05.02.2016 | Pressemitteilung

Verschreibung von Arzneimitteln auf Cannabisbasis

Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit für ein Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften

Das Bundesministerium für Gesundheit hat einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der dazu dienen soll, „die Verkehrsfähigkeit und die Verschreibungsfähigkeit von weiteren Arzneimitteln auf Cannabisbasis (dazu gehören z. B. Medizinalhanf, das heißt getrocknete Cannabisblüten sowie Cannabisextrakte in pharmazeutischer Qualität) herzustellen, um dadurch bei fehlenden Therapiealternativen bestimmten, insbesondere schwerwiegend chronisch erkrankten Patientinnen und Patienten nach entsprechender Indikationsstellung in kontrollierter pharmazeutischer Qualität durch Abgabe in Apotheken den Zugang zur therapeutischen Anwendung zu ermöglichen“.

Für eine Bewertung des Gesetzesentwurfs ist aus Sicht der DGPPN dringend zu unterscheiden, ob es sich um die kontrollierte Nutzbarmachung einzelner isolierter Substanzen der Hanfpflanze im Sinne cannabinol- oder cannabidiolbasierter Medikamente (z. B. Nabinol, Dronabinol) oder um die Verfügbarmachung des Medizinalhanfs in Form getrockneter Cannabisblüten handelt.

Es besteht aus Sicht der DGPPN derzeit keine wissenschaftlich erkennbare Notwendigkeit, die Verschreibungsfähigkeit von Medizinalhanf in Form getrockneter Cannabisblüten herzustellen. Dies wird wie folgt begründet:

1. Cannabisblüten bestehen aus bis zu 400 Substanzen (darunter mindestens 80 Phytocannabinoide). Dies lässt keine genaue Dosierung der Wirkstoffe von Cannabis und damit keine Kontrolle der Wirkungen und Nebenwirkungen zu. Gleichzeitig gibt es aufgrund der begrenzten Standardisierbarkeit der Dosierung keine oder nur geringe Evidenz für die medizinische Wirksamkeit der einzelnen Wirkstoffe. Bei immungeschwächten Patienten besteht die Gefahr von Infekten durch opportunistische Keime (Ruchlemer et al., 2015). Darüber hinaus berichten aktuelle Studien von allergenen Wirkungen von Cannabisblüten (Armentia et al., 2011). Bei Intoxikationen durch Cannabis gibt es kein Gegengift/Antagonisten (Fitzgerald et al., 2013). Jeder zehnte Cannabiskonsument entwickelt eine behandlungsbedürftige Abhängigkeitserkrankung. Cannabis ist momentan der häufigste Anlass für eine erstmalige Drogentherapie (DGPPN, 2015). Wird Cannabis geraucht, bestehen gut beschriebene Risiken für verschiedene somatische Erkrankungen, wie z. B. Lungenkrebs oder psychische Störungen (DGPPN, 2015).

2. Die Angaben des Gesetzestextes zu Indikation und Indikationsstellung (Begründung, Allgemeiner Teil, Seite 10; Artikel 1, zu Nummer 4, Seite 17; Artikel 1, zu Nummer 4, Seite 17; Artikel 3, zu Nummer 2,Seite 18) sind ungenau:

  • Welche anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft lassen die Anwendung zulässig und geboten erscheinen, da keine von der AWMF anerkannten Leitlinien für den Einsatz von Cannabis als Medizin vorliegen?
  • Welche Bewertungskriterien (z. B. Art, Dauer) liegen den vorausgegangenen Therapieversuchen zugrunde?
  • Wem obliegt die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Verschreibung durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte? Wie soll die eingenommene Cannabisblütenmenge überprüft werden?
  • Für den Fall, dass die Voraussetzungen für die im Referentenentwurf genannten Voraussetzungen zu Artikel 4 (Änderungen des SGB V) nicht erfüllt werden, sind die gesetzlichen Krankenkassen nicht verpflichtet, die Kosten für eine Behandlung mit Arzneimitteln auf Cannabisbasis zu übernehmen. Würden für diesen Fall erleichterte Bedingungen für die Verschreibungsfähigkeit auf Selbstkostenbasis bestehen?
  • Es bleibt unklar, was als „schwerwiegende chronische Erkrankung“ bezeichnet wird. Ein Zeitkriterium, z. B. zwölf Monate, erscheint im Einzelfall nicht immer sinnvoll (z. B. bei Palliativpatienten).

3. Die Vorgaben zur Begleitforschung, welche eine Verpflichtung von Patienteninnen und Patienten zur Teilnahme vorsehen, scheinen weder aus juristischer noch aus ethischer Sicht haltbar zu sein.

