Psychiatrie im Nationalsozialismus – Erinnerung und Verantwortung

Rede von Professor Frank Schneider; Präsident der DGPPN, Aachen

Sehr geehrte Damen und Herren,

Psychiater haben in der Zeit des Nationalsozialismus Menschen verachtet, die ihnen anvertrauten Patientinnen und Patienten in ihrem Vertrauen getäuscht und belogen, die Angehörigen hingehalten, Patienten zwangssterilisieren und töten lassen und auch selber getötet. An Patienten wurde nicht zu rechtfertigende Forschung betrieben, Forschung, die Patienten schädigte oder gar tötete.

Warum haben wir so lange gebraucht, uns diesen Tatsachen zu stellen und offen mit diesem Teil unserer Geschichte umzugehen? Einerseits sind wir stolz, dass die DGPPN zu den ältesten wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften der Welt zählt. Andererseits wurde viel zu lange ein wichtiger Teil der Geschichte dieser Fachgesellschaft ausgeblendet, verdrängt. Dafür schämen wir uns.

Wir sind auch beschämt, weil wir, die deutsche psychiatrische Fachgesellschaft, nicht einmal in der Zeit nach 1945 an der Seite der Opfer gestanden haben. Schlimmer noch: Wir hatten Anteil an ihrer erneuten Diskriminierung und Benachteiligung. Uns fehlen noch die Worte, warum eine Veranstaltung wie diese erst heute möglich sein konnte.

Es hat fast 70 Jahre gedauert, bis sich die Fachgesellschaft, als deren Präsident ich heute hier vor Ihnen stehe, entschlossen hat, dieser Sprachlosigkeit ein Ende zu setzen und sich an ihre Tradition einer Aufklärung durch Wissenschaft zu erinnern. Eine wissenschaftliche Kommission, selbständig und unabhängig, begleitet derzeit ein Forschungsprojekt, um die Geschichte der Fachgesellschaft bzw. deren Vorläuferorganisationen zunächst in der Zeit zwischen 1933 und 1945 aufzuarbeiten.

Aber das ist nicht genug: Unabhängig von den Forschungsergebnissen, die wir in den nächsten Jahren erwarten, habe ich – spät genug – bei allen Opfern und Angehörigen um Entschuldigung zu bitten für das erlittene Unrecht und Leid, das ihnen von deutschen Verbänden und ihren Psychiatern zugefügt wurde.

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde hat sich zu dieser Gedenkveranstaltung entschlossen, um ein deutliches Zeichen zu setzen, getragen von dem Willen, die Opfer anzuerkennen und an ihrer Seite zu stehen, sich zu der eigenen Vergangenheit zu bekennen und aus der Vergangenheit zu lernen.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich begrüße Sie sehr herzlich zu dieser Gedenkveranstaltung und danke Ihnen, dass Sie so zahlreich gekommen sind.

Die Briefe und Dokumente, die wir eben gehört haben, geben ein eindrückliches Zeugnis von dem, was psychisch kranke Menschen erlitten haben und was ihnen angetan wurde.

Die Psychiatrie im Nationalsozialismus zählt zu den dunkelsten Kapiteln der Geschichte unseres Fachgebietes. Psychiater und die Vertreter ihrer Verbände haben in dieser Zeit ihren ärztlichen Auftrag, die ihnen anvertrauten Menschen zu heilen und zu pflegen, vielfach missachtet und eigenständig umgedeutet.

Die Psychiatrie war verführbar und hat verführt, hat geheilt und vernichtet. Sie hat sich nicht mehr dem einzelnen Menschen verpflichtet gefühlt, sondern hat im Namen eines angeblichen Fortschritts, den man in der Befreiung einer ganzen Gesellschaft von Fürsorgelasten sah, in der Verbesserung der Erbanlagen eines Volkes und schließlich in der „Erlösung der Menschheit vom Elend“[1], massenhaft Menschen misshandelt und getötet – und unliebsame Kolleginnen und Kollegen aus ihren Ämtern gedrängt.

Wir haben uns zu vergegenwärtigen, dass in den Jahren von 1933 bis 1945 viele der akademisch tätigen Nervenärzte aus dem damaligen Deutschen Reich emigrierten.[2] Ihre Emigration erfolgte nicht freiwillig. Kolleginnen und Kollegen jüdischer Herkunft, oder wegen ihrer politischen Überzeugung unliebsam gewordene Ärzte, wurden aus ihren Ämtern und Funktionen gedrängt. Sie und ihre Angehörigen verloren ihre Anstellung und ihre Lebensgrundlage, ihr Hab und Gut – und nur zu oft auch ihre Heimat. Diese emigrierten Kolleginnen und Kollegen mussten sich mitsamt ihren Familien als Fremde in einem ihnen dann fremden Land eine neue Existenz aufbauen.

Die meisten derjenigen, die Deutschland oder Österreich nicht verlassen konnten, wurden im Krieg in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert, ein Schicksal, das nur wenige überlebten. Dies ist nicht wieder gut zu machen.

Das alles geschah, während sich die psychiatrische Forschung im Deutschen Reich mehr und mehr auf eugenische und rassehygienische Themen konzentrierte.[3] Die Gesundheits-, Sozial- und Wirtschaftspolitik der nationalsozialistischen Weltanschauung zielte auf die Förderung derjenigen, die zur Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Volkes beitragen konnten. Das Schwache sollte ausgeschieden werden, damit das Starke umso stärker wird. Dieses Denken steht in einer fatalen Tradition.

Schon seit dem ausgehenden 19.Jahrhundert wurde der Begriff Eugenik verwendet und die Sterilisation psychisch Kranker propagiert[4], im Deutschen Reich ebenso wie in Skandinavien und den angelsächsischen Ländern. Bereits im Sommer 1914 wurde ein Gesetzentwurf „für die Unfruchtbarmachung und Schwangerschaftsunterbrechung“ in den deutschen Reichstag eingebracht. Nur der beginnende erste Weltkrieg verhinderte die weitere Beratung und Verabschiedung.[5]

Am 14. Juli 1933, nur kurze Zeit nach der von der NSDAP selbst so genannten „Machtergreifung“ Hitlers, wurde dann das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ verabschiedet, an dessen offiziellem Kommentar[6] der Psychiater – und in den Jahren 1935–1945 Präsident der psychiatrischen Gesellschaft – Ernst Rüdin, damals Direktor der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie, mitgewirkt hat.[7] Die Sterilisierung, die zwangsweise Sterilisierung, wurde darin als „Vorsorge für das kommende Geschlecht“[8] bezeichnet. Eine perverse Darstellung, denn sie rechnet Leid und Verletzung der Einen gegen das Wohl der Anderen auf.

