN den Paradigmenwechsel in den internationalen Klassifikationssystemen für psychische Störungen, da so die Grundlage für weiterführende Forschung und damit für effektive Behandlung und Prävention gelegt wird. Zugleich wendet sich die DGPPN gegen einen inflationär ausgeweiteten Suchtbegriff: Von Sucht soll nur gesprochen werden, wenn die diagnostischen Kriterien erfüllt sind und ein Leidensdruck besteht. Die Störung sollte zudem deutliche Ähnlichkeiten zu anderen Suchterkrankungen im Hinblick auf neurobiologische Grundlagen und wirksame Behandlungsansätze aufweisen. Im Fokus stehen sollten adäquate Angebote für Betroffene sowie Präventionsmaßnahmen. 

Angebote für Betroffene schaffen
Das Suchtmodell bietet gute Ansatzpunkte für eine effiziente und nachhaltige Prävention und Therapie auch von Verhaltenssüchten, wozu die Entwicklung von verhaltens- und verhältnispräventiven Maßnahmen und die Nutzung von kognitiv-verhaltenstherapeutischen Verfahren gehören. Analog zum Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV), der eine flächendeckende, qualifizierte Beratungs- und Behandlungsstruktur schuf und mit einem bemerkenswerten Innovationsschub in Forschung und Praxis einherging, ist die verstärkte fachliche Beschäftigung mit weiteren Verhaltenssüchten bzw. ihrer Klassifikation, Diagnostik und Behandlung auf der Basis öffentlicher Förderung gefordert.

Präventionsmaßnahmen gezielt entwickeln und umsetzen
Das Glücksspiel gehört zu den ältesten Freizeitvergnügen des Menschen und wird von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung in unproblematischer Weise ausgeübt. Die Anzahl der problematischen oder abhängigen Glücksspieler hängt stark von der Angebotsstruktur und von der Effizienz der Kontrollmechanismen ab. Hier gibt es gute Erfahrungen mit verhältnispräventiven Maßnahmen (z. B. spiel- und anwenderübergreifende Sperr- und Selbstlimitierungssysteme, Durchsetzung des Verbots für Internetpoker u. a.). 

Neue Medien als Arbeitsmittel, Informationsquelle und Freizeitbeschäftigung sind aus der heutigen Informationsgesellschaft nicht mehr wegzudenken. Ziel von Präventionsmaßnahmen muss es sein, einen reflektierten und kompetenten Gebrauch in Schul- und Ausbildungsstätten zu fördern. Dazu ist es zunächst wichtig, umfassend aufzuklären und praktische Tipps für einen gesunden Umgang mit den neuen Medien zu entwickeln und zu verbreiten. Gleiches gilt für die Aufklärung bezüglich neuer Verhaltenssüchte, die bei exzessiver Ausübung abhängig machen und schädigenden Einfluss haben können.

Pathologisierung vorbeugen
Nicht jede Leidenschaft bedeutet Abhängigkeit. Kernkriterien der Diagnostik sollten deshalb neben dem subjektiven Leidensdruck, den Verlust eigener Handlungsmöglichkeiten und die Verengung der Verhaltensvielfalt auf die suchtbezogenen Tätigkeiten trotz schädlicher Folgen umfassen. Eine Pathologisierung individueller Verhaltensweisen auf Grund ihrer sozialen „Unerwünschtheit“ muss vermieden werden. Zum einen müssen neue Störungsbilder deshalb auf der Basis wissenschaftlicher Evidenz geprüft und so einer inflationären Ausweitung des Suchtbegriffs begegnet werden. Zum anderen muss sich eine Gesellschaft immer wieder kritisch mit den eigenen Konventionen auseinandersetzen, die festlegen, ob ein bestimmtes Verhalten als normal oder krankhaft bewertet wird (Heinz 2005 und 2014).

