27.07.2021 | Stellungnahme

PsychKG: Zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes Hessens

Die DGPPN begrüßt die folgenden Änderungen im o. g. Gesetzentwurf: 

  • § 3 (1): die Ergänzung der Förderung der Selbstbestimmungsfähigkeit des Patienten durch Unterstützungsmaßnahmen als Ziel der Hilfen des Gesetzes
  • § 6 (1): die Änderung, dass ein Psychiatriekoordinator bestellt werden soll, statt kann.
  • § 6a: die Einrichtung gemeindepsychiatrischer Verbünde
  • § 10 (2): die Streichung des Absatzes, wonach auch Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Erwachsenenpsychiatrie untergebracht werden können
  • § 14 (1) Satz 2: die Präzisierung in der Berichtspflicht hinsichtlich der Diagnose nach ICD-10
  • § 14 (1) Satz 5 und 6: die Anzahl an Unterbringungen nach § 17 (1), bei denen keine Notwendigkeit einer Weiterbehandlung besteht
  • § 16 (2): die Benennung des Gesundheitsamts als zuständige Behörde
  • § 17 (1): die Klarstellung, dass der bestellte Arzt das Antragsrecht im Falle einer sofortigen vorläufigen Unterbringung hat
  • § 19: die Aufnahme von Aspekten zur Eruierung des möglichen Patientenwillens bei einwilligungsunfähigen Patienten
  • § 21: die Berücksichtigung der wesentlichen Eckpunkte des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Fixierung 
     

Zu den folgenden Paragrafen macht die DGPPN Vorschläge zur Veränderung. 

§ 1 Anwendungsbereich
Die sehr weite Fassung des Anwendungsbereichs dieses Gesetzes, der auch Menschen einschließt, bei denen nur (einzelne) Anzeichen für eine Funktionseinschränkung, Krankheit oder Behinderung bestehen, ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Zu denken ist an die Stigmatisierung oder an die Unterbringung einwilligungsfähiger psychisch erkrankter Menschen oder gar Gesunder und ähnliches. Deshalb sollte der Anwendungsbereich des Gesetzes auf Menschen mit psychischen Erkrankungen beschränkt werden.

§ 3 (1) Begriff und Ziel der Hilfen
Hier sollte es in Satz 2 anstatt „Hinführung zu ärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung“, „Hinführung zu medizinischer einschließlich psychotherapeutischer Behandlung“ heißen, weil Psychotherapie Teil ärztlichen Tuns ist.

§ 5 (2) Ambulante Hilfen des Sozialpsychiatrischen Dienstes
Die zwangsweise Vorladung von Menschen, die nach § 1 möglicherweise nur einzelne Anzei-chen einer psychiatrischen Erkrankung aufweisen, ist sehr problematisch und eigentlich nur aus polizeirechtlicher Tradition heraus verstehbar. Zielführend wäre es, als wesentliches Eingangskriterium für Besuche des sozialpsychiatrischen Dienstes oder einer Vorladung zu formulieren, dass sie dann erfolgen sollen, wenn es konkrete Hinweise auf eine Einschrän-kung der Selbstbestimmungsfähigkeit der betroffenen Person gibt.

§ 9 Voraussetzungen von Unterbringung
Die hier formulierten Eingangsvoraussetzungen für die Unterbringung sind nicht mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und den Eckpunkten der DGPPN (DGPPN 2015) zur öffentlich-rechtlichen Unterbringung vereinbar, weil die Unterbringung selbstbestimmungsfähiger Personen erlaubt wird. Die Unterbringung eigen- und fremdgefährdender, aber selbstbestimmungsfähiger Menschen mit psychischen Erkrankungen oder gar nur einzelner Symptome einer solchen Erkrankung in psychiatrischen Krankenhäusern verletzt zum einen den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 3 GG und des § 12 der UN-BRK, weil die Unterbringung ausschließlich psychisch kranke Menschen betrifft. Gleichzeitig verstößt dies gegen § 14 der UN-BRK, der bestimmt, dass das Vorliegen einer Behinderung in keinem Fall eine Freiheitsentziehung rechtfertigt. Deshalb sollte als zwingende Voraussetzung für eine Unterbringung postuliert werden, dass eine Einschränkung der Selbstbestimmungsfähigkeit vorliegt oder zumindest konkrete Anhaltspunkte auf diese hindeuten.