Im Gesetz wurden manisch-depressive Erkrankungen und Schizophrenie als solche vererbbaren psychischen Erkrankungen genannt. Ebenso aber auch erbliche Formen der Epilepsie sowie der Blind- und Taubheit, Kleinwuchs und vieles mehr. Kranke Menschen sollten keine Kinder zeugen. Ihr für schlecht befundenes Genmaterial sollte so den gesunden „Volkskörper“ nicht weiter belasten.

Alle Ärzte wurden verpflichtet, diese sogenannten „Erbkranken“ gegenüber den Behörden anzuzeigen. Über 360.000 Menschen wurden auf Grundlage dieses Gesetzes von Medizinern selektiert und zwangssterilisiert. Über 6.000 starben bei den Eingriffen.

Vor dem Hintergrund eugenischer und rassehygienischer Denkweisen galten die Sterilisationsgesetze bei vielen Psychiatern als vorbildlich. Ernst Rüdin hat sich als Präsident unserer Vorläuferorganisation mehrfach bei der Eröffnung der Jahrestagungen der GDPN dafür ausgesprochen.[9] Und auch in anderen Ländern weltweit wurden Sterilisierungen auf eugenischer Grundlage befürwortet. In Deutschland erlaubte das Gesetz allerdings die Sterilisation auch gegen den Willen der Betroffenen. Für die Opfer war sie ein massiver, ein schrecklicher Eingriff in den Kernbereich ihrer Identität, dem sie ohnmächtig ausgeliefert waren. Sie wurden damit nicht nur unwiederbringlich ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit beraubt, sondern auch ihres Rechts auf Elternschaft.

Auch nach dem Krieg blieben den Opfern und ihren Familien in der Regel nur Scham und Schweigen über das, was ihnen angetan wurde. Und bis heute sind sie von der Bundesrepublik Deutschland nicht ausdrücklich als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung anerkannt, obwohl doch das Sterilisationsgesetz explizit Ausdruck nationalsozialistischer, deutscher Rasseideologie war, wie im Kommentar zum Gesetz sehr deutlich wird. Dort heißt es:

„Welches ist nun das Ziel der dem deutschen Volk artgemäßen Erb- und Rassenpflege: Eine ausreichende Zahl Erbgesunder, für das deutsche Volk rassisch wertvoller, kinderreicher Familien zu allen Zeiten.“[10]

Mit Bewunderung anerkennen möchte ich hier das spätere Engagement von Frau Dorothea Buck, Bildhauerin und Autorin, selber Betroffene und Mitgründerin des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener. Sie hat immer wieder aufgeklärt, gemahnt und erinnert. Genauso wie Klara Nowak, die vor Jahren verstarb. Frau Nowaks Initiative ist es zu verdanken, dass sich 1987 Zwangssterilisierte und „Euthanasie“-Geschädigte zusammenfanden und den Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten gründeten, der seitdem um die gesellschaftliche Rehabilitation der Opfer gekämpft hat.

Aber es wurde nicht nur zwangssterilisiert, es wurde auch getötet. Schon in den 1920er Jahren wurden unter dem Eindruck des ersten Weltkriegs und der Weltwirtschaftskrise Kranke zu Kostenfaktoren. Es war ein Psychiater, Alfred Erich Hoche, der in seinem 1920 erschienenen Buch zur Freigabe der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ gemeinsam mit dem Juristen Karl Binding den Begriff „Ballastexistenzen“ prägte und einen Katalog angeblich unheilbarer psychischer Krankheiten erstellte, die er „Zustände geistigen Todes“ nannte.[11] 1930 wurde daraus in den Nationalsozialistischen Monatsheften die Forderung: „Tod dem lebensunwerten Leben!“[12]

Rückdatiert auf den Überfall Deutschlands auf Polen, den Kriegsbeginn am 1. September 1939, befahl Hitler die sogenannte „Euthanasie“-Aktion. Zum medizinischen Leiter dieser später „Aktion T4“ genannten Aktion wurde ein Psychiater und Neurologe, der Würzburger Ordinarius Professor Werner Heyde, bestimmt. Ihr und den nach ihrer offiziellen Beendigung sich anschließenden weiteren Phasen der Krankentötungen sollten bis zum Kriegsende – und noch einige Wochen darüber hinaus – mindestens 250.000 bis 300.000 psychisch, geistig und körperlich kranke Menschen zum Opfer fallen.[13]

Ab Oktober 1939 wurden zuerst aus dem Columbushaus am Potsdamer Platz, dann ab April 1940 aus der Tiergartenstraße 4, also dort, wo heute die Berliner Philharmonie steht, Meldebögen an die Heil- und Pflegeanstalten des Deutschen Reiches und der angegliederten Gebiete verschickt, um alle Patienten systematisch zu erfassen und zu selektieren. Die Selektion erfolgte wesentlich nach Nützlichkeitskriterien, also der Frage nach der Arbeitsleistung.[14]

Am Ort der ehemaligen Zentraldienststelle befinden sich heute nur eine unscheinbare, in den Boden eingelassene Gedenktafel für die „Euthanasie“-Opfer und eine erst nachträglich den Opfern gewidmete Plastik. Einen zentralen, nationalen Gedenkort für die Opfer der sogenannten „Euthanasie“ gibt es weiterhin nicht. Das ist nicht nur für die Überlebenden und ihre Angehörigen Ausdruck fortdauernder Verdrängung und Erniedrigung, es ist auch ein blinder Fleck im Gedächtnis unseres Landes und der deutschen Psychiatrie. Die aktuelle Initiative zur Errichtung einer angemessenen nationalen „T4“-Gedenk- und Informationsstätte werden wir als Fachgesellschaft unterstützen.