Hintergrund und Diskussion

Grenzen des Suchtbegriffs

Das englische Wort für Sucht „addiction“ entstammt dem lateinischen Wort „addictus“, was ursprünglich “sklavisch ergeben“ bedeutete. Die „Unfreiheit des Willens“ als zentrales Merkmal der Sucht spiegelt sich auch in den diagnostischen Kriterien der ICD-10 wieder: Als Kernelement wird der Kontrollverlust angesehen. Der Betroffene hat Schwierigkeiten, die Einnahme zu kontrollieren bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums. Außerdem kommt es zu fortschreitender Vernachlässigung anderer Verpflichtungen, Aktivitäten, Vergnügen oder Interessen,
d. h. das Verlangen nach der Substanz wird zum Lebensmittelpunkt. Der Gebrauch der Substanz(en) wird wider besseres Wissen und trotz eintretender schädlicher Folgen fortgesetzt. Des Weiteren berichten die Betroffenen über ein starkes, oft unüberwindbares Verlangen, die Substanz zu konsumieren (sogenanntes Craving). Entzug und Toleranzentwicklung sind Teile des „körperlichen“ Abhängigkeitssyndroms. Der Begriff „Sucht“ wurde bislang überwiegend mit der Abhängigkeit von psychoaktiven Substanzen wie Alkohol, Nikotin und anderen Drogen in Verbindung gebracht. Erst in jüngster Vergangenheit wurden eine ganze Reihe von Verhaltensweisen, die exzessiv betrieben zum Problem werden, wie Glücksspiele, Essen, Sex, das Schauen von pornographischem Filmmaterial, PC- und Internetgebrauch, das Spielen von Video- bzw. Computerspielen, spirituelle Zwänge (im Gegensatz zur religiösen Hingabe) und Einkaufen (Petry 2006, Holden 2001) als Verhaltenssüchte diskutiert. Dieser Begriff bezieht sich auf die Tatsache, dass sich zunächst normale, angenehme Tätigkeiten in unangepasste, immer wiederkehrende Verhaltensweisen verwandeln. Diese werden aufgrund eines quasi „unwiderstehlichen“ Verlangens, Anreizes oder Impulses, den das Individuum kaum kontrollieren kann, häufig ausgeführt, obwohl das Verhalten in dieser Intensität der Person und/oder Anderen Schaden zufügt (Grant et al. 2010a). Die „Verhaltenssucht“ stellt eine chronische Erkrankung dar,bei der ein anhaltendes Risiko besteht, auch nach langen Abstinenzzeiträumen rückfällig zu werden. Bei „Verhaltenssüchten“ werden analog zur „Substanzabhängigkeit“ auch Phänomene wie Entzugssymptome (Rosenthal & Lesieur 1992) und Toleranzeffekte beobachtet (Grant et al. 2010a). Seit geraumer Zeit ist daher eine zentrale diagnostische Frage, ob „Verhaltenssüchte“ mehr Ähnlichkeiten mit „Substanzabhängigkeit“ aufweisen oder ob sie den „Impulskontrollstörungen“ oder auch den „Zwangserkrankungen“ zuzuordnen sind. Im global wichtigsten Diagnosesystem psychischer Erkrankungen, der Internationalen Klassifikation der Krankheiten 10. Revision (ICD-10: WHO 1992) ist derzeit nur das „pathologische Glücksspiel“ enthalten, welches aber nicht im Suchtkapitel, sondern als „Störung der Impulskontrolle“ eingeordnet wird. In der fünften Auflage des Diagnostic and Statistical Manual (APA 2014) werden „Verhaltenssüchte“ als neue Kategorie eingeführt mit „pathologischem Glücksspiel“ als einziger „Verhaltenssucht“. „Internetabhängigkeit“ wird als Forschungsdiagnose im Anhang aufgenommen, da die wenigen Studien noch keine klaren Zuordnungen erlauben (Holden 2010, Petry & O'Brien 2013). Die Reklassifizierung sogenannter „nicht-stoffgebundener Süchte“ von „Impulskontrollstörungen“ zu „Suchterkrankungen“ in DSM-5 basiert auf deutlich zunehmender wissenschaftlicher Evidenz (siehe unten). Überzeugende Übereinstimmungen zwischen „stoffgebundenen“ und „nicht-stoffgebundenen Süchten“ wurden sowohl hinsichtlich des Krankheitsverlaufs (chronisch rezidivierender Verlauf mit höherer Verbreitung und Prävalenz unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen), der Phänomenologie (subjektives Craving, Toleranzentwicklung und Entzug), möglicher Komorbiditäten (Depression, Angsterkrankungen, ADHS), des Behandlungsverlaufs als auch im Hinblick auf genetische Veranlagung und neurobiologische Mechanismen (die Rolle der Neurotransmitter Glutamat, der Opioide, des Serotonins und des dopamin/endorphinergen mesokortikolimbischen Belohnungssystems) berichtet (Grant et al. 2010b, Grüsser & Thalemann 2006, Fauth-Bühler & Mann 2015). Bisher verfügbare Daten wurden primär an Glücksspielern und exzessiv das Internet nutzenden Individuen erhoben. Die Evidenz bezüglich anderer Verhaltensweisen, die exzessiv betrieben und problematisch entgleiten können, ist dagegen nicht ausreichend, um Schlussfolgerungen hinsichtlich einer möglichen Eingruppierung als „Verhaltenssüchte“ zuzulassen.

