Angststörungen und Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Glücklicherweise lassen sie sich sehr gut behandeln – mit Psychotherapie und auch mit Medikamenten. Die medikamentöse Behandlung allerdings ist immer noch sehr vorurteilsbehaftet. Insbesondere Medikamente gegen Depression werden von vielen Betroffenen und Angehörigen und sogar manchen Behandelnden abgelehnt. Damit Menschen mit depressiven Erkrankungen eine Therapie, die ihnen helfen könnte, nicht ablehnen, ist weiter Aufklärung erforderlich.
Prof. Dr. Dr. Katharina Domschke
Mitglied im Vorstand der DGPPN:
„Wie alle psychischen Erkrankungen werden auch Depressionen und Angststörungen durch biologische, psychologische und soziale Faktoren beeinflusst. Eine effektive Behandlung basiert deshalb auf einem integrativen Ansatz, der Psychotherapie, medikamentöse Behandlung und auch Veränderungen im Lebensstil kombiniert. Bei leichten bis mittelschweren Fällen ist eine Psychotherapie erste Wahl, als besonders wirksam hat sich die kognitive Verhaltenstherapie (CBT) erwiesen. Bei mittelschweren bis schweren Erkrankungen oder wenn Symptome chronisch werden, spielen auch Medikamente eine wichtige Rolle. Moderne Antidepressiva, wie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRIs), wirken auf die Neurotransmitter im Gehirn und stellen deren Gleichgewicht wieder her. Diese Medikamente sind gut erforscht, gut verträglich und ihre Wirksamkeit bei mittelschweren und schweren Erkrankungen ist wissenschaftlich belegt.
Leider hegen viele Menschen trotzdem Vorbehalte gegenüber Psychopharmaka. Die Angst vor Stigmatisierung hält viele Patientinnen und Patienten davon ab, diese Behandlungsoption zu wählen. Auch haben viele Betroffene Angst, durch Medikamente „nicht mehr sie selbst“ zu sein. Diese Sorge ist verständlich, jedoch unbegründet. Antidepressiva zielen nicht darauf ab, Persönlichkeit oder Identität zu verändern, sondern ermöglichen es den Betroffenen, ihr Leben wieder mit Stabilität und Energie zu führen.
Eine weitere Sorge, die viele Patientinnen und Patienten davon abhält, sich für Psychopharmaka zu entscheiden, ist die Angst, süchtig zu werden. Aber auch diese Angst ist unbegründet. Denn anders als Beruhigungsmittel, die nur kurzfristig eingesetzt werden sollten, wirken Antidepressiva langfristig und verursachen keine Abhängigkeit. Ihre Aufgabe ist es, das Gehirn zu stabilisieren und das Fundament für eine nachhaltige Genesung zu legen.
Trotzdem treten nach dem Absetzen von Antidepressiva manchmal sogenannte Absetzphänomene auf. In einer kürzlich veröffentlichten Meta-Analyse wurden Studien mit Daten von insgesamt mehr als 20.000 Patientinnen und Patienten analysiert. 15 % der Personen, die Antidepressiva absetzten, erlebten leichtere und vorübergehende Absetzsymptome wie Schwindel, Kopfschmerzen, grippeähnliche Symptome, Ängste oder Reizbarkeit. Ausgeprägtere Beschwerden waren selten und betrafen circa einen von 45 Patienten.
Wenn Absetzphänomene sehr stark sind, können sie für Betroffene belastend sein und mitunter das Wiederauftreten einer Depression begünstigen. Zudem verhindern sie möglicherweise, dass bei künftigen depressiven Episoden Antidepressiva genutzt werden. Glücklicherweise lassen sich Absetzphänomene durch ein langsames, schrittweises Reduzieren der Dosis und eine engmaschige Kontrolle durch den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie meist vermeiden. Auch Aufklärung ist wichtig, damit die Angst vor Absetzphänomenen nicht dazu führt, Antidepressiva, dort wo sie indiziert sind, nicht einzusetzen.
Das A und O einer effektiven psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung affektiver Störungen ist die sorgsame individuelle Aufklärung und Behandlungsplanung, die auch die Enttabuisierung der Medikation im Blick hat.“
DGPPN-Expertin: Prof. Dr. Dr. Katharina Domschke
Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Psychologin ist Mitglied im Vorstand der DGPPN und Ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg. Ihre klinische und wissenschaftliche Arbeit fokussiert insbesondere auf Angsterkrankungen, Depression, Stress-assoziierte Erkrankungen und Zwangsstörungen. Im Februar wird ihr neues Buch Das Alphabet der Angst im Verlag Herder erscheinen.
Stand: November 2024
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