Etwa 50 ausgewählte Gutachter, darunter damals namhafte Psychiater, werteten die von den Psychiatern der Kliniken zurückgeschickten Meldebögen aus, selektierten und entschieden über Leben und Tod. Unter diesen Gutachtern waren auch Werner Villinger, Friedrich Mauz und Friedrich Panse, in der Nachkriegszeit drei Präsidenten unserer Fachgesellschaft.[15] Friedrich Mauz und Friedrich Panse wurden später sogar Ehrenmitglieder unserer Gesellschaft. Zwar endet jede Ehrenmitgliedschaft der DGPPN mit dem Tod der Geehrten, wir verurteilen aber heute diese Ehrenmitgliedschaften und werden sie auch formal annullieren.

Mit grauen Bussen, dem bildhaften Symbol für das Töten, wurden die Patientinnen und Patienten aus den Heil- und Pflegeanstalten abgeholt und in sechs psychiatrische Anstalten gebracht, in denen Gaskammern eingerichtet worden waren. Heilanstalten wurden zu Vernichtungsanstalten. Aus Heilung wurde Vernichtung – und Psychiater überwachten den Abtransport und die Ermordung der ihnen anvertrauten Patienten. Die sechs Anstalten waren in der Reihenfolge ihrer Einrichtung: Grafeneck, Brandenburg, Hartheim, Pirna-Sonnenstein, Bernburg und Hadamar.

Innerhalb der knapp zwei Jahre, die die „T4“-Aktion offiziell andauerte, von Januar 1940 bis August 1941, wurden mehr als 70.000 Patienten ermordet. Und es waren nicht die Psychiater, die durch öffentlichen Protest zum Ende der „T4“-Aktion beitrugen. Der Protest kam vor allem aus den Kirchen. Die entscheidende Protestpredigt hielt Clemens August Kardinal von Galen, Bischof von Münster, am 3. August 1941. Unmittelbar danach wurde die „T4“-Aktion offiziell eingestellt.[16]

Das Wissen und die Erfahrungen, die im Zuge der „T4“-Aktion mit dem Töten gemacht wurden, nutzte man später in den Konzentrationslagern, um weitere Menschen, dieses Mal Millionen, zu ermorden.[17]

Parallel zur „Aktion T4“ wurden im Zuge der sogenannten „Kinder-Euthanasie“ in über 30 psychiatrischen und pädiatrischen Kliniken körperlich und psychisch kranke Kinder ermordet. Bisher ging man von ca. 5.000 Kindern aus, eine Zahl, die in den Nachkriegsprozessen von den Tätern selber genannt und dann zunächst weitgehend unkritisch übernommen wurde. Wie sich jetzt herausstellt, ist sie viel zu gering angesetzt.

Aber es ist immer noch nicht genug, denn auch nach dem offiziellen Ende der zentral organisierten „T4“-Aktion ging das Töten weiter. In dieser dezentralen Phase der „Euthanasie“ wurden in psychiatrischen Einrichtungen die Patienten – wahrscheinlich viele Zehntausende – durch eine Überdosis Medikamente getötet oder systematisch verhungert, um Bettenplätze zu schaffen und Geld einzusparen. Die Patienten erhielten Nahrung, aber nur gerade genug, um zu sterben.[18] Der Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Waldheim, Gerhard Wischer, berichtet 1943 im Zusammenhang mit Neuaufnahmen ganz lapidar:

„Ich könnte diese Aufnahmen natürlich niemals unterbringen, wenn ich nicht entsprechende Maßnahmen zum Freimachen von Plätzen durchführen würde, was ganz reibungslos geht. Es fehlt mir allerdings sehr an den erforderlichen Medikamenten.“[19]

Alles das ist heute unvorstellbar, dass Psychiater ihre Patienten, die ihnen zur Heilung und Pflege anvertrauten Menschen, der Tötung preisgaben, dass sie sie selektierten und die Tötung selber dann medizinisch, wissenschaftlich – pseudo-wissenschaftlich – überwachten: die Ermordung von Kindern, Erwachsenen und alten Menschen.

Ein ärztlicher Akteneintrag von 1939 über eine an einer schizophrenen Psychose erkrankte Patientin, der im Bundesarchiv hier in Berlin archiviert ist, lautet:

„Weiter so. Geistig tot. Das Krankenblatt sollte abgeschlossen werden, da sich auch in Zukunft nichts ändern wird. Der einzige Eintrag, der sich lohnt, ist die Notiz des Sterbedatums.“ [20]

Vor der Ermordung wurde an vielen Patientinnen und Patienten „geforscht“; ethisch nicht zu rechtfertigende Experimente, die nichts mit den Werten von Wissenschaft und Forschung gemein haben. Beispiele sind die Arbeiten an psychisch kranken Kindern und Jugendlichen im Kontext der „Euthanasie“ von Carl Schneider, Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie in Heidelberg, in Kooperation mit Julius Deussen, einem Mitarbeiter der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München. Es handelte sich um aufwändige Experimente an Patienten und dann um ihre Tötung und Obduktion.[21] Auch wurden Untersuchungen an Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten durchgeführt, z.B. TBC-Impfversuche in Kaufbeuren[22], Arbeiten zur Virusgenese der Multiplen Sklerose in Werneck[23] oder auch neuropathologische Untersuchungen an Euthanasie-Opfern, die wahrscheinlich speziell für diese Untersuchungen zur Euthanasie selektiert wurden. Dies geschah so durch Julius Hallervorden am Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Kooperation mit der Anstalt Brandenburg-Görden unter der Leitung des Psychiaters Hans Heinze.[24]

Die Körper und einzelne Präparate der vielen Getöteten waren für Forschungszwecke begehrt und anhand dieser Präparate gewonnene Forschungsergebnisse wurden noch nach dem Krieg veröffentlicht. Im Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin-Buch wurden die Gehirne von mindestens 295 „Euthanasie“-Opfern zur Forschung verwendet.[25] Und noch bis in die Gegenwart hinein gab es einen fast sorglosen Umgang mit Präparaten getöteter Patientinnen und Patienten.[26]

