02.11.2018 | Stellungnahme

TSVG: Zum Gesetzesentwurf für schnellere Termine und bessere Versorgung

Der Entwurf der Bundesregierung für ein Terminservice- und Versorgungsgesetz hat den zeitnahen und gleichwertigen Zugang zur ambulanten ärztlichen Versorgung zum Ziel. In einem Sofortprogramm sollen auch die vertragsärztlichen Leistungen für Menschen mit psychischen Erkrankungen verbessert werden. Während die DGPPN die Zielsetzung der Reform unterstützt, bestehen doch erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der avisierten gesetzlichen Änderungen. Aus Sicht der Fachgesellschaft fehlt es insbesondere an einer überzeugenden sektorenübergreifenden Strategie für die Versorgung von Menschen mit (schweren) psychischen Erkrankungen, auf welche diese wie keine andere Patientengruppe angewiesen sind.

Im Folgenden nimmt die DGPPN Stellung zu einzelnen Artikeln des Gesetzesentwurfs. 

Artikel 1

Zu Nummer 43 (§ 87 SGB V)

Zu Buchstabe c

Überprüfung und Aktualisierung des einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) zur Förderung der „sprechenden Medizin“

Die DGPPN unterstützt eine Überprüfung und Aktualisierung des EBM zu Gunsten der „sprechenden Medizin“ ausdrücklich. Das ärztliche Gespräch wird von allen ärztlichen Leistungen am schlechtesten vergütet, obwohl es gerade bei Patienten mit psychischen Erkrankungen notwendiges Diagnosemittel und wichtigster Wirkfaktor ist. Das psychiatrische Gespräch impliziert immer sowohl medizinische als auch psychotherapeutische Elemente und hebt sich somit von einem ärztlichen Gespräch anderer Fachrichtungen ab, bei denen das Gespräch der Erläuterung der Behandlungselemente dient. Der hier angestoßene Paradigmenwechsel ist ein positives Signal für Psychiater sowie für die betroffenen Menschen. 

Zu Nummer 51 (§ 92 SGB V)

Regelungen für eine gestufte und gesteuerte psychotherapeutische Versorgung

Lange Wartezeiten, Fehlallokationen und Benachteiligung von schwer psychisch Erkrankten bei der Suche nach Diagnostik und Therapie sind Gründe, die für eine Reform der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankung sprechen. Aus diesem Grund unterstützt die DGPPN die Problemanalyse, die dem Gesetzesentwurf zugrunde liegt, kritisiert jedoch die Beschränkung auf den Anwendungsbereich der Psychotherapie-Richtlinie. Da bei der Diagnose und Behandlung von psychischen Erkrankungen sowohl medizinische, sozialtherapeutische als auch psychotherapeutische Aspekte berücksichtigt werden müssen, sollte vielmehr der gesamte Versorgungsbereich für Patienten mit psychischen Erkrankungen in ein gestuftes und vernetztes Versorgungssystem einbezogen werden.

Gerade Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen benötigen Hilfen aus verschiedenen Sektoren und Sozialgesetzesbüchern – neben der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung im ambulanten und/oder stationären Setting sind dies insbesondere Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation und sozialen Teilhabe. Eine abgestimmte und vernetzte Versorgung aller an der Behandlung Beteiligten muss verbindlich festgeschrieben werden. Dazu gehören neben Behandlungsangeboten des ambulanten vertragsärztlichen und des stationären Versorgungsbereiches auch Rehabilitations- und Teilhabeleistungen. Reformmaßnahmen sollten Vernetzung und Steuerung der Versorgung ermöglichen und sich nicht ausschließlich auf den Bereich der Richtlinien-Psychotherapie begrenzen. Behandlungen nach der Psychotherapie-Richtlinie stellen nur einen Ausschnitt des Versorgungs- und Hilfesystems dar.

Gefordert wird stattdessen die Einführung von regionalen Versorgungsnetzen, welche verbindliche Regeln zur sektorenübergreifenden Vernetzung der Leistungserbringer einerseits und Steuerung der Patientenwege andererseits beinhalten. Eine Stellschraube ist dabei die Erweiterung der ambulanten Versorgungsmöglichkeiten im vertragsärztlichen Bereich. Die DGPPN hat kürzlich ein Modell für eine gestufte und vernetzte Versorgung veröffentlicht (DGPPN-Standpunkte), welches kompatibel ist mit dem aktuellen Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hinsichtlich einer sektorenübergreifenden Versorgung. Im Rahmen des Innovationsfonds werden zurzeit mehrere solcher Versorgungsnetze gefördert und erprobt.

Zu Nummer 55 (§ 103)

Zu Buchstabe a

Befristete Aufhebung der Zulassungsbeschränkung für Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie 

Eine kurzfristige und bis zur Einführung der neuen Bedarfsplanungsrichtlinie befristete Aufhebung der Zulassungsbeschränkungen für die Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie ist aus Sicht der Fachgesellschaft nur dann zielführend, wenn sie insbesondere auf Niederlassung in strukturschwachen und unterversorgten Gebieten abzielte. Die avisierte Anpassung des § 103 Abs. 1 SGB V wird allerdings mutmaßlich zu einer Niederlassungswelle in den ohnehin gut versorgten Städten führen. Damit würde sich die bestehende Versorgungsungerechtigkeit weiter verschärfen. Zudem wäre für eine Öffnung der Zulassungsbeschränkung eine zusätzliche, extrabudgetäre Finanzierung erforderlich. Anderenfalls verschlechterte sich die ohnehin geringe Honorierung der erbrachten Leistungen aller niedergelassenen Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie sowie der Fachärzte für Nervenheilkunde und Neurologie, welche in einer Bedarfsplanungsgruppe und in einer Vergütungsgruppe der Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder zusammengefasst werden. Praxen könnten nicht mehr wirtschaftlich geführt werden. 

An Stelle einer übereilten gesetzgeberischen Regelung, welche in dieser Form nicht geeignet erscheint, die bestehende Fehlversorgung im vertragsärztlichen Bereich zu beheben, plädiert die DGPPN zuallererst für eine gründliche Überarbeitung der Bedarfsplanungsrichtlinie. Diese sollte epidemiologische, morbiditätsbezogene und sektorenübergreifende Daten einbeziehen, um die Versorgungsituation insgesamt und auch den bislang ungedeckten Bedarf zu berücksichtigen. Basierend auf Versorgungsdaten aus allen Sektoren sollte die Bedarfsplanungskategorie der Nervenärzte in separate Gruppen der Fachärzte für Nervenheilkunde, Fachärzte für Neurologie und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie aufgetrennt werden, da diese jeweils sehr unterschiedliche Patientengruppen versorgen. Dies wird auch im aktuellen Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen gefordert. 

 

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