4. Die Weitergabe von Marihuana für medizinische Zwecke an Jugendliche ist ein kaum beherrschbares Problem. Es ist bekannt, dass der Konsum von Cannabis besonders für Adoleszente vielfache Risiken birgt (DGPPN, 2015). Unter den Jugendlichen in medizinischer Erstversorgung (primary care) in den USA berichten 18 Prozent, Marihuana von einer (erwachsenen) Person mit einer Lizenz für medizinischen Cannabisgebrauch zu beziehen (Thurstone et al., 2013). 74 Prozent der Jugendlichen in Suchttherapie geben dort an, im Mittel mehr als 50 Mal Cannabisprodukte von Personen mit einer Lizenz für medizinischen Cannabisgebrauch bezogen zu haben (Salomonsen-Sautel et al., 2012).

5. Die wesentlichen medizinisch wirksamen Komponenten von Cannabis sind in Deutschland in Form von Medikamenten verfügbar und können von Ärzten auf Betäubungsmittelrezept verschrieben werden, z. B. das aus Cannabis extrahierte chemisch definierte Tetrahydrocannabinol (THC, Dronabinol®) oder das synthetische THC (Nabilon®) sowie Sativex® Spray (Dickextrakt aus Cannabisblättern und -blüten mit 27mg THC und 25mg Cannabidiol). Letzteres ist zur Behandlung mittelschwerer und schwerer Spastik aufgrund einer Multiplen Sklerose zugelassen. Es wäre aus Sicht der DGPPN wünschenswert, diese Präparate nach erfolgreicher medizinisch-wissenschaftlicher Prüfung und Validierung hinsichtlich ihrer Indikationen in der Form von Tabletten, Tropfen oder Spray in die GKV-Leistungspflicht aufzunehmen. Cannabidiol (CBD) werden anxiolytische, antipsychotische, entzündungshemmende, antiemetische und neuroprotektive Wirkungen zugeschrieben. Es wäre daher zu begrüßen, wenn andere aus Cannabis stammende Wirkstoffe, z. B. Cannabidiol oder Cannabidol, hinsichtlich eines medizinischen Einsatzes geprüft würden. Zum jetzigen Zeitpunkt liegen allerdings nur wenige Therapiestudien von hoher methodischer Qualität vor, in denen Cannabinoide und Cannabisarzneimittel im kontrollierten Vergleich gegenüber etablierten Arzneimitteln oder Placebos bei verschiedenen Indikationen getestet wurden.

Für die DGPPN

Dr. I. Hauth, Präsidentin der DGPPN

Prof. Dr. U. Havemann-Reinecke, Leiterin des DGPPN-Referats „Abhängigkeitserkrankungen“

Prof. Dr. A. Batra, stellv. Leiter des DGPPN-Referats „Abhängigkeitserkrankungen“

Prof. Dr. U. Bonnet, DGPPN-Referat „Abhängigkeitserkrankungen“

Dr. H. Fleischmann, DGPPN-Referat „Abhängigkeitserkrankungen“

Dipl. Psych. G. Gerlinger M.A., DGPPN-Geschäftsstelle

Prof. Dr. Dr. A. Heinz, Beisitzer Suchtmedizin im DGPPN-Vorstand

Dr. E. Hoch, DGPPN-Referat „Abhängigkeitserkrankungen“

Prof. Dr. F. Kiefer, DGPPN-Referat „Abhängigkeitserkrankungen“

Prof. Dr. U. Preuss, DGPPN-Referat „Abhängigkeitserkrankungen“

Prof. Dr. N. Scherbaum, DGPPN-Referat „Abhängigkeitserkrankungen“

Prof. Dr. R. Thomasius, DGPPN-Referat „Abhängigkeitserkrankungen“

Prof. Dr. N. Wodarz, 2. stellv. Leiter DGPPN-Referat „Abhängigkeitserkrankungen“

Literatur

Positionspapier der DGPPN „Zur Legalisierungsdebatte des nichtmedizinischen Cannabiskonsums“ vom 7. Dezember 2015 (http://www.dgppn.de/presse/pressemitteilungen/detailansicht/article//dgppn-positi.html)

Armentia A et al (2011) Allergic hypersensitivity to cannabis in patients with allergy and illicit drug users. Allergol Immunopathol 39(5):271-279

Fitzgerald KT, Bronstein AC, Newquist KL (2013) Marijuana poisoning. Top Companion Anim Med 28(1):8-12

Ruchlemer R et al (2015) Inhaled medicinal cannabis and the immunocompromised patient. Support Care Cancer 23(3):819-822

Thurstone C et al (2013) Diversion of medical marijuana: when sharing is not a virtue. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 52(6):653-654

Salomonsen-Sautel S et al (2012) Medical marijuana use among adolescents in substance abuse treatment. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 51(7):694-702

zum Download der Stellungnahme

KOntakt

Bei Fragen sind wir für Sie da.

DGPPN-Geschäftsstelle 
Reinhardtstraße 29 I 10117 Berlin

T +49 30 2404 772-0
sekretariat@dgppn.de
  
Zum Kontaktformular