Immer mehr Menschen suchen wegen psychischer Beschwerden eine psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung. Der Versorgungsdruck in psychiatrischen Kliniken und Fachabteilungen steigt. Um eine gute, am Bedarf der Patientinnen und Patienten ausgerichtete Behandlung jetzt und in Zukunft sicherzustellen, sind tiefgreifende Reformen der Versorgungsstrukturen erforderlich. Die medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft DGPPN hat Positionen erarbeitet, die gewährleisten sollen, dass Patientinnen und Patienten auch in Zeiten von Fachkräftemangel und demografischem Wandel die Behandlungen erhalten, die sie benötigen.
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„Die psychiatrische Versorgung muss sich weiterentwickeln, um nachhaltig sein zu können“, stellt Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) fest. „Eine gestiegene Nachfrage nach Behandlungen, der demografische Wandel, der Mangel an Fachkräften – in unseren Kliniken herrscht ein enormer Versorgungsdruck, eine sehr starke Leistungsverdichtung. Deshalb haben wir Empfehlungen für die Weiterentwicklung der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung mit den Mitteln des Krankenhauses erarbeitet. Sie sind konkret und sollten noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden.“ Ein Bündnis aus Klinik- und Berufsverbänden, Fachgesellschaften und Betroffenenverbänden unterstützt die Empfehlungen.
Grundlage der Reformempfehlungen der DGPPN ist die Weiterentwicklung der regionalen Versorgungverpflichtung der psychiatrischen Kliniken und Fachabteilungen. Die damit einhergehende Krisen- und Notfallversorgung soll bundesweit einheitlich definiert werden. Jede Klinik übernimmt für die Population ihres Versorgungsgebiets umfassend Verantwortung, wobei die Größe der Versorgungsgebiete variieren kann. Zusätzlich gilt es, dafür Sorge zu tragen, dass Krankenhausstrukturen, die nicht an der regionalen Versorgungsverpflichtung teilnehmen und (Personal-)Ressourcen entziehen, nicht weiter ausgebaut werden.
Eine gute Versorgung durch psychiatrisch-psychotherapeutische Krankenhäuser und Fachabteilungen orientiert sich am Bedarf der Patientinnen und Patienten. Je nach Art, Schwere und Dauer der Erkrankung sind Maßnahmen in unterschiedlichen Behandlungs-Settings angezeigt: stationär, in der Tagesklinik, ambulant oder auch aufsuchend zu Hause. Mit der derzeitigen Finanzierungsstruktur ist es den Kliniken nicht ausreichend möglich, flexibel auf den individuellen Bedarf von Patientinnen und Patienten zu reagieren. Die Einführung von Globalbudgets, die setting-übergreifende Behandlungen ermöglichen und flexibel den jeweiligen Behandlungsbedarf aufgreifen können, würde hier Abhilfe schaffen. Patientinnen und Patienten könnten dann flexibel, bedarfsorientiert und in verschiedenen Settings behandelt werden.
DGPPN-Präsident Andreas Meyer-Lindenberg erläutert: „Die regionale Versorgungsverpflichtung und die Finanzierung durch Globalbudgets schaffen wesentliche Rahmenbedingungen, die sich in Modellprojekten als erfolgreich erwiesen haben. Wenn wir zudem sicherstellen, dass das Versorgungssystem leicht zugänglich ist, und wir eine bessere Steuerung in ärztlicher Verantwortung ermöglichen, dann könnten Fachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie Patientinnen und Patienten zeitnah und gestuft mit den jeweils erforderlichen Maßnahmen behandeln.“
Um den Versorgungsdruck für psychiatrische Kliniken und Fachabteilungen zu verringern, spricht sich die DGPPN in ihren jetzt veröffentlichten Empfehlungen zudem für eine Stärkung der Prävention psychischer Erkrankungen durch den Aufbau von niedrigschwelligen Angeboten aus. Dabei sollten insbesondere auch junge Menschen mit ersten psychischen Beschwerden unterstützt werden. Auch die Rehabilitation und Teilhabe sollte wohnortnah und flexibel verbessert werden.
„Wenn wir bundesweit eine gute und bedarfsorientierte Behandlung ermöglichen und für die Zukunft sichern wollen“, stellt DGPPN-Präsident Andreas Meyer-Lindenberg klar, „müssen Reformen unbedingt noch in dieser Legislaturperiode angegangen werden. Mit unseren Empfehlungen möchten wir gemeinsam mit unseren Unterstützern aus Klinik- und Berufsverbänden, Fachgesellschaften und Betroffenenverbänden, die öffentliche Debatte darüber voranbringen.“