Die vergessenen Opfer

Ruth Fricke

Auch heute 66 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges sind die Opfer von Zwangssterilisation und Patientenmord in der NS-Zeit immer noch nicht als Verfolgte des Nazi-Regimes anerkannt, bekommen Zwangssterilisierte und „Euthanasie“-Geschädigte nicht dieselbe Entschädigung, wie die Überlebenden und Hinterbliebenen der in den KZ´s Ermordeten Menschen, gibt es bis heute keine würdige nationale Gedenkstätte für diese Opfergruppe. Dabei der gesamte NS-Rassismus mit Gesetzen und aggressiver Negativwerbung gegen kranke und behinderte Menschen.

Vor 70 Jahren unterzeichnete Hitler den „Euthanasie“-Erlass. Er hatte die Unterzeichnung auf den 1.9.1939 rückdatiert, um den Krieg nach innen und außen zeitgleich beginnen zu lassen und der Krieg nach innen galt nun einmal kranken und behinderten Menschen.

Der Rassenwahn der Nationalsozialismus nahm seinen Anfang mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933. Es folgte eine Reihe weiterer Gesetze und Erlasse bevor schließlich die Tötungsmaschinerie für die als lebensunwert deklarierten kranken und behinderten Menschen in Gang gesetzt wurde.  An ihnen wurden die Mordmethoden erprobt, die später auch in den Konzentrationslagern bei Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen und politischen Gegnern eingesetzt wurden. Während alle anderen Opfergruppen als Verfolgte des Naziregimes anerkannt und entsprechend entschädigt wurden, ist den Zwangssterilisierten und ermordeten Patienten und deren Hinterbliebenen dies bisher versagt geblieben. Der Deutsche Bundestag hat zwar im Mai 2007 das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses geächtet und die Zwangssterilisierten bekommen seit den 80er Jahren auch eine kleine Rente. Eine Opfergleichstellung aus der auch eine vergleichbare Entschädigung und ein würdiger nationaler Gedenkort folgen würde, ist aber bisher noch nicht realisiert.

Die DGPPN gedenkt in diesem Jahr dieser Opfer und bekennt sich auch zur Schuld ihres Berufsstandes. Setzen Sie damit ein Zeichen, dafür dass die Gleichstellung der Opfer 75 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetztes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und 70 Jahre nach Unterzeichnung des „Euthanasie“-Erlasses endlich Realität werden muss. Dies betrifft sowohl die Entschädigung, als auch die Schaffung eines würdigen nationalen Gedenkortes in der Tiergartenstraße 4 in Berlin Mitte. Wir möchten dass hier ein Dokumentations- und Bildungsstätte entsteht, ich der jeder anhand elektronischer Dokumente die Gräuelgeschichten der Betroffenen nachverfolgen kann, wo Diskurse zu aktuellen Themen stattfinden können, mit dem Ziel in dem Sinne aus der Geschichte zu lernen, dass die Entscheidung, ob ein Leben lebenswert oder lebensunwert, ist, nur die Person treffen kann, die dieses Leben lebt. Die derzeit wieder aufflammende Debatte über PID ist z.B. so ein Thema. Hier sollte auch das gigantische Netz incl. der Reichsführer-Ärzteschule in Alt-Rhese, der Tötungs- und Zwischenanstalten dargestellt werden, welches aufgebaut wurde, um den realen Verbleib und das reale Todesdatum der Opfer zu vertuschen, ebenso wie das aus Hebammen, Gesundheitsämtern und weiteren öffentlichen Stellen bis hin in die Nachbarschaft reichende Spitzelwesen um Menschen auf-zuspüren, die dann zwangssterilisiert und/oder ermordet wurden.

Diesen Opfern muss endlich Ihre Würde zurückgegeben werden und das geht nur durch Gleichstellung mit den anderen Opfergruppen.


Ruth Fricke, Herford
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied, Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener (BPE e.V.)