Digitale Therapien

Die Nachfrage nach Psychotherapie steigt: Mehr Menschen als früher suchen nach psychotherapeutischer Unterstützung, insbesondere aufgrund depressiver oder ängstlicher Symptome. Aber die Ressourcen sind knapp und nicht überall kann kurzfristig eine Behandlung ermöglicht werden. Digitale Therapien könnten die Lösung sein. Ob Videosprechstunde oder elektronische Gesundheitsanwendung – durch den Einsatz digitaler Therapien können Kapazitäten erweitert, Kosten reduziert und Wartezeiten überbrückt werden. Aber: Was können Apps wirklich leisten? Können Sie den therapeutischen Kontakt ersetzen? Unter welchen Umständen und bei welchen Erkrankungen sind sie hilfreich? Und was ist bei der Anwendung zu beachten? 

Prof. Dr. Peter Zwanzger 
Mitglied des DGPPN-Vorstands und Leiter des Referats „Digitale Psychotherapie“:

„Digitale Therapieanwendungen sind ein Segen für die psychiatrische Versorgung – wenn man sie angemessen zum Einsatz bringt. Dann können sie Therapien unterstützen und Wartezeiten überbrücken. Sie sind aber kein Allheilmittel.

Besonders viel wird aktuell über die „Apps auf Rezept“ gesprochen, die digitalen Gesundheitsanwendungen oder DiGAs. 50 Prozent der zugelassenen Anwendungen beziehen sich auf psychische Erkrankungen. Die Therapien basieren meist auf verhaltenstherapeutischen Methoden und enthalten in der Regel Elemente der Psychoedukation und spezielle störungsspezifische Übungen. Die meisten der aktuell zugelassenen DiGAS fokussieren auf affektive Erkrankungen, insbesondere depressive Störungen und Angsterkrankungen. Es gibt aber auch DiGAs für Ess- oder Schlafstörungen, Substanzmissbrauch, Schmerzen oder kognitive Beeinträchtigungen. Wichtig ist: DiGAs sind kein eigenständiges Therapeutikum, sondern ein unterstützendes, supportives Medium. Trotzdem lassen sich damit psychiatrisch-psychotherapeutische Ressourcen einsparen, denn die Begleitung des Prozesses kann auch durch die Hausarztpraxis vor Ort erfolgen.

Besonders spannend und vielversprechend sind Anwendungen, die im Bereich der Angst- und Panikstörungen zum Einsatz kommen: Virtual-Reality-Therapien. Bei Angststörungen sind Expositionen die Therapie der Wahl: Durch die Konfrontation mit dem angstauslösenden Reiz kann eine Phobie überwunden werden. Die Situation sollte dabei so konkret und real wie möglich sein. Konfrontationen, die nur in Gedanken durchgeführt werden, sind nicht so wirksam wie Konfrontationen, die real, das heißt in vivo, gemacht werden. Natürlich sind Expositionen in vivo aber sehr aufwändig für alle Beteiligten. Da sind Virtual-Reality-Therapien eine gute Lösung. Mit dem Aufsetzen einer Virtual-Reality-Brille wird die Patientin in eine real wirkende Situation versetzt, die die gleichen Gefühle hervorrufen soll, wie die Realität. Je nach zu behandelnder Phobie kann das beispielsweise der Besuch einer Aussichtplattform eines hohen Gebäudes, ein Transatlantikflug oder auch ein Vortrag vor anderen Menschen sein. Ob diese Konfrontation genauso wirksam ist wie eine nicht-virtuelle, ist aktuell Gegenstand verschiedener Studien. Sicher ist aber schon: Wer zunächst eine Virtual-Reality-Exposition macht, tut sich leichter, überhaupt eine Therapie zu beginnen. Und für Behandelnde wird es so leichter und günstiger, Expositionstherapien anzubieten.“

Literatur
  • Cantarino A (2023) Economic evaluation of 27,540 patients with mood and anxiety disorders and the importance of waiting time and clinical effectiveness in mental healthcare. Nature Mental Health 1:667-678. https://doi.org/10.1038/s44220-023-00106-z
  • Kaiser T et al (2021) Maintaining Outcomes of Internet-Delivered Cognitive-Behavioral Therapy for Depression: A Network Analysis of Follow-Up Effects. Frontiers in Psychiatry 12. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2021.598317
  • Zwanzger P, Sich M, Diemer J (2021) Virtuelle Realität bei Angsterkrankungen – vom experimentellen Tool zur klinischen Praxis. Fortschr Neurol Psychiatr 89:617-621. https://doi.org/10.1055/a-1526-2210
  • Twomey C et al (2020) Effectiveness of a tailored, integrative Internet intervention (deprexis) for depression: Updated meta-analysis. PLoS ONE 15. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0228100
  • Diemer J, Zwanzger P (2019) Die Entwicklung virtueller Realität als Expositionsverfahren. Nervenarzt 90:715–723. https://doi.org/10.1007/s00115-019-0678-6

DGPPN-Experte: Prof. Dr. Peter Zwanzger

Prof. Dr. Peter Zwanzger ist Mitglied des DGPPN-Vorstands und leitet das Referat „Digitale Psychotherapie“. Er ist Ärztlicher Direktor des kbo-Inn-Salzach-Klinikums Wasserburg am Inn und leitet an der LMU München den Forschungsbereich Angst.


Stand: November 2023

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