Aus fachlicher Sicht ist ferner zu fordern, dass eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur dann für zulässig erklärt wird, wenn eine Behandlung sinnvoll und möglich ist bzw. sein könnte. Eine „erhebliche Gefahr für…bedeutende Rechtsgüter Anderer“ ist ein unbestimmter Begriff und birgt deshalb die Gefahr, dass die Unterbringung psychisch kranker Menschen aus unverhältnismäßigen Anlässen erfolgt. 
Wir schlagen eine Konkretisierung vor, z. B.: „erhebliche Gefahr für…bedeutende Rechtsgüter Anderer, insbesondere Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die wirtschaftliche Existenz“.

§ 10 Psychiatrische Krankenhäuser
Nach wie vor besteht eine Gesetzeslücke für Patienten, die an einer schweren psychiatrischen Erkrankung leiden und die die Unterbringungsvoraussetzungen erfüllen, aber zunächst bspw. wegen einer Intoxikation, eines Nierenversagens o. ä. auf einer somatischen Station behandelt werden müssen.

Zu Abs. 4 (neu Abs. 3): Die Formulierung „offene und freie Formen” ist unpräzise. 
Deshalb sollte Abs. 3 wie folgt formuliert werden: „Die Unterbringung kann in geschlossenen und offenen Stationen erfolgen, je nachdem, wie dies von der fachärztlich zuständigen Leitung als sachgerecht angesehen wird. Dabei ist Patienten auch Ausgang zu gewähren, soweit der Zweck der Unterbringung dies zulässt.“

Zu Abs. 5 (neu Abs. 4): Eine Minimierung der Einschränkung von Freiheitsrechten, wie sie Abs. 4 fordert, steht im Konflikt mit dem Ziel der Minimierung der Entweichungswahrscheinlichkeit. Eine Minimierung der Einschränkung von Freiheitsrechten ist nicht nur aus verfassungsrechtlichen, sondern auch aus medizinischen Gründen geboten. Deshalb sollte hier folgendermaßen formuliert werden (Vorschlag in fett): „Die psychiatrischen Krankenhäuser haben durch geeignete Maßnahmen so weit wie möglich sicherzustellen, dass sich die untergebrachten Personen der Unterbringung nicht entziehen“.

§ 11 (1) Beleihung und Bestellung
Die Verpflichtungen der Träger durch die Beleihung müssen korrespondierend ergänzt werden durch eine Verpflichtung der öffentlichen Hand, die notwendigen Finanzmittel bereit zu stellen, sofern die Träger der Einrichtung diese nicht aus anderen Quellen, z. B. von den Krankenkassen erhalten. Die aktuelle Entwicklung der Entgeltsystematik in psychiatrischen Kliniken bewegt sich sehr in Richtung einer marktwirtschaftlichen Orientierung mit dem Ziel des Preiswettbewerbs zwischen den Einrichtungen. Dies dürfte langfristig zu Absenkungen der Vergütungen ohne Rücksicht auf die besonderen Bedürfnisse und Notwendigkeiten im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung führen und damit zu höheren Kosten für das Land.

§ 13 Besuchskommission und § 32 Unabhängige Beschwerdestelle
Die Tätigkeiten der Besuchskommissionen und der Beschwerdestellen stellen wichtige unabhängige Aufgaben im Gesetz dar. Ohne adäquate Vergütung bzw. Lastenausgleich stellt dies eine starke Einschränkung auf einen Personenkreis dar, der sich eine ehrenamtliche Tätigkeit in großem zeitlichen Umfang (Besuchskommission) leisten kann.

§ 14 Berichtspflicht
Art und Umfang der Datenlieferung sollte von dem hessischen Datenschutzbeauftragten auf Konformität und Legitimität geprüft werden.

Zu § 14 (1) Satz 3 Nr. 2: Eine anonymisierte Patientennummer müsste auch für die aufgenommenen, aber nach Prüfung im Sinne von § 17 nicht untergebrachten Patienten vergeben werden.

Zu § 14 (1) Satz 3 Nr. 7: Eine Meldung der nichtaufgenommenen Fälle bei Zuführung nach § 32 nach HSOG sollte durch die Polizei erfolgen, da bei Nichtaufnahme auch keine anonymisierte Patienten-Nummer vergeben wird. Diejenigen, die im Rahmen des HSOG anordnen, sollten auch berichten.