Evidenz für Verhaltenssüchte

Pathologisches Glücksspiel

Epidemiologie
charakteristisch sind, wie Kompensation von Verlusten, starkes gedankliches Beschäftigen mit dem Spielen, oder die Unfähigkeit, das Verhalten zu kontrollieren, sind in der Hinsicht impulsiv, als dass sie oft nicht ausgereift, wenig durchdacht und riskant und mit langfristig negativen Konsequenzen verbunden sind (Chamberlain & Sahakian 2007). Die Prävalenzraten werden weltweit relativ stabil mit durchschnittlich 1,0 % angegeben (Cunningham-Williams et al. 2004), die verschiedenen Schätzungen für Deutschland (pathologisches und problematisches Glücksspiel zusammen genommen) liegen ebenfalls in diesem Bereich (Meyer et al. 2015). Pathologische Glücksspieler zeigten im Vergleich zu Nichtspielern ein 6-fach erhöhtes Risiko für eine zeitlebens bestehende Alkoholmissbrauchsdiagnose und ein 4-fach erhöhtes Risiko für eine aktuell bestehende Diagnose im Sinne des Substanzmissbrauchs oder der -abhängigheit (NIAAA 2006). Die Einordnung als Verhaltenssucht basiert auf überzeugender wissenschaftlicher Evidenz.

Neurobiologie
Behandlungsoptionen und Versorgungslage
In einer in der Cochrane Collaboration veröffentlichten Metaanalyse zur Untersuchung der Effizienz psychotherapeutischer Ansätze bei pathologischem und problematischem Glücksspiel (Cowlishaw et al. 2012) wurden 14 randomisierte kontrollierte klinische Studien (n=1245) eingeschlossen. Die Auswertung zeigt, dass kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze den anderen Interventionsformen (motivierende Gesprächsführung, kombinierte Therapieformen) überlegen waren, jedoch gilt hier zu beachten, dass die Datenlage zu alternativen Therapieformen zu gering war, um wirklich belastbare Effekte zu liefern. Zu den inhaltlichen Schwerpunkten der Therapie des pathologischen Glücksspiels, die sich in Deutschland sowohl auf den ambulanten als auch den stationären Bereich erstreckt, gehören 

  • die Psychoedukation (Vermittlung störungsspezifischen Wissens),
  • die Erarbeitung eines individuellen Störungsmodells
  • das kognitive Umstrukturieren (gerade in Bezug auf spielbezogene kognitive Verzerrungen),
  • der Umgang mit Geld und
  • die Implementierung von Stressbewältigungstrainings.

Ziel der Therapie ist in der überwiegenden Anzahl der Ansätze eine völlige Abstinenz vom Glücksspiel. Die psychopharmakologische Therapie des pathologischen Glücksspiels umfasst insbesondere den Einsatz von µ-Opioid-Rezeptor-Antagonisten und glutamaterg wirkenden Medikamenten. Die in der Therapie von alkoholabhängigen Menschen geprüften Substanzen Naltrexon und Nalmefen waren in ersten Studien mit einer Verringerung des Glücksspielverlangens assoziiert (Grant et al. 2007, 2010b).