Außerhalb psychiatrischer Institutionen fand Forschung beispielsweise des Tübinger Psychiaters Robert Ritter an Sinti und Roma statt. Diese Forschung war eine weitgehend genealogisch-epidemiologische und trug dazu bei, Identifizierungs- und Selektionskriterien für sogenannte „Zigeuner“ zu finden, die dann in das „Zigeunerlager“ im KZ Auschwitz deportiert wurden.[27]

Gegen all dieses Unrecht in der Psychiatrie zur Zeit des Nationalsozialismus hat es durchaus Widerstand gegeben und Sabotage. Über 50% der Mediziner waren Mitglied einer nationalsozialistischen Organisation, der NSDAP, SA oder SS. Das heißt aber auch, dass fast die Hälfte der Ärzte gerade nicht Mitglied war. Es gab also durchaus Handlungsspielräume, die genutzt werden konnten, ohne Sanktionen nach sich zu ziehen. Widerstand hatte nicht immer negative, persönliche Konsequenzen.[28]

Einige haben Widerstand geleistet. Aber es waren insgesamt nur wenige, viel zu wenige. Vor allem unter niedergelassenen Ärzten gab es solche, die zwischen 1934 und 1939 keine einzige Anzeige auf Vorliegen von möglichen Erberkrankungen bei den zuständigen Amtsärzten und Gesundheitsämtern erstatteten.[29] Ein Grund könnte darin liegen, dass dort, außerhalb der großen Kliniken, der Kontakt zu den Patientinnen und Patienten direkter war, unmittelbarer. Auch das ist heute eine Mahnung an uns, dass wir im Arbeitsalltag die Patientinnen und Patienten nicht aus dem Blick verlieren, die wir betreuen und begleiten. Nur sie sind die Richtschnur unseres ärztlichen Handelns, nicht die Ideologie einer Gesellschaft. Nur die einzelnen Menschen.

Die Menschenwürde ist immer die Würde des einzelnen Menschen. Dies zu missachten darf uns kein Gesetz anleiten. Gustav Radbruch beschrieb 1946 den Konfliktfall zwischen Recht und Gerechtigkeit: Das gesetzte Recht hat prinzipiell den Vorrang vor der Gerechtigkeit, „es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als ‚unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat. (…) wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur ‚unrichtiges Recht‘, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur.“[30]

Nach dem Krieg geschah, was auch in vielen anderen Bereichen in Deutschland geschah. Es wurde verdrängt. Die psychiatrischen Fachgesellschaften wie die Psychiater – mit einigen, ganz wenigen Ausnahmen wie Gerhard Schmidt oder Werner Leibbrand – haben sich nicht zu dem bekannt, was geschehen ist. Dafür empfinden wir heute Scham und sind fassungslos.

Unfassbar ist bis heute die Geschichte des bereits erwähnten Professors Werner Heyde.[31] Er war der medizinische Leiter der „T4“-Aktion. Nach dem Krieg wurde er per Haftbefehl gesucht und machte unter dem Namen Dr. med. Fritz Sawade von 1950 bis 1959 dennoch eine zweite Karriere als Gerichtsgutachter in Schleswig-Holstein. Er wurde von Ärzten und Juristen gedeckt, die über seine wahre Identität informiert waren. Und viele andere, denen seine Doppelidentität ebenso bekannt war, unternahmen nichts – und es war bekannt, innerhalb und außerhalb unseres Faches.

Zugleich wurden frühe Versuche der Aufklärung verhindert und erschwert. Viele Ärzte protestierten, weil sie um ihre Standesehre besorgt waren, als Alexander Mitscherlich und Fred Mielke 1947 ihre Dokumentation „Das Diktat der Menschenverachtung“[32] zum Nürnberger Ärzteprozess veröffentlichten. Eine zweite Dokumentation von 1949, „Wissenschaft ohne Menschlichkeit“ [33], wurde totgeschwiegen.

Professor Gerhard Schmidt, ehemaliger Direktor der Nervenklinik Lübeck, hielt schon am 20. November 1945 einen Rundfunkvortrag über die Verbrechen an psychisch Kranken und geistig Behinderten – aber sein Buchmanuskript darüber fand trotz vieler Versuche 20 Jahre lang keinen Verleger.[34] Ich hatte es vor vielen Jahren gelesen, ein Buch, das mich außerordentlich stark geprägt hat. Psychiater des Nachkriegsdeutschlands aber fürchteten, dem Wiederaufbau und dem – noch immer – guten Ruf der deutschen Psychiater insgesamt mit der Veröffentlichung der Einzelheiten der Verbrechen einen schlechten Dienst zu erweisen. Eine falsche, eine fatale Sichtweise. Ein Versagen der wissenschaftlichen Gemeinschaft, sich zu der eigenen Verantwortung zu bekennen. 1986 erhielt Professor Schmidt für sein Lebenswerk die in jenem Jahr erstmals vergebene Wilhelm-Griesinger-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde. Eine fast vergessene, viel zu späte und seltene Sternstunde unserer Gesellschaft.

Und die Politik? 1956 wurde rückwirkend das Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung verabschiedet. 1965 wurde es zum BEG-Schlussgesetz erweitert. So konnten bis 1969 alle Opfer, die aus rassischen, religiösen oder politischen Gründe verfolgt worden waren, einen Anspruch auf Entschädigung anmelden – nicht aber die Zwangssterilisierten oder die Familien von Euthanasieopfern, weil sie nicht aus rassischen Gründen verfolgt worden seien.[35] Auch dies eine nachträgliche Demütigung der Opfer, zu der wir geschwiegen haben.

