Der Referentenentwurf für das Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) sieht eine Überarbeitung der Psychotherapie-Richtlinie vor, um die ambulante psychotherapeutische Versorgung zu verbessern. Insbesondere sollen spezielle „psychotherapeutische“ Sprechstunden eingerichtet werden, um den zeitnahen Zugang zum Versorgungssystem zu gewährleisten. Die DGPPN fordert dahingegen ein umfassenderes Sprechstundenkonzept: die Akutsprechstunden für psychische Erkrankungen.
Am 13. Oktober 2014 hat das Bundesgesundheitsministerium einen Referentenentwurf für das Versorgungsstärkungsgesetz vorgelegt. Das Gesetz zielt unter anderem darauf ab, die psychotherapeutische Versorgung durch eine Überarbeitung der Psychotherapie-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu verbessern. Dies soll insbesondere durch die Einrichtung von speziellen „psychotherapeutischen“ Sprechstunden, die Förderung von Gruppentherapie sowie Vereinfachung des Antrags- und Gutachterverfahren zur Flexibilisierung des Therapieangebots und zu einem zeitnahen Zugang zur psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung beitragen. Die DGPPN unterstützt das Gesetzesvorhaben grundsätzlich, weist jedoch darauf hin, dass eine Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung nur im Rahmen eines umfassenderen Gesamtkonzeptes einer strukturierten, sektorenübergreifenden Versorgung erzielt werden kann. Dabei ist eine verantwortungsvolle Arbeitsteilung aller an der psychotherapeutischen Versorgung beteiligten Berufsgruppen, den Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie, den Fachärzten für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, den Ärztlichen und Psychologischen Psychotherapeuten und weitere Berufsgruppen gefordert. Bisher unterversorgte Patientengruppen (z.B. mit Borderline Persönlichkeitsstörung, psychotischen Erkrankungen, Suchterkrankungen oder somatoformen Störungen) sollen in besonderer Weise Berücksichtigung finden.
Zu einer Verbesserung der Akutversorgung trägt vor allem eine strukturierte, vernetzte, interdisziplinäre, sektorenübergreifende Organisation der Versorgung bei. In einer solchen Versorgungsstruktur ist die effiziente Steuerung der Versorgungsangebote unabdingbar. Eine Akutsprechstunde für psychische Erkrankungen soll daher die Funktion der ergebnisoffenen Bedarfsklärung und Beratung über Zugangswege zu Versorgungsangeboten übernehmen (siehe Grafik). Auf der Grundlage einer ausführlichen Anamnese und Befunderhebung erfolgt eine erste diagnostische Einschätzung und der Patient wird über die verschiedenen Versorgungsangebote informiert und beraten. Falls notwendig, kann die Sprechstunde mit einer Krisenintervention verbunden werden. Termine müssen innerhalb von 14 Tagen nach Anfrage gewährleistet sein.
Die Akutsprechstunde für psychische Erkrankungen kann von Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärzten für Psychosomatische Medizin sowie Ärztlichen und Psychologischen Psychotherapeuten angeboten werden, wenn sie entsprechende strukturelle Voraussetzungen erfüllen. So müssen die Leistungen persönlich durch den Arzt oder Therapeut in der Praxis und antragfrei erbracht werden; die telefonische persönliche Erreichbarkeit muss mindestens 10 Stunden pro Woche gewährleistet sein und die Erreichbarkeitszeiten müssen transparent kommuniziert werden. Es muss eine Praxisorganisation vorgehalten werden, die – wenn notwendig – eine somatische Abklärung und Erstellung von Konsiliarberichten im Rahmen der Sprechstunde ermöglicht.
Wird in der Akutsprechstunde für psychische Erkrankungen ein weiterer diagnostischer und/oder therapeutischer Handlungsbedarf festgestellt, so wird der Patient den indizierten Versorgungsangeboten zugeleitet. Soll in der Folge durch einen psychologischen Psychotherapeuten eine Richtlinientherapie eingeleitet werden, so muss vor deren Beginn zusätzlich eine ärztliche Konsultation verpflichtend erfolgen. Sie dient dazu, die Diagnostik um medizinische Aspekte zu komplettieren, eine somatische (Mit)-Verursachung differentialdiagnostisch zu klären und die Indikation für weitere Therapiebausteine (pharmakologische und psychosoziale Interventionen) zu prüfen und damit eine leitliniengerechte Therapie zu garantieren. Im Rahmen der ärztlichen Konsultation erfolgt auch die Differentialindikation für eine teil-/stationäre Behandlung, medizinische Rehabilitation, ambulante psychiatrische Pflege und Soziotherapie. Krankenhauseinweisungen sollten entsprechend dem Grundsatz ambulant vor stationär gewöhnlich erst dann erfolgen, wenn leitliniengerecht alle Therapiebausteine einer multimodalen Behandlung genutzt wurden, aber nicht zum Erfolg führten.