Präventionsmöglichkeiten
Die durch moderne Informations- und Kommunikationstechnologien enorm gesteigerte Verfügbarkeit von immer attraktiver gestalteten, suchtpotenten Glücksspielangeboten verkörpert im Hinblick auf gerade jugendliche Glücksspieler und deren besondere Gefährdung für eine Suchtentwicklung ein Kernproblem (Hayer 2012). So stehen bei der Prävention der Glücksspielsucht weniger verhaltenspräventive als vielmehr verhältnispräventive Maßnahmen im Vordergrund. Obwohl systematische, kontrollierte Studien weitgehend fehlen, können Rückschlüsse aus unterschiedlichen Vorgehensweisen in verschiedenen Ländern gezogen werden. So sind in der Schweiz mit gutem Erfolg gewerbliche Spielautomaten in Gaststätten verboten. In Norwegen mussten die Spielautomaten stark „rückgebaut“ werden (deutliche Verlangsamung der Geräte und Reduzierung des maximalen und durchschnittlichen Verlustes pro Stunde). In den USA wurde eine radikale Rechtsdurchsetzung gegenüber illegalen Onlineglücksspielanbietern vorgenommen mit der Folge eines Zusammenbruchs des Marktes und der Insolvenz mehrerer Betreiber („Black Friday“). In Deutschland wird bisher auf eine Rechtsdurchsetzung gegen illegale Anbieter ebenso verzichtet wie auf einen Rückbau der Geräte. Außerdem wird eine Begrenzung der Einsätze, der maximalen Gewinne („Jackpot“) und Verluste, sowie der Häufigkeit von „Fastgewinnen“ empfohlen (Mayer 2012). Auch die bisherigen Sperr- und Selbstlimitierungssysteme sind unzureichend. Sie sollten nicht von den Betreibern, sondern von einer unabhängigen dritten Stelle überwacht werden. Süchtige Spieler sollten sich für jedes Glücksspiel (außer Lotto, da geringes Suchtpotential und zu aufwändig angesichts der Vielzahl von Annahmestellen) sperren lassen können. Verbote von Glücksspielwerbung bei Sportveranstaltungen (Trikot- und Bandenwerbung) werden diskutiert. Sie bringt Kindern und Jugendlichen diese Produkte deutlich näher. Damit reduziert sich die Einstiegshürde und es erhöht sich zwangsläufig die Suchtprävalenz.

Computer- und Internetsucht

Epidemiologie
Interaktive Bildschirmmedien sind weit verbreitet und führen bei einem Teil der Nutzer zu einem pathologischen Gebrauch, der phänomenologisch deutliche Ähnlichkeiten zu stoffgebundenen Suchterkrankungen aufweist. Pathologischer Internetgebrauch ist in den verschiedenen Nutzungsformen jedoch divers. Zu unterscheiden ist dabei die international bisher am besten untersuchte suchthafte Nutzung von Computerspielen von in abhängiger Weise betriebenen Internetaktivitäten wie etwa der Pflege von Onlinebeziehungen, der Nutzung von Onlinepornographie und monetären Glücksspiel- und Shoppingangeboten sowie dem abhängigen Surfen und Recherchieren im Internet. Bisher weitgehend unklar ist, ob die Befunde zum suchtartigen Computerspiel ohne weiteres auf andere pathologische Nutzungsformen übertragbar sind. Zudem fehlten in der Vergangenheit einheitliche Klassifikationskriterien für diese postulierten Störungsbilder, was die Aussagekraft bisheriger Studien einschränkt. Das DSM-5 macht hierzu den Vorschlag einer neun Kriterien umfassenden Forschungsdiagnose, welche sich zunächst auf den besser untersuchten Bereich der Computerspiele bezieht (Petry & O'Brien 2013). Die bisherige Forschung untermauert trotz einer häufigen Assoziierung mit anderen psychischen Erkrankungen die Auffassung eines eigenständigen Störungscharakters abhängiger Computerspiel- oder Internetnutzung. Studien zur Prävalenz sind wegen fehlender einheitlicher Diagnostik schwer vergleichbar und ergeben in der deutschen Allgemeinbevölkerung bei repräsentativen Stichproben für Internetabhängigkeit eine Häufigkeit von 1 bis 2,3 % (Müller et al. 2013, Rumpf et al. 2014). In jüngeren Altersgruppen steigen die Raten deutlich an (Rumpf et al. 2014). Für Computerspielabhängigkeit lässt sich im Jugendalter eine Prävalenz zwischen 0,9 und 1,7 % schätzen (Rehbein et al. 2010a, Rehbein et al. 2015).