Gutachter in den Anhörungen des Bundestagsausschusses für Wiedergutmachung in den 1960er Jahre waren zum Teil dieselben Psychiater, die im Nationalsozialismus Zwangssterilisierungen gerechtfertigt hatten und an den Tötungsaktionen beteiligt waren. Am 13. April 1961 lehnte Werner Villinger laut Protokoll Entschädigungszahlungen mit der zynischen Begründung ab, es sei die Frage, ob bei der Durchführung einer Entschädigung der Zwangssterilisierten „nicht neurotische Beschwerden und Leiden auftreten, die nicht nur das bisherige Wohlbefinden und (…) die Glücksfähigkeit dieser Menschen, sondern auch ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigen.“[36]

Erst 1974 wurde das Erbgesundheitsgesetz außer Kraft gesetzt. Es bestand aber formal weiter. 1988 stellte der Deutsche Bundestag fest, dass die auf der Grundlage des Erbgesundheitsgesetzes vorgenommenen Zwangssterilisierungen nationalsozialistisches Unrecht waren. Zehn Jahre später beschloss der Bundestag, die Entscheidungen der Erbgesundheitsgerichte per Gesetz aufzuheben. Aber erst 2007 wurde schließlich das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom Deutschen Bundestag geächtet.[37] Es stünde im Widerspruch zum Grundgesetz und sei daher faktisch bereits bei dessen Inkrafttreten außer Kraft getreten. Die DGPPN hatte diesen Antrag zur Ächtung des Gesetzes seinerzeit unterstützt.

Weiterhin Bestand aber hat das Bundesentschädigungsgesetz von 1965. Bis heute sind die zwangssterilisierten und ermordeten psychisch kranken Menschen daher nicht explizit als Opfer des NS-Regimes und als Verfolgte aus rassischen Gründen anerkannt. Hier sollte die Politik aktiv werden, bevor es zu spät ist. Erst mit der Aufhebung auch dieses Unrechts würde das fortdauernde Leid der Opfer und ihr Schicksal auch von Seiten des deutschen Staates angemessen gewürdigt.

Mit Bezug auf die Psychiatrie gab es in den späten 1960er und 1970er Jahren erste vereinzelte Publikationen, die Vorgänge darzustellen, so von Hans-Jörg Weitbrecht, Walter Ritter von Baeyer oder Helmut Ehrhardt.[38] Aber alle drei haben die Psychiatrie als Opfer dargestellt.[39] In einem Buch zur 130-jährigen Geschichte der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde von 1972 heißt es, „daß die damalige Vertretung der Psychiater, trotz ihrer scheinbar weitreichenden Befugnisse, ex officio niemals Aktionen wie die ‚Euthanasie‘ gedeckt, befürwortet oder gefördert hat. Auch deswegen sind die wiederholten Versuche, das Fehlverhalten oder die Verbrechen einzelner Psychiater dieser Zeit ‚der deutschen Psychiatrie‘ anzulasten, als objektiv unbegründet zurückzuweisen.“[40]

Autor war der Präsident der DGPN der Jahre 1970–1972, Helmut Ehrhardt, der selber Mitglied der NSDAP gewesen war und Gutachten erstellt hatte, in denen er die Zwangssterilisierungen befürwortete. Noch in der Anhörung zum Bundesentschädigungsgesetz im Deutschen Bundestag im Jahr 1961 betonte er, dass der „materielle Gehalt“[41] des Erbgesundheitsgesetzes „sicher nicht eine nationalsozialistische Erfindung ist, sondern in seinem Kerngehalt wirklich der damaligen und auch der heutigen wissenschaftlichen Überzeugung entspricht“.[42] Eine erneute Verhöhnung und Erniedrigung der Opfer.

Richtig ist, dass es keine offizielle befürwortende Stellungnahme der psychiatrischen Fachgesellschaft zu den Krankentötungen gab. Richtig ist aber auch, dass es keine Stellungnahme dagegen gab. Kein Wort, keine Entschuldigung, keine Mahnung.

Und bis auf wenige Einzelne beteiligte sich damals offensichtlich die große Mehrheit der deutschen Psychiater und Mitglieder unserer Fachgesellschaft bis hin zu deren Vorstand in Forschung, Wissenschaft und Praxis an der Planung, Durchführung und wissenschaftlichen Legitimierung von Selektion, Sterilisation und Tötung.[43]

Ernsthaft begann die Erforschung der Geschichte der Psychiatrie in Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus seit etwa Anfang der 1980er Jahre.[44] Als Psychiater waren dies wesentlich Klaus Dörner – erstmals 1969, dann mit mehreren Publikationen in den 1980er Jahren –, Asmus Finzen und Joachim-Ernst Meyer. Unter den Historikern sind Gerhard Baader, Dirk Blasius und Hans Walter Schmuhl zu nennen. Und 1983 erschien das aufrüttelnde Buch von Ernst Klee „‚Euthanasie‘ im NS-Staat“, welches ich damals ganz ungläubig und fassungslos gelesen hatte. Auch dies ein Buch, welches mich außerordentlich betroffen machte.

Im Rahmen des sogenannten Jubiläumskongresses unter der Präsidentschaft von Uwe Henrik Peters, 1992 in Köln, – dort ist die Gesellschaft in die DGPPN umbenannt worden – wurde in der Mitgliederversammlung eine Resolution verabschiedet, in der die Gesellschaft „ihren Abscheu und ihre Trauer im Rückblick auf den Holocaust an Geisteskranken, Juden und anderen verfolgten Menschen“ bekräftigt. Damals war noch nicht von der institutionellen und persönlichen Schuld und Verstrickung der Psychiater und ihrer Fachgesellschaft die Rede. Aber es waren dennoch deutliche, notwendige Worte.

Während des diesjährigen Kongresses zeigen wir überarbeitet und aktualisiert die Ausstellung „In Memoriam“[45], die erstmals auf dem Weltkongress der World Psychiatric Association 1999 in Hamburg einer großen, internationalen Öffentlichkeit gezeigt wurde. Symposien begleiteten die Ausstellung. Dass damals die internationale Entscheidung auf Deutschland als Gastgeberland des Weltkongresses mit der DGPPN als gastgebender Fachgesellschaft fiel, war ein versöhnliches Zeichen der psychiatrischen Weltgemeinschaft – und es war eine große Verpflichtung, mit dem Gedenken an die Opfer und der Auseinandersetzung unserer fachspezifischen Vergangenheit Ernst zu machen.