Die fachgerechte ärztliche Konsultation sollte gesichert werden, d.h. sie kann nur von einem Facharzt mit entsprechender Expertise (Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, mit Zusatzbezeichnung fachgebundener Psychotherapie oder Allgemeinmedizin mit Expertise in psychosozialer und psychosomatischer Grundversorgung) vorgenommen werden.
Die schnelle Terminvergabe für die Akutsprechstunden innerhalb von zwei Wochen muss unter Berücksichtigung des vermehrten Organisationsaufwandes gefördert werden.
Die zeitliche Bemessung der Psychotherapie muss am Patientenbedarf orientiert und flexibel sein. Daher braucht es Kurzzeit- und Langzeittherapien, die Möglichkeit einer kurzzeitig intensiven Behandlung in Krisen, die Möglichkeit von psychotherapeutischen Gesprächen zur Stabilisierung des Erreichten und auch in Einzelfällen jahrelange niederfrequente psychotherapeutische Unterstützung. Kurze und flexibel am Patientenbedarf ausgerichtete psychotherapeutische Interventionen sind effektiv und für viele Patienten ausreichend. Sie sind zu fördern, indem sie die gleiche Honorierung wie die Richtlinienpsychotherapie erhalten. Kurzinterventionen aber sind nicht für alle Patienten ausreichend, so dass bei entsprechender Indikation eine Langzeittherapie und ein Wechsel in eine antragspflichtige Psychotherapie ohne Wartezeit möglich sein müssen.
Eine höhere Wirksamkeit von Einzeltherapie gegenüber Gruppentherapie ist für viele Indikationen nicht belegt. Daher sollte die Gruppentherapie – u.a. aufgrund der Kosten- und Zeiteffizienz, aber auch der sehr guten Wirksamkeit vieler störungsspezifischer Programme – als wirksame Behandlungsalternative gefördert werden. Dazu bedarf es einer ausreichenden Vergütungsstruktur sowie einer Reduktion des Aufwandes durch Einführung eines nicht gutachterpflichtigen Kontingentes bei der Beantragung. Die DGPPN wird sich bei der anstehenden Novellierung der MWBO dafür einsetzen, dass die Gruppenpsychotherapie in den Weiterbildungsrichtlinien für die zukünftigen Psychiater und Psychotherapeuten verbindlich verankert wird.
Im derzeitigen Versorgungsgeschehen stellt das Gutachterverfahren bereits eine Maßnahme zur Qualitätssicherung dar und sollte bei Langzeittherapien zunächst in der bewährten Form beibehalten werden. Kurzzeittherapien (bis 25 Std.) sollten weiterhin antragspflichtig, aber nicht gutachterpflichtig sein.
Eine ausführliche, multimodale Diagnostik und Verlaufsbeurteilung ist qualitätssichernd und wird psychometrische Tests einbeziehen. Möglichkeiten und Grenzen der Methodik sind bei psychometrischen Tests zu beachten.
Für die DGPPN
Prof. Dr. med. Wolfgang Maier, Präsident DGPPN
Prof. Dr. med. Sabine Herpertz, Beisitzerin Psychotherapie im DGPPN-Vorstand
Diagnostik, Therapieplanung, Beratung sowie Therapie finden im fachärztlichen Bereich in großem Umfang statt und sind traditionell zentrale Aufgaben der Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. für Nervenheilkunde. Sie stellen ein breites therapeutisches Angebot sicher. Es umfasst neben Psychotherapie die medikamentöse Behandlung sowie sozial-therapeutische Maßnahmen. Alle drei Therapiemodule werden bei vielen psychischen Erkrankungen im Sinne einer leitliniengerechten Behandlung kombiniert. Beispielhaft ist hier eine schwere Depression zu nennen.
Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. für Nervenheilkunde mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie erbringen neben der Richtlinien-Psychotherapie ein breites Spektrum anderer psychotherapeutischer Leistungen. Dabei sind alle formalisierten Gesprächsleistungen, die einen inhaltlich zusammenhängenden Prozess darstellen und mindestens fünf Behandlungen von je mindestens 25 Minuten in einem halbem Jahr umfassen, als Psychotherapie zu bezeichnen.
Dieses in Inhalt, Dosis und Setting differenzierte und flexible psychotherapeutische Leistungsspektrum kann dem unterschiedlichen psychotherapeutischen Hilfebedarf von Patienten zu unterschiedlichen Phasen der Erkrankung in besonderer Weise gerecht werden. Es umfasst die erweiterte Psychoedukation (einzeln oder in der Gruppe), Kriseninterventionen, fokussierte psychotherapeutische Interventionen, und störungsspezifische Psychotherapien in der Akut- und Stabilisierungsphase sowie Rezidivprophylaxe, niederfrequente Langzeitbehandlung und ergänzende Einzelbehandlung zur Gruppentherapie.