Long COVID: Psychiatrische Expertise ist gefragt

Fatigue, Gedächtnisprobleme, Angst, Depressionen oder Schlafstörungen – gemeinsam mit Symptomen wie Kurzatmigkeit oder Muskelschmerzen sind das die häufigsten Merkmale einer Long COVID-Erkrankung. Aber trotz dieser neuropsychiatrischen Probleme werden Fachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie nur selten in die Diagnostik und Behandlung mit einbezogen. Dabei hat kaum jemand mehr Erfahrung mit dem komplexen Wechselspiel organischer und psychischer Symptome und Erkrankungen.

Prof. Dr. Martin Walter 
Leiter der DGPPN-Task-Force Long COVID:

„Long COVID-Patientinnen und -Patienten leiden unter einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Beeinträchtigungen. Darunter sind sowohl somatische als auch psychische Symptome. Die psychischen Symptome sind dabei aber nicht notwendigerweise Symptome einer psychischen Erkrankung.

Wenn Betroffene mit Symptomen wie Konzentrationsschwierigkeiten und Niedergeschlagenheit in eine somatische Praxis kommen, diagnostizieren die Kolleginnen und Kollegen sie dennoch nicht selten als depressiv. Eine Fachärztin oder ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie dagegen würde sehr schnell feststellen, dass es sich nicht um das Krankheitsbild der Depression handelt.

Diese Unterscheidung zwischen psychischen Symptomen und psychischen Erkrankungen ist wichtig, weil wir über psychische Erkrankungen mittlerweile recht gut Bescheid wissen. Wir wissen, wie sie entstehen, wie sie verlaufen und vor allem, wie man sie behandeln kann. Ob die neuropsychiatrischen Symptome, die mit Long COVID einhergehen, auf dieselben Behandlungen reagieren, wissen wir jedoch noch nicht.

Außerdem geht eine psychische Diagnose leider immer noch häufig mit einer gewissen Stigmatisierung einher. Für manche Kolleginnen und Kollegen aus der Somatik ist es dann „nur“ eine psychische Erkrankung. Die Betroffenen leiden dann zusätzlich zu ihren Symptomen unter dem Gefühl, dass man ihre Beschwerden abtut und nicht ernst nimmt.

Allerdings können Long COVID-Patientinnen und -Patienten auch psychische Erkrankungen entwickeln. Die Wahrscheinlichkeit, eine Depression oder eine andere psychische Erkrankung zu entwickeln, ist bei Betroffenen erhöht. Um die optimale Behandlung zu ermöglichen, muss klar sein, ob es sich um anderweitig einzuordnende psychische Symptome oder bereits um eine psychische Erkrankung handelt. Fachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie haben die Kompetenz, die für diese Unterscheidung notwendige Diagnostik durchzuführen. Sie müssen deshalb unbedingt Teil des Diagnose- und Behandlungspfades für Long COVID sein.

Ob psychische Symptome, psychiatrische Störung oder, um der Belastung durch die körperliche Beeinträchtigung zu begegnen: Alle Long COVID-Erkrankten sollten die Möglichkeit haben, psychotherapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Denn sie kann das Leid der Betroffenen signifikant verringern.

Welche weiteren Behandlungen es möglicherweise geben könnte und wie man den Betroffenen am besten helfen kann, muss künftig noch viel stärker in den Fokus der Forschung rücken. Die DGPPN-Task-Force Long COVID wird sich gegenüber der Politik und der medizinischen Community für diese Ziele einsetzen: Mehr psychiatrische Expertise in der Long COVID-Diagnostik,  Behandlung und -Erforschung. Für eine bessere Versorgung der Betroffenen.“

Kongressveranstaltungen zum Thema
  • Mi, 13:45 Uhr, Symposium: Post-COVID-Syndrom – Beitrag kranieller Bildgebung zum Verständnis der Pathophysiologie (Raum M6 I M7)
  • Fr, 10:15 Uhr, Postersitzung: Post-COVID-Syndrom (Posterausstellung 01)
  • Fr, 17:15 Uhr, Symposium: Molekulare Pathomechanismen des neuropsychiatrischen Post-COVID-Syndroms (Saal A2)
Literatur
  • Greenhalgh T et al (2024) Long COVID: a clinical update. The Lancet, 404(10453):707–724

 

DGPPN-Experte: Prof. Dr. Martin Walter

Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Jena. Seit 2021 ist er Sprecher des Standortes Halle/Jena/Magdeburg des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (DZPG), der schwerpunktmäßig die Verbindung von Entzündungsmechanismen und Psyche untersucht. Er leitet die DGPPN Task-Force Long COVID und ist Präsident des Ärzte- und Ärztinnenverbandes Long COVID.


Stand: November 2024

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