27.11.2024 | Pressemitteilung

Psychische Gesundheit in Krisenzeiten: DGPPN Kongress eröffnet in Berlin

Vom 27. bis 30. November 2024 steht Berlin im Zeichen der psychischen Gesundheit. Das Neueste aus der psychiatrischen Forschung, aktuelle Praxisberichte, angeregte Diskussionen und die wichtigsten Köpfe der deutschen Psychiatrie und Psychotherapie: Ab heute widmen sich mehr als 9000 Teilnehmende aus Psychiatrie, Psychotherapie, Pflege und Pharmakologie dem Thema „Psychische Gesundheit in Krisenzeiten“.

Krisen und Konflikte prägen in außergewöhnlichem Maße unsere gegenwärtige Situation. Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, sozioökonomische Verwerfungen durch den Anstieg der Lebenshaltungskosten, kriegerische Auseinandersetzungen in einem in Europa seit Jahrzehnten nicht gesehenen Ausmaß und die immer deutlicher sichtbaren Folgen des Klimawandels verstärken sich gegenseitig. Inmitten dieser komplexen Herausforderungen sind es oft die Menschen mit psychischen Erkrankungen, die besonders stark betroffen sind.

„Der diesjährige DGPPN Kongress soll sichtbar machen, dass Psychiatrie und Psychotherapie wesentlich zum Verständnis und zur Bewältigung und von Krisen beitragen können“, erläutert DGPPN-Präsident Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg. „Die Prävention und Behandlung von Krisen ist eine Kernkompetenz der Psychiatrie.“ Eine Vielzahl von Veranstaltungen beschäftigt sich auf dem Kongress mit dem Thema: Es gibt Ratschläge für die Psychotherapie in Zeiten andauernder Krisen, einen detaillierten Blick auf die Bedrohung psychischer Gesundheit durch die Klimakrise und es wird über Psyche, Stress und Demokratie und die Aussichten für eine krisengeschüttelte Gesellschaft diskutiert.

Mit mehr als 550 Veranstaltungen – Symposien, Workshops, Lectures und Diskussionsforen – widmet sich der Kongress nicht nur dem Thema Krise, sondern allen aktuellen Themen der Psychiatrie: Von ADHS bis Zwangsstörungen, vom Absetzen von Medikamenten bis zur Vermeidung von Zwangsmaßnahmen bietet der DGPPN Kongress neuestes Wissen aus Forschung und Praxis.

Mit den DGPPN-Preisen werden zudem besonders herausragende Leistungen auf dem Gebiet der psychischen Gesundheit ausgezeichnet. Dieses Jahr wurde auch die Wilhelm-Griesinger-Medaille der DGPPN verliehen. Für besondere Verdienste rund um die Psychiatrie und Psychotherapie erhält sie Prof. Dr. Mathias Berger. Er hat sich maßgeblich an der Etablierung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie und an der Einführung der evidenzbasierten Medizin in diesem Fach beteiligt und so zu einer deutlichen Verbesserung der Versorgung psychisch erkrankter Menschen beigetragen. Er ist Mitbegründer der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT) und Gründer sowie langjähriger Vorstandsvorsitzender des Freiburger Bündnisses gegen Depression. Der ehemalige Präsident der DGPPN (2003-2004) engagiert sich weiterhin im Beirat der DGPPN und ist Ehrenmitglied der Fachgesellschaft.

Erstmalig findet auf dem DGPPN Kongress dieses Jahr zudem der „Mental Health Hackathon“ statt. Am 28. und 29. November werden 100 Teilnehmende in drei „Challenges“ Lösungsansätze für aktuelle Probleme der psychiatrischen Versorgung und der Aus- und Weiterbildung erarbeiten. Die Ideen werden am Freitag um 17:15 Uhr vorgestellt und die besten mit Preisen in Höhe von insgesamt 10.000 Euro ausgezeichnet.

Der DGPPN Kongress läuft noch bis Samstag, den 30. November im CityCube Berlin. Mit mehr als 550 Veranstaltungen insgesamt, 1500 aktiv Beteiligten und mehr als 9000 Teilnehmenden aus Psychiatrie, Psychotherapie, der Pflege und den Spezialtherapien sowie Betroffenen, Angehörigen und weiteren Interessierten, ist der DGPPN Kongress auch 2024 wieder das größte Fachtreffen auf dem Gebiet der psychischen Gesundheit im deutschsprachigen Raum.

