Wie kann man diese Erkrankungen möglichst frühzeitig erkennen? Was sind die Ursachen und besonderen Gefahren bei Sportlern? Welche Behandlungsmöglichkeiten in Form von Medikamenten und Psychotherapien gibt es? An welche Anlaufstellen kann man sich wenden? Wer ist zuständig?
Dass Sport zur körperlichen und geistigen Gesundheit beitragen kann, ist allgemein akzeptiert und gut belegt. Auch in der Behandlung psychischer Krankheiten wird moderate körperliche Aktivität als Zusatzmaßnahme in einem multimodalen Gesamtbehandlungsplan empfohlen. Ein therapeutischer Effekt ist sowohl bei Depressionen, aber auch bei Psychosen und Angststörungen nachgewiesen. In jeder psychiatrischen Behandlungseinrichtung gibt es mittlerweile sport- und bewegungstherapeutische Angebote. Wir haben auch außerhalb des therapeutischen Rahmens im letzten Jahrzehnt eine explosionsartige Zunahme der Zahl von Fitnessstudios erlebt, die sich gegenwärtig stabilisiert hat. Auch Marathon- und Triathlonveranstaltungen werden häufiger im Vergleich zu früher angeboten.
Diese Entwicklung geht keineswegs mit einem verbesserten Gesundheitszustand in der Bevölkerung einher und ist eher ein Beleg für das Verschwimmen der Grenzen zwischen dem Breiten- und Leistungssport. Dass die Ausübung von Sport auch Risiken mit sich bringen kann, wird dabei oft übersehen, mitunter sind bereits Breitensportler bereit, ärztlich unkontrolliert leistungssteigernde Substanzen einzunehmen, die von Nahrungsergänzungsmitteln bis hin zu höchstdosierten steroiden Anabolika reichen. Dieser leistungszentrierte Gebrauch von Sport beinhaltet jedoch auch Gefahren für die psychische Gesundheit. Folgen können manifeste psychische Erkrankungen sein, aber auch sportspezifische psychische Störungsbilder.
Leistungssport hat die seelische Gesundheit nicht zum Ziel, sondern setzt sie stillschweigend voraus. „Ich war auch depressiv und kurz davor, meine Laufbahn als Sportler zu beenden.“ Diese und ähnliche Bekenntnisse von Leistungssportlern zu Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen haben in der Vergangenheit zugenommen und für mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Das Bild des leistungsstarken und besonders widerstandfähigen Spitzensportlers, der keine Schwäche zeigen darf, hat sich gewandelt. Ein Umdenken hat eingesetzt. Dennoch ist das Bewusstsein für die mit dem Leistungssport einhergehenden möglichen seelischen Belastungen im Gegensatz zu dem Verständnis für die körperlichen Anforderungen beim Athleten und in seinem Umfeld noch immer nicht ausreichend verbreitet.
Man geht davon aus, dass jeder Leistungssportler mindestens einmal in der Karriere den Zustand des Übertrainings und damit oft verbundene depressive Symptome mit der Gefahr der Entwicklung einer manifesten depressiven Episode erlebt hat. Stationen und Situationen in der Sportlerkarriere, die besonders mit der Gefahr einer Depressionsentstehung verbunden sind, sind Scheitern beim Übergang in den Kader- und Auswahlbereich, das Karriereende und körperliche Verletzungen.
Zu letzteren gehören auch Schädelhirntraumata und deren Langzeitfolgen. Gewalteinwirkungen auf das Gehirn können zu nachhaltigen psychischen Störungen führen. Bei mehr als drei Gehirnerschütterungen steigt das Risiko drastisch an, an einer Depression oder Demenz zu erkranken. Dies gilt vor allem für Kampfsportarten, Hochgeschwindigkeitssport und kampfbetonte Mannschaftssportarten. Recht gut bekannt sind parkinsonoide und dementielle Syndrome bei Boxern (Dementia pugilistica).
Essstörungen kommen in den gewichtsabhängigen und ästhetischen Sportarten mehr als zehnfach häufiger als in der Allgemeinbevölkerung vor. Es gibt nur vereinzelte Ansätze, wissenschaftlich basierte Präventionsprogramme zu entwickeln in dem Bemühen, Essstörungen in den genannten Sportarten zu reduzieren. Eine systematische Anwendung solcher Programme findet im Leistungssport nicht statt.
Auch Missbrauch und Abhängigkeiten von substanzgebundenen wie -ungebundenen Suchtmitteln finden sich oft mit dem Sport assoziiert. Eine besondere Form ist die Bewegungs- oder Sportsucht, die sich v.a. bei Ausdauersportlern findet und den Verhaltenssüchten zugeordnet wird. Doch auch stoffgebundene Abhängigkeiten finden sich bei Sportlern u.a. nach dem Karriereende gehäuft. Beim Gebrauch von Stimulantien und anabolen Steroiden verwischen sich die Bereiche von abhängigem Gebrauch und Doping.