In den vergangenen knapp zwei Jahren hat innerhalb der DGPPN ein intensiver Diskussionsprozess stattgefunden, wie mit der eigenen Geschichte umgegangen werden soll. Diese Diskussionen wurden nicht kontrovers, sondern sehr einvernehmlich geführt. Vor genau einem Jahr schließlich wurde die Satzung der DGPPN ergänzt. Es heißt nun dort im ersten Paragrafen:

„Die DGPPN ist sich ihrer besonderen Verantwortung um die Würde und Rechte der psychisch Kranken bewusst, die ihr aus der Beteiligung ihrer Vorläuferorganisationen an den Verbrechen des Nationalsozialismus, an massenhaften Krankenmorden und Zwangssterilisationen erwachsen.“

Als weitere Konsequenz dieses Diskussionsprozesses wurde zu Beginn dieses Jahres vom Vorstand der DGPPN eine internationale Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte der Vorläufergesellschaften in der Zeit des Nationalsozialismus eingerichtet. Sie ist mit vier namhaften Medizin- und Wissenschaftshistorikern besetzt, dem Vorsitzenden Professor Dr. Roelcke aus Gießen, Frau Professor Dr. Sachse aus Wien, Herrn Professor Dr. Schmiedebach aus Hamburg und Herrn Professor Dr. Weindling aus Oxford. Die Kommission ist in ihren Entscheidungen unabhängig von der DGPPN, da wir eine vollständige Transparenz gerade auch dieser Arbeit wollen. Den Mitgliedern der Kommission sind wir für die Unterstützung und Hilfe bei der Aufklärung unserer eigenen Vergangenheit außerordentlich dankbar.

Die Kommission begleitet die von der Fachgesellschaft initiierten und finanzierten Forschungsprojekte, an denen Professor Dr. Schmuhl und Frau Professor Dr. Zalashik arbeiten. Sie sollen klären, in wie weit die Vorläuferorganisationen der DGPPN und deren Repräsentanten bei dem sogenannten Euthanasieprogramm, der Zwangssterilisierung psychisch Kranker, der Vertreibung jüdischer und politisch missliebiger Psychiater und anderen Verbrechen in der Zeit zwischen 1933 und 1945 beteiligt waren.

Der Abschlussbericht soll in knapp zwei Jahren vorgelegt werden, um dann in einer zweiten Arbeitsphase die ebenso fällige Aufarbeitung der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg zu untersuchen. Auch dies ist wichtig: welche Konsequenzen ergaben sich, welche Personen waren beteiligt, welche Lehren wurden wann aus den schrecklichen Taten im sogenannten „Dritten Reich“ gezogen? Darüber ahnen wir mehr, als wir mit Sicherheit zu sagen wissen.

„Geistiger Tod“, „Ballastexistenzen“, „lebensunwertes Leben“, all diese Worte gehen nur sehr schwer über die Lippen. Sie erschüttern und verstören zutiefst – und im Wissen um die aktive Beteiligung von Psychiatern an Gleichschaltung, Zwangssterilisierung und Mord erfüllen sie uns mit Scham, Zorn und großer Trauer.

Scham und Trauer auch darüber, dass erst jetzt, 70 Jahre nach den Taten, die Organisation, als deren Präsident ich hier zu Ihnen spreche, beginnt, sich systematisch mit ihrer Vergangenheit und der Geschichte ihrer Vorgängerorganisationen in der Zeit des Nationalsozialismus zu befassen, aufzuarbeiten, und – unabhängig von allen noch zu erhebenden historischen Details – bei den Opfern von Zwangsemigration, Zwangssterilisierung, Zwangsforschung und Ermordung, um Entschuldigung zu bitten.

Im Namen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde bitte ich Sie, die Opfer und deren Angehörige, um Verzeihung für das Leid und das Unrecht, das Ihnen in der Zeit des Nationalsozialismus im Namen der deutschen Psychiatrie und von deutschen Psychiaterinnen und Psychiatern angetan wurde, und für das viel zu lange Schweigen, Verharmlosen und Verdrängen der deutschen Psychiatrie in der Zeit danach.

Viele Opfer, auch diejenigen, die nicht getötet wurden und deren Angehörige, leben heute nicht mehr. Insofern kommt diese Bitte zu spät. Sie kommt aber vielleicht noch nicht zu spät für die Lebenden und die Nachfahren, einige sind heute unter uns, und für alle psychisch kranken Menschen heute und für die heutigen Psychiaterinnen und Psychiater und die DGPPN selbst.

Leid und Unrecht, schon gar nicht der Tod, können ungeschehen gemacht werden. Aber wir können lernen – und wir haben viel gelernt, die Psychiatrie ebenso wie die gesamte Medizin, Politik und Gesellschaft. Und wir können gemeinsam für eine humane, menschliche, am einzelnen Menschen orientierte Psychiatrie eintreten und arbeiten, kämpfen gegen die Stigmatisierung und Ausgrenzung psychisch Kranker, im steten Gedenken an die Opfer.

Wir Psychiaterinnen und Psychiater sollen keine Werturteile über Menschen fällen, wir lehren, forschen, behandeln, begleiten und heilen. Die unantastbare Menschenwürde ist immer die Würde des einzelnen Menschen und kein Gesetz und kein Forschungsziel dürfen uns dazu anleiten, diese zu missachten.

Wir haben gelernt, gerade auch aus dem Versagen heraus. Das stimmt hoffnungsvoll in den aktuellen medizinethischen Diskussionen, bei denen es nur zu schnell auch um den „Wert“ oder „Unwert“ von Menschen geht, wie denen zur Präimplantationsdiagnostik oder zur Sterbehilfe. Diese Diskussionen bleiben schwierig – aber das Ziel ist für mich, ist für die DGPPN ganz klar: Arbeiten wir für eine humane Medizin, eine menschenwürdige Zukunft und für die Achtung der Würde aller Menschen.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Prof. Dr. Dr. Frank Schneider, Aachen
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, 
Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)

 
Diese Rede wurde von dem Vorstand der DGPPN am 23. November 2010 als Dokument der Gesellschaft einstimmig verabschiedet. Wir danken Carsten Burfeind, M.A., (Berlin) und Prof. Dr. Volker Roelcke (Gießen) sehr für ihre Hinweise und Kommentare.