Neurobiologie
Die neurobiologische Befundlage zur Computer- und Internetsucht ist noch nicht so umfangreich wie dies bei pathologischem Glücksspiel der Fall ist. Jedoch deuten die bisherigen Studien, die v. a. auf Daten zu exzessivem Computerspielen basieren, auf eine große Ähnlichkeit beider Erkrankungen im Hinblick auf Hirnfunktionen und Verhaltensänderungen hin (Fauth-Bühler & Mann 2015). Patienten mit der Diagnose pathologisches Glücksspiel und Computer- und Internetsucht (exzessives Computerspielen) zeigen eine verminderte Sensitivität gegenüber monetären Verlusten, erhöhte Reaktivität auf Spiel-assoziierte Reize (d. h. erhöhte Reiz-Reaktivität), impulsiveres Verhalten und Änderungen im Belohnungslernen. Die kognitive Flexibilität ist bei beiden Erkrankungen nicht beeinträchtigt. Allerdings existiert bisher nur eine vergleichsweise geringe Zahl an Studien und einige der Bildgebungsstudien weisen erhebliche methodische Mängel auf. 

Behandlungsoptionen und Versorgungslage
Aus einer Übersichtsarbeit von King et al. (2011), die acht Behandlungsstudien einschloss, geht hervor, dass erstens Internetsucht in heterogener Art und Weise klinisch diagnostiziert wird und dass zweitens nur eine der Studien ein kontrolliertes und randomisiertes Design für sich beanspruchen konnte. In kaum einer der aufgeführten Studien wurde das genaue therapeutische Prozedere umfänglich beschrieben. Dagegen fand eine neuere Metaanalyse 16 Arbeiten mit guten Effekten für psychologische wie auch pharmakologische Interventionen (Winkler et al. 2013). Zur Bestimmung bestehender Therapieangebote in Deutschland führten Petersen und Thomasius im Jahre 2010 eine Befragung an verschiedenen Behandlungs- und Beratungseinrichtungen durch. Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere Ambulanzen einen Großteil der Versorgung tragen. Gleichzeitig erweist sich, dass es derzeit bundesweit nur wenige Spezialambulanzen gibt. Die vorwiegend eingesetzte Psychotherapieform ist die Verhaltenstherapie, gefolgt von Ansätzen aus der systemischen Beratung. Auch in dieser Befragung ergab sich, dass in den Einrichtungen sehr unterschiedliche Operationalisierungen des Störungsbildes, einhergehend mit unterschiedlichen diagnostischen Standards vorherrschen. Für den Bereich der stationären Versorgung bieten nur wenige Kliniken Spezialangebote für das pathologische Internetverhalten an. Die Behandlungen finden in der Regel mehrwöchig in Rehabilitationskliniken statt, die Beantragung hierfür erfolgt über die zuständige Suchtberatungsstelle des Landkreises bzw. kirchlicher Träger beim Rentenversicherungsträger. Unter Berücksichtigung psychopharmakologischer Interventionen deuten zwei bisher publizierte Studien darauf hin, dass der Einsatz von Bupropion (Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer) und Methylphenidat bei Jugendlichen mit einer komorbiden ADHS-Symptomatik zu einer Besserung des Problemverhaltens führt (Han et al. 2009, 2010). Zusammengefasst lässt sich sagen, dass sich unter Berücksichtigung der bisherigen klinischen Erfahrung und der Ergebnisse der Übersichtsarbeit von King und Kollegen (2011) insbesondere kognitiv-behaviorale Behandlungsansätze als wirksam zu erweisen scheinen. Die Förderung einer intrinsischen Veränderungsmotivation, die Wiederaufnahme alternativer Verhaltensweisen und die Fokussierung auf das Wiedererlangen von Kontrolle über das eigene Konsumverhalten stellen dabei wichtige Therapieelemente dar. Auch die Aufnahme realer sozialer Kontakte, verbunden mit der Vermittlung sozialer Kompetenzen ist bisherigen Erfahrungen nach ein zentraler Therapiebaustein. Zur Förderung des Letztgenannten scheinen sich insbesondere therapeutische Gruppensettings anzubieten.