Eine konkrete Ausführungsbestimmung zur Berichtspflicht fehlt weiterhin. Wir empfehlen eine Orientierung an dem Standard in Baden-Württemberg, um auch länderübergreifend Benchmark zu ermöglichen. Daher sollte ein Absatz 2 ergänzt werden:

„Die Fachaufsicht erstellt jährlich einen Landesbericht aus den nach § 14 Absatz 1 von der Kliniken bereitgestellten Daten und veröffentlicht diesen in anonymisierter geeigneter Form (Homepage, Landesärzteblatt).“

§ 15 Fachaufsicht
Zu Abs. 2: Ähnlich wie in § 11 muss auch hier sichergestellt werden, dass das Ministerium den Kliniken nicht Weisungen erteilt, für die keine Finanzierung gegeben ist. Am Ende des Absatzes sollte präziser formuliert werden: „Das Weisungsrecht bezieht sich nicht auf diagnostische und therapeutische ärztliche Maßnahmen“.

Zu Abs. 3: Hier muss einschränkend darauf hingewiesen werden, dass die Einsicht in Akten auf Patienten beschränkt sein muss, die in der Klinik untergebracht sind oder waren.

§ 16 (3) Unterbringungsverfahren
Damit Verwaltungsbehörden außerhalb Hessens nicht mit der Durchführung des PsychKHG involviert werden, wird folgender Vorschlag (in fett) gemacht:

„Örtlich zuständig ist die Verwaltungsbehörde des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthaltsortes der unterzubringenden Person. Bei Fehlen eines Wohnsitzes oder eines gewöhnlichen Aufenthaltsortes im Geltungsbereich des Gesetzes oder wenn diese nicht feststellbar sind, ist die Verwaltungsbehörde des aktuellen Aufenthaltsortes zuständig.“

§ 18 Rechtsstellung
Hier wird auf den Unterbringungszweck Bezug genommen, der bisher im Gesetz nicht definiert ist. Zweck der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sollte die Abwehr bzw. Beseitigung einer gegenwärtigen Eigen- oder Fremdgefährdung durch eine medizinische Behandlung sein, die zumindest auch im Interesse des Betreuten liegt. Eine Unterbringung ohne die Möglichkeit einer Behandlung oder eine Unterbringung, die ausschließlich im Interesse Dritter liegt, darf – nach Meinung der DGPPN – nicht in einem psychiatrischen Krankenhaus erfolgen.

§ 21 Besondere Sicherungsmaßnahmen
Die DGPPN begrüßt, dass die wesentlichen Eckpunkte des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Fixierung vom 24.7.20218 berücksichtigt.

Zu Abs. 1 Satz 2 Nr. 6: Die „sonstige Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch eine mechanische Vorrichtung“ sollte definiert werden.

Zu Abs. 3 Satz 1: Es ist nicht praktikabel, dass Anträge auf Genehmigung einer Fixierung von der ärztlichen Leitung gestellt werden müssen. Die Notwendigkeit hierfür erschließt sich auch nicht. Der Antrag sollte von bestellten Ärzten nach § 11 PsychKHG gestellt werden, entsprechend den Aufgaben und Kompetenzen ihrer Bestellung. Eine andere Regelung ist im klinischen Alltag der Versorgungspsychiatrie nicht realisierbar.

Es sollte zudem ein Absatz hinzugefügt werden, dass auch Unterbringungen in einem besonders gesicherten Raum ohne gefährdende Gegenstände (Abs. 1, Satz 2 Nr. 2) ebenfalls nur durch das Gericht auf ärztlichen Antrag hin angeordnet werden kann, sofern sie absehbar länger als 24 Stunden andauern wird. Isolierung stellt ebenfalls einen erheblichen Grundrechtseingriff dar, der nach höchstrichterlicher Rechtsprechung und aus medizinethischer Perspektive nicht in jedem Fall im Vergleich zu einer 5- oder 7-Punkt-Fixierung als milderes Mittel anzusehen ist. 

§ 26 Beurlaubung
Die Befristung der Beurlaubung auf zwei Wochen sollte entfallen.

§ 28 (2) Entlassung 
Die Bedenken zum Datenschutz bei Weitergabe von Informationen an den Sozialpsychiatrischen Dienst sind noch immer nicht zur Gänze bei allen Kliniken ausgeräumt und bedürfen einer Konkretisierung hinsichtlich Art und Weise sowie Inhalt der weiterzugebenden Daten. Klarzustellen ist insbesondere, dass der SpDi bei Unterbringungsverfahren nach § 16, aber nicht grundsätzlich bei vorläufigen Unterbringungen nach § 17 zu informieren ist.

 

Literatur
DGPPN (2015) DGPPN-Eckpunktepapier für die Regelung der öffentlich-rechtlichen Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern. Zugriff 14.7.2021

 

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