Kinder, die mit einem psychisch kranken oder suchterkrankten Elternteil aufwachsen, sind besonders gefährdet, selbst eine psychische Erkrankung zu entwickeln. In Deutschland sind etwa vier Millionen Kinder betroffen. Sie tragen ein erhöhtes genetisches Risiko, zudem sind die Eltern aufgrund ihrer Erkrankung stärkerem Stress ausgesetzt und in ihrem Erleben und Verhalten beeinträchtigt. Für die Kinder kann das gravierende Konsequenzen haben.
PD Dr. Rieke Oelkers-Ax
Leiterin des DGPPN-Referats Frauen- und Männergesundheit und Familienpsychiatrie und -psychotherapie:
„Vier Millionen Kinder in Deutschland leben mit einem oder auch mehreren Elternteilen mit einer psychischen Erkrankung oder einer Suchterkrankung. Ihr Alltag unterscheidet sich oft gravierend von dem anderer Kinder: Sie müssen schon früh viel Verantwortung übernehmen – oft zu früh und zu viel. Häufig leiden sie unter der Belastung der Eltern und vernachlässigen darüber die eigene Entwicklung. In der Beziehung entwickeln sich vielfach „Teufelskreise“, die Interaktion entgleist. Denn gegenüber den Menschen, denen wir am nächsten stehen, sind wir am verletzlichsten. Über diese chronisch entgleisten Interaktionen wird die Erkrankung an die Kinder weitergegeben. Wenn die Familien keine Unterstützung bekommen, erkranken 40 % bis 75 % der Kinder im Laufe ihres Lebens selbst. Damit ist eine psychische Erkrankung der Eltern der vielleicht wichtigste Risikofaktor, den wir kennen.
Zum Glück gibt es gute Konzepte, um betroffene Familien wirksam und nachhaltig zu unterstützen: von niederschwelligen und eher präventiv orientierten Angeboten wie offenen Gruppen für Kinder, Eltern oder die ganze Familie bis hin zu integrierten komplexen Eltern-Kind-Therapien, die die Interaktion in der Familie in den Fokus nehmen. Meist handelt es sich bei diesen Angeboten jedoch um Projekte, die nicht dauerhaft finanziert oder in der Fläche angekommen sind. Häufig scheitern sie an den unterschiedlichen Zuständigkeiten und uneinheitlichen Finanzierungsmöglichkeiten im streng nach Sektoren getrennten Versorgungssystem in Deutschland. So vergeben wir viele Möglichkeiten, den Familien früh und wirksam zu helfen.
Im Sommer hat der Bundestag über einen Antrag an die Bundesregierung beraten, der die Situation der Risikogruppe Kinder psychisch kranker Eltern deutlich verbessern soll: Die Bundestagsfraktionen von SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP fordern darin unter anderem, dass weitere Eltern-Kind-Therapieplätze geschaffen werden – und zwar für alle Altersgruppen und alle Behandlungs-Settings. Besonders wichtig: Das Angebot muss vom Bedarf der Familien ausgehend geplant und finanziert werden.
Damit Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Jugendhilfe und Beratungseinrichtungen koordinierter und effektiver zusammenarbeiten können, muss zudem die Vernetzung der verschiedenen Unterstützer über die Sektoren- und (SGB-) Zuständigkeiten hinweg verbessert werden. Dafür müssen die Vernetzungsstrukturen ausgebaut werden. Unbedingt muss auch der durch die Vernetzungsarbeit entstehende Mehraufwand für die Behandelnden finanziert werden.
Das DGPPN-Referat Frauen- und Männergesundheit und Familienpsychiatrie und -psychotherapie steht gemeinsam mit anderen Verbänden in engem Austausch mit der Politik und unterstützt nachdrücklich die Forderungen des Antrags.
Denn nur durch den bedarfsorientierten Ausbau der Angebote und eine bessere Vernetzung und Finanzierung können wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass betroffene Familien die nötige und für sie passende Unterstützung finden und so dafür sorgen, dass Kinder, die mit einem psychisch kranken oder suchterkrankten Elternteil aufwachsen, nicht selbst psychisch erkranken.“
DGPPN-Expertin: PD Dr. Rieke Oelkers-Ax
Die Leiterin des DGPPN-Referats Frauen- und Männergesundheit und Familienpsychiatrie und -psychotherapie leitet das Familientherapeutische Zentrum Neckargemünd gGmbH und engagiert sich in der Arbeitsgruppe Kinder psychisch und suchtkranker Eltern.
Stand: November 2024
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