Cannabisbezogene Störungen

Cannabis birgt erhebliche Risiken, insbesondere bei regelmäßigem und übermäßigem Konsum. Cannabisbezogene Störungen, darunter auch Abhängigkeiten, treten häufiger auf als viele glauben. Die DGPPN fordert deshalb mehr Aufklärung, aussagekräftige Forschung und eine bessere Ausstattung der Beratungs- und Behandlungseinrichtungen. Evidenzbasierte Empfehlungen für Diagnostik und Therapie der cannabisbezogenen Störungen werden im kommenden Jahr in einer neuen S3-Behandlungsleitlinie veröffentlicht.

Prof. Dr. Ursula Havemann-Reinecke
Leiterin des DGPPN-Referats Abhängigkeitserkrankungen:

„10 % der regelmäßigen Cannabiskonsumentinnen und  -konsumenten entwickeln eine cannabisbezogene psychische Störung, die zu sozialen, beruflichen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen kann. Wenn der Cannabiskonsum in der Adoleszenz beginnt, liegt diese Rate bei 17 % und bei 25 % bis 50 %, wenn Cannabis täglich konsumiert wird. 50 % bis 90 % aller cannabisabhängigen Personen entwickeln im Laufe ihres Lebens eine weitere psychische Störung.

Unter die cannabisbezogenen Störungen fallen insbesondere das Cannabisabhängigkeitssyndrom und das Cannabisentzugssyndrom. Zudem ist chronischer Konsum mit kognitiven Einschränkungen, Angstzuständen, Depressionen und einer erhöhten Gefahr psychotischer Störungen verbunden, besonders bei genetisch oder psychisch vorbelasteten Personen und psychosozialem Stress. Junge Menschen sind besonders gefährdet, da ihr Gehirn noch in der Entwicklung ist. Regelmäßiger Konsum kann hier das Risiko für bleibende Veränderungen in der Gehirnstruktur erhöhen, was sich negativ auf Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Impulskontrolle auswirkt.

Wegen dieser Gefahren sehen wir die Legalisierung von Cannabis weiterhin sehr kritisch. Durch die Legalisierung und die sie begleitende Diskussion wurde der Eindruck vermittelt, Cannabis sei eine harmlose Substanz. Auch aktuelle Kampagnen für den Einsatz von medizinischem Cannabis vermitteln diesen Eindruck.

Gerade wird die neue S3-Leitlinie Behandlung Cannabisbezogener Störungen finalisiert, die DGPPN, die Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht) und die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) gemeinsam herausgeben. Darin werden die aktuellen Empfehlungen zur Behandlung zusammengefasst.

Zur Reduktion eines Cannabiskonsums werden motivierende Interventionen, kognitive Verhaltenstherapie (CBT) sowie zusätzlich abstinenzorientiertes Kontingenzmanagement empfohlen. CBT hilft Betroffenen, den Zusammenhang zwischen ihrem Konsum und den negativen Folgen zu erkennen, alternative Verhaltensweisen zu entwickeln und langfristig abstinent zu bleiben. Auch internetbasierte Beratungs- und Therapieangebote werden empfohlen.

Eine medikamentöse Behandlung von Cannabisbezogenen Störungen kommt nur symptombezogen und „off label“ in Frage, denn es gibt zur Behandlung aktuell keine zugelassenen Medikamente, weder in Deutschland noch weltweit. So gibt es z. B. auch kein zugelassenes Medikament zur Minderung von Cannabisentzugssymptomen, zu denen auch Depressivität und Panikattacken gehören können, die auch mehrere Wochen bestehen können. Ein gängiges antriebssteigerndes Antidepressivum zeigte sich generell ohne Effekt auf Entzugssymptome. Es führte sogar eher zu vermehrtem Konsum. Auch für SSRIs und weitere Antidepressiva konnte bisher keine Wirksamkeit auf Abstinenz oder Konsumreduktion gezeigt werden. Die Abhängigkeit kann also die Behandlung von komorbiden Erkrankungen erschweren.

Auch für die Behandlung des schwerwiegenden Cannabis-Hyperemesis-Syndroms – wiederkehrenden Episoden von schwerer Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen aufgrund einer chronischen THC-Intoxikation – gibt es aktuell keine Medikation. Die einzige Therapie-Empfehlung, die wir machen können, ist die Abstinenz. Weitere Forschung ist dringend notwendig.

Ein entscheidender Aspekt einer erfolgreichen Behandlung ist die Entstigmatisierung. Viele Betroffene schämen sich, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, und zögern deshalb zu lange. Es ist daher wichtig, deutlich zu machen, dass cannabisbezogene Störungen ernstzunehmende Erkrankungen sind, für die es Behandlungsmöglichkeiten gibt – wenngleich noch viele Fragen offen sind und Forschung vonnöten ist."

Kongressveranstaltungen zum Thema
  • Mi. 12:00 Uhr, Lecture Oliver Pogarell: Medizinisches Cannabis hat keinen guten Ruf – zu Recht?
  • Do. 08:30 Uhr, Symposium: Aktuelle Themen der Suchtmedizin (Saal A2)
  • Do. 10:15 Uhr, Symposium: Cannabinoide in der psychiatrischen Therapie – quo vadis? (Saal A4)
Literatur
  • Cannabis-Legalisierung: Prävention und Jugendschutz sind nicht verhandelbar | DGPPN-Positionspapier | 29.03.2022 | dgppn.de
  • Hasan et al (2020). Cannabis use and psychosis: a review of reviews. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 270(4):403–412
  • Havemann-Reinecke U (2018) Zur Legalisierungsdebatte von Cannabis zum Freizeitkonsum und in der Medizin aus biologischer, pharmakologischer und psychiatrischer Sicht. Blutalkohol. 55(1)Sup I:19–29
  • Havemann-Reinecke U et al (2017). Zur Legalisierungsdebatte des nichtmedizinischen Cannabiskonsums. DGPPN-Positionspapier. Nervenarzt 88:291–298
  • Hoch et al. (2015) Cannabis: Risiken bei nichtmedizinischem Gebrauch. Medizin studieren 26–28
  • Bonnet U et al. (2022) Cannabis-Related Cyclic/Episodic Hyperemesis Conditions: From Suspected to Definitive Cannabinoid Hyperemesis Syndrome. Med Princ Pract 31(5):497–498

 

DGPPN-Expertin: Prof. Dr. Ursula Havemann-Reinecke

Die Leiterin des DGPPN-Referats Abhängigkeitserkrankungen ist als Senior Scientist an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen tätig. Sie ist für die DGPPN an der Erarbeitung der S3-Leitlinie Behandlung Cannabisbezogener Störungen beteiligt.


Stand: November 2024

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