Präventionsmöglichkeiten
Im Kontext der Allgegenwärtigkeit von Internet und sozialen Medien stellt die allgemeine Health-Promotion-Perspektive die Verhinderung problematischer Effekte der Mediennutzung in den Vordergrund (Kleimann 2011, Meixner & Jerusalem 2006). Um wirksam zu sein, müssen solche Ansätze an die Erkenntnisse der epidemiologischen Forschung zur Computerspiel- und Internetabhängigkeit anknüpfen und dabei die Mediennutzung bereits vor Überschreiten der Grenze zum eindeutig Pathologischen als einen möglichen Risikofaktor für die Gesundheit anerkennen. Wenngleich noch keine flächendeckende Bestandsaufnahme zu den bislang bestehenden Präventionskonzepten und deren Wirksamkeit vorliegt, gibt es doch einige Anhaltspunkte dafür, dass viele bisher realisierte Konzepte und Initiativen diesem Anspruch nicht genügen. Viele Konzepte sind bislang nicht gesundheitspsychologisch fundiert, sondern fokussieren stattdessen auf eine Vermittlung von Medienkompetenz im engeren Sinne – also auf technische Schutzmöglichkeiten und Informationsvermittlung. Die große Mehrheit der Konzepte sind nicht in randomisierten Kontrollgruppenstudien untersucht worden. Eine stärkere Evidenzbasierung erscheint dringend geboten.

Einige Bereiche können benannt werden, in denen Prävention besonders sinnvoll erscheint. Dies ist im Bereich der Verhältnisprävention der Jugendmedienschutz: So erscheint es denkbar, Spiele mit möglichem Suchtpotential mit Hilfe einer entsprechenden Alterseinstufung nur erwachsenen Spielern zugänglich zu machen. Bislang ist dies nicht der Fall: Spiele erhalten nur dann eine höhere Altersfreigabe, wenn in ihnen gewaltbezogene oder in anderer Weise entwicklungsbeeinträchtigende Darstellungen enthalten sind. Das Onlinerollenspiel „World of Warcraft“ wurde so z. B. trotz seines erhöhten Gefährdungspotentials in Deutschland ab 12 Jahren freigegeben (Rehbein et al. 2010b). Ansätze der Verhaltensprävention greifen auch bei anderen Internetangeboten, die junge Menschen gefährden, wie beispielsweise pornographische Inhalte und Glücksspielangebote. Ein weiterer Bereich ist die Realisierung geeigneter präventiver Konzepte im Schulunterricht (für einen Überblick vgl. Kleimann 2011). Eine hilfreiche Konzeptualisierung von präventiven Strategien findet sich in Bleckmann und Mößle (2014).

Exzessives Verhalten, aber keine Verhaltenssüchte

Für eine neue Zuordnung von Pathologischem Kaufen, Exzessivem Sexualverhalten und Exzessivem Essverhalten als Verhaltenssüchte ist die Datenlage derzeit nicht ausreichend.

Autoren

Das Positionspapier wurde von Karl Mann, Anil Batra, Andreas Heinz, Mira Fauth-Bühler und Hans-Jürgen Rumpf aktualisiert. Es greift in den wesentlichen Punkten auf ein Eckpunktepapier zurück, das von allen Mitgliedern der Taskforce und dem damaligen Präsidenten der DGPPN (Wolfgang Maier) erstellt wurde. Neben den schon genannten waren dies:

Michael Adams (Hamburg), Nicolas Arnaud (Hamburg), Michael Berner (Freiburg), Stefan Bleich (Hannover), Jobst Böning (Würzburg), Martina de Zwaan (Hannover), Ingo C. Fiedler (Hamburg), Uwe Hartmann (Hannover), Tobias Hayer (Bremen), Falk Kiefer (Mannheim), Tagrid Leménager (Mannheim), Gerhard Meyer (Bremen), Chantal Mörsen (Berlin), Thomas Mößle (Hannover), Astrid Müller (Hannover), Florian Rehbein (Hannover), Nina Romanczuk-Seiferth (Berlin), Bert Theodor te Wildt (Bochum), Rainer Thomasius (Hamburg-Eppendorf), Klaus Wölfling (Mainz).

Kontakt

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