Copyright: DGPPN

  1. Titel des 1922 bei Fritz Fink, Weimar, erschienen Buches von E. Mann.
  2. Dargestellt in: Zalashik, R., Davidovitch, N., Professional identity across the borders: Refugee psychiatrists in Palestine, 1933–1945, in: Social History of Medicine 22, 2009, S. 569–587; Weindling, P., Alien Psychiatrists: The British assimilation of psychiatric refugees, in: Roelcke, V., Weindling, P., Westwood, L. (Hg.), International Relations in Psychiatry: Britain, America, and Germany to World War II, Rochester/NY: University of Rochester Press, 2010, S. 218–235.
  3. Roelcke, V., Hohendorf, G., Rotzoll, M., Psychiatrische Wissenschaft, „Euthanasie“ und der „Neue Mensch“: Zur Diskussion um anthropologische Prämissen und Wertsetzungen in der Medizin im Nationalsozialismus, in: Frewer, A., Eickhoff, C. (Hg.), „Euthanasie“ und die aktuelle Sterbehilfe-Debatte. Die historischen Hintergründe medizinischer Ethik, Frankfurt/M.: Campus, 2000, S. 193–217.
  4. Weingart, P., Kroll, J., Bayertz, K., Rasse, Blut und Gene. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1988, S. 284; Nowak, K., „Euthanasie“ und Sterilisierung im „Dritten Reich“, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1980, S. 39.
  5. Ganssmüller, C., Die Erbgesundheitspolitik des Dritten Reiches, Köln: Böhlau, 1987, S. 13f.
  6. Gütt, A., Rüdin, R., Ruttke, F., Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juni 1933 nebst Ausführungsverordnungen, München: J. F. Lehmanns, 1936, 2. Auflage.
  7. Roelcke, V., Wissenschaft im Dienst des Reiches: Ernst Rüdin und die Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie, in: Hockerts, G., Hajak, S. (Hg.), München und der Nationalsozialismus, Berlin: Metropol, 2008, S. 313–331.
  8. a.a.O., S. 5, im Vorwort zur 1. Auflage von 1934 (s. Anm. 6).
  9. Rüdin, E., Bedeutung der Forschung und Mitarbeit von Neurologen und Psychiatern im nationalsozialistischen Staat, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 165, 1939, S. 7–17.
  10. Und weiter: „Dieses Ziel ist jedoch nur dann zu erreichen und für die Dauer sicherzustellen, wenn der Zuchtgedanke Kerngehalt des Rassegedankens bleibt. Die künftigen Rechtswahrer müssen sich über das Zuchtziel des deutschen Volkes […] klar sein.“ a.a.O., S. 55 (s. Anm. 6).
  11. Binding, K., Hoche, A., Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form, Leipzig: Meiner, 1920 (2. Auflage 1922), S. 57, nach Nowak, K., a.a.O. (s. Anm. 4), S. 51.
  12. Nationalsozialistische Monatshefte 1, 1930, S. 298, nach Nowak, K., a.a.O., S. 43.
  13. Faulstich, H., Die Zahl der „Euthanasie“-Opfer, in: Frewer, A., Eickhoff, C. (Hg.), Euthanasie und die aktuelle Sterbehilfe-Debatte. Die historischen Hintergründe medizinischer Ethik, Frankfurt/M.: Campus, 2000, S. 218–234.
  14. Rotzoll, M., Hohendorf, G., Fuchs, P., et al. (Hg.), Die nationalsozialistische „Euthanasie“-Aktion „T4“ und ihre Opfer, Paderborn: Schöningh, 2010.
  15. Schmuhl, H.-W., Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie: Von der Verhütung zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“, 1890–1945, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1987, S. 192.
  16. Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, S. 210–214.
  17. Friedlander, H., The origins of Nazi genocide: From euthanasia to the final solution, Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1995.
  18. Dargestellt in Faulstich, H., Hungersterben in der Psychiatrie 1914–1949. Mit einer Topographie der NS-Psychiatrie, Freiburg/Br.: Lambertus, 1998; als lokales Beispiel, vgl. Schwarz, P., Mord durch Hunger, ‚Wilde Euthanasie‘ und ‚Aktion Brandt‘ am Steinhof in der NS-Zeit, in: Gabriel, E., Neugebauer, W. (Hg.), Von der Zwangssterilisierung zur Ermordung, Wien: Böhlau, 2002, S. 113–142.
  19. Brief von Dr. Wischer an Professor Nitsche, Leiter der Hauptabteilung I, vom 4.11.1943, nach Schmuhl, Rassenhygiene, 1992, S. 232 (vgl. Aly, G., Medizin gegen Unbrauchbare, in: Beiträge zur Nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik 1, 1985, S. 9–74, dort S. 61, s. auch Klee, E., „‚Euthanasie‘ im NS-Staat“, Frankfurt/M.: S. Fischer, 1983, S. 427.
  20. Bundesarchiv Berlin R 179/24884 nach Rotzoll, M., Fuchs, P., Richter, P., Hohendorf, G.: Die nationalsozialistische „Euthanasieaktion T4“, in: Nervenarzt 81, 2010, S. 1326–1332, dort S. 1331.
  21. Roelcke, V., Psychiatrische Wissenschaft im Kontext nationalsozialistischer Politik und „Euthanasie“: Zur Rolle von Ernst Rüdin und der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie, in: Kaufmann, D. (Hg.), Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Göttingen: Wallstein, 2000, S. 112–150; Roelcke, V., Hohendorf, G., Rotzoll, M., Erbpsychologische Forschung im Kontext der „Euthanasie“: Neue Dokumente und Aspekte zu Carl Schneider, Julius Deussen und Ernst Rüdin, in: Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie 66, 1998, S. 331–336.
  22. Dahl, M., „…deren Lebenserhaltung für die Nation keinen Vorteil bedeutet“: Behinderte Kinder als Versuchsobjekte und die Entwicklung der Tuberkulose-Schutzimpfung, in: Medizinhistorisches Journal 37, 2002, S. 57–90; s. a. von Cranach, M., Siemen, L. (Hg.), Psychiatrie im Nationalsozialismus: Die Bayerischen Heil- und Pflegeanstalten zwischen 1933 und 1945, München: Oldenbourg, 1999.