Spitzensportler sind einem hohen Druck ausgesetzt, beste Ergebnisse zu erzielen und jegliche Leistungseinbußen zu verhindern. Aus Angst um die Karriere vermeiden darum viele, sich dem Trainer oder Vereinsmitarbeitern anzuvertrauen. Die in den Vereinen und Verbänden tätigen Sportpsychologen, Mentaltrainer und Karriereberater stehen oft in einem Rollenkonflikt ihrem Arbeitgeber gegenüber und haben meistens keine psychiatrische und/oder psychotherapeutische Ausbildung. Der Zugang zu einer adäquaten und evidenzbasierten psychiatrisch-psychotherapeutischen Diagnostik und Behandlung ist für Leistungssportler erheblich schwieriger als für die Allgemeinbevölkerung. Hilfesuchende benötigen deshalb eine professionelle Anlaufstelle mit geschulten Psychiatern und Psychotherapeuten, die unabhängig von den Vereinen und Verbänden sein sollten, aber auch die speziellen Umgebungsbedingungen des Sports berücksichtigen.
Um eine verbesserte Versorgungssituation für Leistungssportler zu erreichen, gilt es, spezialisierte niederschwellige psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlungsangebote und präventive Untersuchungen anzubieten. Prävention bedeutet auch, die Öffentlichkeit sowie auch Trainer und medizinische Betreuer gezielt zu informieren, um die Stigmatisierung von Sportlern zu minimieren und eine frühzeitige Intervention zu ermöglichen. Entsprechende sportpsychiatrische und -psychotherapeutische Forschung, die Vermittlung sportspezifischer Expertise in der Trainerausbildung sowie der Aufbau eines Expertennetzwerkes sind daher gefordert.
Bewegung und Sport bieten in adäquatem Umfang ein erhebliches Potential, die Psyche positiv zu beeinflussen. Obwohl die regelmäßige Bewegung bekanntlich therapeutisch wirksam ist, fehlt es nach wie vor an Evidenz zu Art, Umfang und Intensität körperlicher Aktivität, um den bestmöglichen Effekt für die seelische Gesundheit zu erzielen. Recht gut untersucht sind die Auswirkungen der Bewegung in der Behandlung der depressiven Erkrankungen und der Angststörungen. Für andere psychische Erkrankungen fehlen noch vergleichbare wissenschaftliche Ergebnisse. Die Integration der Sport- und Bewegungstherapie in den stationären und vor allem ambulanten Gesamtbehandlungsplan ist noch immer unzureichend und nicht angemessen finanziert. Die bestehenden Lücken in der Evidenz über die Wirkung und möglichen Gefahren von körperlicher Aktivität in Verbindung mit psychischer Gesundheit müssen geschlossen werden. Weitere klinische Studien zu Sport und psychischen Erkrankungen sind dringend notwendig.
Das Referat Sportpsychiatrie und -psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) leistet seit seiner Gründung im Jahre 2010 Pionierarbeit auf diesem Gebiet. Die Zielsetzung des Referates ist die Prävention, Behandlung und Erhaltung der seelischen Gesundheit im Leistungssport sowie die Erforschung und eine bessere Integration der Sport- und Bewegungstherapie in die Behandlung der psychischen Erkrankungen Das Referat ist bestrebt, der Stigmatisierung von Leistungssportlern durch gezielte Information der Öffentlichkeit entgegenzuwirken. Hierzu kooperiert es z.B. eng mit der Robert-Enke-Stiftung und sucht die Zusammenarbeit mit Sportmedizinern, Sportpsychologen und Verbänden, um auch Einfluss auf sportpolitischer Ebene nehmen zu können. Außerdem gehören die Erforschung der Wirksamkeit der Sport- und Bewegungstherapie bei psychisch Kranken sowie deren Implementierung in den klinischen Versorgungsalltag zu den Zielen des DGPPN-Referats.
Um diese Ziele zu erreichen, haben sich unter dem Dach der wissenschaftlichen Fachgesellschaft bundesweit Experten auf dem Gebiet der Sportpsychiatrie und -psychotherapie vernetzt. Im November 2012 wurde zudem in Aachen ein universitäres Netzwerk von acht „DGPPN-Zentren für seelische Gesundheit im Sport“ gegründet. Die bundesweit elf Zentren haben es sich zur Aufgabe gemacht, hochspezialisierte regionale, sektorenübergreifende und niederschwellige Angebote als sportpsychiatrische Ambulanzen bereitzustellen. Das Netzwerk erarbeitet neue Versorgungs- und Behandlungspfade und begleitet diese wissenschaftlich.