Aktuell wird mit einem Beginn der COVID-19-Impfungen bereits im Dezember gerechnet. Dabei ist noch nicht abschließend geklärt, welche Personengruppen einen prioritären Anspruch auf den zunächst knappen Impfstoff haben sollen. In einem Policy Brief legt die DGPPN auf Basis der verfügbaren Evidenz dar, weshalb Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen offiziell als Risikogruppe anerkannt werden und einen Anspruch auf frühe Impfung haben sollten.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Angesichts steigender Infektionszahlen entwickelt die Politik derzeit eine Impf-strategie.
- Konsens besteht darin, dass diejenigen Personengruppen zuerst von einer Imp-fung profitieren sollten, die aufgrund ihres Alters oder Gesundheitszustandes ein signifikant erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf haben.
- Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen infizieren sich deutlich häufi-ger mit COVID-19, zeigen einen schwereren Verlauf und haben ein höheres Ster-berisiko als die Allgemeinbevölkerung.
- Deshalb sollten Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen offiziell als Risikogruppe anerkannt und bei der Impfstrategie berücksichtigt werden.
Hintergrund
Angesichts steigender Infektionszahlen entwickelt die Politik derzeit eine Impfstrategie. Da-mit soll gewährleistet werden, dass der für 2021 erwartete und anfangs zu rationierende Impfstoff zunächst derjenigen Personengruppe zugutekommt, welche einen Impfschutz be-sonders nötig hat. Das Bundesgesundheitsministerium hat die Ständige Impfkommission ge-meinsam mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und dem Deutschen Ethikrat gebeten, auf Basis von medizinischen, ethischen und rechtlichen Aspekten eine Ein-schätzung abzugeben. Das gemeinsame Positionspapier definiert als zu priorisierende Per-sonengruppe Menschen, die „aufgrund ihres Alters oder vorbelasteten Gesundheitszustandes ein signifikant erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf haben […]“ [1].
Fragestellung
Welche Personen sind zur gesundheitlich vorbelasteten Risikogruppe zu zählen?
Das sagt die Wissenschaft
Ein signifikant erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf bei CO-VID-19 wird in der Regel Menschen aller Altersgruppen mit komorbiden und körperlichen Grunderkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronisch obstruktive Lungenerkran-kungen, Diabetes mellitus Typ 2, chronischen Nierenleiden, Fettleibigkeit, Immunschwäche und Krebs attestiert [2].
Jedoch zeigen auch Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen (severe mental ill-ness – SMI) einen schwereren Verlauf und haben ein höheres Sterberisiko, sie infizieren sich zudem deutlich häufiger mit COVID-19 als die Allgemeinbevölkerung [3–5]. Es handelt sich dabei um Menschen, die z. B. von Schizophrenie, schweren Depressionen und bipolarer Stö-rungen betroffen sind, seit längerer Zeit behandelt werden und unter erheblichen psychoso-zialen Beeinträchtigungen leiden. Davon betroffen sind etwa 1–2 % der Bevölkerung [6].
Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen sind in besonderem Maße Umweltfakto-ren ausgesetzt, welche als Risikofaktoren für COVID-19-Infektionen gelten (z. B. niedriger sozioökonomischer Status, unsichere Arbeitsbedingungen, Wohnungslosigkeit, Institutionali-sierung und Unterbringung) [7–13].
Oftmals werden somatische Erkrankungen und Risikofaktoren aufgrund von Stigmatisierung, Diskriminierung und Unwissen bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen schlechter erkannt und später behandelt [14].
Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen haben außerdem mehr Schwierigkeiten bei der Befolgung und Umsetzung der komplexen und sich ständig ändernden Regeln und Verpflichtungen zur Eindämmung des Corona-Virus [3, 15].
Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen haben auch ohne Berücksichtigung von COVID-19 eine zwei- bis dreifach höhere allgemeine Sterblichkeitsrate bzw. eine um 10-20 Jahre reduzierte Lebenserwartung im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung [16]. Dies liegt u. a. an somatischen Folgeerkrankungen, welche wiederum Risikofaktoren bei einer COVID-19-Erkrankung sind [17].
Empfehlung
Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen sollten offiziell als Risikogruppe anerkannt und bei der Impfstrategie berücksichtigt werden [18].
Quellen:
- Ständige Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut, Deutscher Ethikrat, Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina (2020) Wie soll der Zugang zu einem COVID-19-Impfstoff geregelt werden? https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Ad-hoc-Empfehlungen/deutsch/gemeinsames-positionspapier-stiko-der-leopoldina-impfstoffpriorisierung.pdf
- Committee on Equitable Allocation of Vaccine for the Novel Coronavirus, Board on Health Sciences Policy, Board on Popula-tion Health and Public Health Practice et al (2020) Framework for Equitable Allocation of COVID-19 Vaccine. 25917. https://doi.org/10.17226/25917
- Wang Q, Xu R, Volkow ND (2020) Increased risk of COVID ‐19 infection and mortality in people with mental disorders: analysis from electronic health records in the United States. World Psychiatry wps.20806. https://doi.org/10.1002/wps.20806
- Li L, Li F, Fortunati F, Krystal JH (2020) Association of a Prior Psychiatric Diagnosis With Mortality Among Hospitalized Patients With Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) Infection. JAMA Netw Open 3:e2023282. https://doi.org/10.1001/jamanetworkopen.2020.23282
- Lee SW, Yang JM, Moon SY et al (2020) Association between mental illness and COVID-19 susceptibility and clinical outcomes in South Korea: a nationwide cohort study. Lancet Psychiatry S2215036620304211. https://doi.org/10.1016/S2215-0366(20)30421-
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