  23. Peiffer, J., Neurologie im „Dritten Reich“, in: Nervenarzt 69, 1998, S. 728–733.
  24. Shevell, M.I., Peiffer, J., Julius Hallervorden’s wartime activities. Implications for science under dictatorship, in: Pediatric Neurology 25, 2001, S. 162–165.
  25. Peiffer, J., Neuropathologische Forschung an „Euthanasie“-Opfern in zwei Kaiser-Wilhelm-Instituten, in: Kaufmann, D. (Hg.), Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Göttingen: Wallstein, 2000, S. 151–173.
  26. Peiffer, J., Hirnforschung im Zwielicht: Beispiele verführbarer Wissenschaft aus der Zeit des Nationalsozialismus, Husum: Matthiesen, 1997; Berichte der Kommission zur Überprüfung der Präparatesammlungen in den medizinischen Einrichtungen der Universität Tübingen im Hinblick auf Opfer des Nationalsozialismus, hg. vom Präsidenten der Universität Tübingen, Tübingen 1990; Seidelman, W., Academic medicine during the Nazi period: The implications of creating awareness of professional responsibility today, in: Rubenfeld, S. (Hg.), Medicine after the Holocaust, New York: Palgrave, 2010, S. 29–36.
  27. Zimmermann, M. (Hg.), Zwischen Erziehung und Vernichtung: Zigeunerpolitik und Zigeunerforschung im Europa des 20. Jahrhunderts, Stuttgart: F. Steiner, 2007, darin die Beiträge von A. Cottebrune, M. Luchterhandt und E. Rosenhaft.
  28. Lifton, R.J., Ärzte im Dritten Reich, Stuttgart: Klett-Cotta, 1993, S. 93ff; Klee, E., S. 223ff.; Roelcke, V., Medicine during the Nazi period: Historical facts and some implications for teaching medical ethics and professionalism, in: Rubenfeld, S. (Hg.), Medicine after the Holocaust, New York: Palgrave, 2010, S. 17–28.
  29. Ley, A., Zwangssterilisation und Ärzteschaft: Hintergründe und Ziele ärztlichen Handelns, Frankfurt/M.: Campus, 2004, S. 230–303.
  30. Radbruch, G., Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, in: Süddeutsche Juristenzeitung 1, 1946, S. 105–108, dort S. 107.
  31. Vgl. Godau-Schüttke, K.-D., Die Heyde/Sawade-Affäre, 3. Auflage, Baden-Baden: Nomos, 2010.
  32. Mitscherlich, A., Mielke, F. (Hg.), Das Diktat der Menschenverachtung: eine Dokumentation, Heidelberg: Lambert Schneider, 1947.
  33.  Erstveröffentlichung unter dem Titel Wissenschaft ohne Menschlichkeit, Heidelberg: Lambert Schneider, 1949, ab 1960 unter dem Titel Medizin ohne Menschlichkeit: Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, Frankfurt/M.: Suhrkamp (16. Auflage), 2004.
  34. Schmidt, G., Selektion in der Heilanstalt 1939–1945, Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1965.
  35. Vgl. Schriftlicher Bericht des Ausschuss für Fragen der Wiedergutmachung, Bundestagsdrucksache 2382, S. 12f. und S. 57; hierzu und zum Folgenden als Überblick: Surmann, R., Was ist typisches NS-Unrecht? Die verweigerte Entschädigung für Zwangssterilisierte und ‚Euthanasie‘-Geschädigte, in: Hamm, M. (Hg.), Lebensunwert - zerstörte Leben. Zwangssterilisation und Euthanasie, Frankfurt/M.: VAS-Verlag, 2005, S. 198–211; Scheulen, A., Zur Rechtslage und Rechtsentwicklung des Erbgesundheitsgesetzes 1934, in: Hamm, M. (Hg.), Lebensunwert - zerstörte Leben. Zwangssterilisation und Euthanasie, Frankfurt/M.: VAS-Verlag, 2005, S. 212–219.
  36. Protokoll zur 34. Sitzung des Ausschusses für Wiedergutmachung, Donnerstag, den 13. April 1961, S. 16.
  37. Plenarprotokoll 16/100, 100. Sitzung des Deutschen Bundestages, Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007.
  38. Ehrhardt, H.E., Euthanasie und „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, Stuttgart: F. Enke, 1965; von Baeyer, W., „Die Bestätigung der NS-Ideologie in der Medizin unter besonderer Berücksichtigung der Euthanasie“, in Nationalsozialismus und die Deutsche Universität, Freie Universität 1966, Berlin: de Gruyter, 1966, S. 63–75; Weitbrecht, H.-J., Psychiatrie in der Zeit des Nationalsozialismus, Bonn: P. Hanstein, 1968.
  39. Vgl. dazu die Analyse in Roelcke, V., Trauma or responsibility? Memories and historiographies of Nazi psychiatry in postwar Germany, in: Sarat, A., Davidovich, N., Alberstein, M. (Hg.), Trauma and memory. Reading, healing, and making law, Stanford: Stanford University Press, 2007, S. 225–242.
  40.  Ehrhardt, H.E.: 130 Jahre Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde, Wiesbaden: Steiner, 1972, S. 15.
  41. Deutscher Bundestag, Protokoll 34. Sitzung des Ausschusses für Wiedergutmachung, Donnerstag, den 13. April 1961, S. 25 oben.
  42.   Ebd, unten.
  43.  Vgl. Meyer-Lindenberg, J., The Holocaust and German Psychiatry, British Journal of Psychiatry 159, 1991, S. 7–12, dort S. 9; Roelcke, V., Psychiatrie im Nationalsozialismus. Historische Kenntnisse, Implikationen für aktuelle ethische Debatten, in: Nervenarzt 81, 2010, S. 1317–1325.
  44. Zur Geschichte der Aufarbeitung, vgl. Roelcke, Trauma or responsibility (Anm. 39).
  45.  von Cranach, M., Schneider, F., In Memoriam. Erinnerung und Verantwortung. Ausstellungskatalog. Berlin: Springer, 2010.