Der Kongress findet auch in diesem Jahr mit digitaler Ergänzung statt: Zentrale Veranstaltungen werden per Livestream übertragen und stehen im Anschluss an den Kongress als On-Demand-Angebot bereit.

 

Statements

Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, Präsident der DGPPN, über psychische Gesundheit in Krisenzeiten:

„Wir leben in einer Zeit der Krisen und Konflikte, die sich wechselseitig verstärken. Das macht die psychische Gesundheit zu einem der wichtigsten Güter der Bevölkerung, das wir durch Prävention und Behandlung schützen müssen. Dafür muss auch das Versorgungssystem Anpassungen erfahren: Psychische Gesundheit muss besser in die allgemeine Gesundheitsversorgung integriert werden und der Prävention muss ein höherer Stellenwert beigemessen werden. Um Psychiatrie und Psychotherapie krisenfest zu machen, muss auch das System selbst anpassungsfähiger und flexibler werden. Als DGPPN haben wir konkrete Vorschläge für eine Verbesserung der Versorgung erarbeitet. Die Forschung und Weiterbildung muss besser finanziert werden. Wir werden uns gegenüber der Politik weiter dafür einsetzen, dass auch und gerade in Zeiten der Polykrise der psychischen Gesundheit der Bevölkerung politische Priorität eingeräumt wird. Nur so kann gewährleistet werden, dass alle Betroffenen die psychiatrisch-psychotherapeutische Unterstützung bekommen, die sie benötigen.“

 

Prof. Dr. Sabine C. Herpertz, Ärztliche Direktorin der Klinik für Allgemeine Psychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg erläutert, wie das Wissen der Psychiatrie helfen kann zu verstehen, was gesellschaftliche Krisen mit Menschen machen:

„Psychische Krisen bedeuten den Verlust des seelischen Gleichgewichts, den ein Mensch erlebt, wenn er mit Ereignissen und Lebensumständen konfrontiert wird, die er im Augenblick nicht hinreichend bewältigen kann. Psychische Krisen treten dann auf, wenn die aktuellen Lebensumstände in Art und Ausmaß die durch frühere Erfahrungen erworbenen Fertigkeiten zur Erreichung wichtiger Lebensziele oder Bewältigung der Lebenssituation überfordern. Typische Anlässe sind Lebensveränderungen wie der Tod eines nahen Menschen, eine Erkrankung, Trennung oder Arbeitsplatzverlust, sowie Katastrophen und Verlusterfahrungen oder narzisstische Krisen, die den eigenen Selbstwert erschüttern. Hinter den intensiven Emotionen in Krisen liegen oft verletzte psychische Grundbedürfnisse wie das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit, nach Orientierung/Kontrolle, nach Wertschätzung und innerpsychischer Konsistenz/Autonomie. Sie werden entweder zum Ausgangspunkt für psychische Erkrankungen oder ihre Bewältigung führt zu einer positiven Kehrtwendung.

Derzeit steht die Gesellschaft insgesamt unter dem Eindruck globaler Krisen. Das Wissen der Psychiatrie über die Entstehung von psychischen Krisen kann helfen zu verstehen, was gesellschaftliche Krisen mit den Menschen machen. Es stellen sich Fragen wie: Fühle ich mich noch mit dieser Welt verbunden, mit den anderen Menschen, so wie ich sie erlebe, mit der Natur, mit einem Gesellschaftsmodell? Habe ich das Gefühl, ich kann etwas bewirken – in meiner Partnerschaft, in meiner Familie, an meinem Arbeitsplatz, in der Gesellschaft? Erfahre ich Wertschätzung oder droht mir Abstieg? Schöpfe ich Sinn, ein Gefühl von Freiheit und Einzigartigkeit aus Herausforderungen? Globale Ereignisse können mit persönlichen Ereignissen in verzweigte Wechselwirkungen treten. Für die Begleitung von Menschen in akuten psychosozialen Krisen hat das unterschiedliche Implikationen und führt zu einem gestiegenen Bedarf an Unterstützung.

Psychiatrische Hilfe in Krisen muss zeitnah und bedarfsorientiert zugänglich sein und ist auch dann zu garantieren, wenn die Betroffenen selbst noch keine Vorstellung davon haben, wie sie aus der Krise herausfinden können. Hilfe in Krisen erfordert eine hohe Flexibilität und Responsivität von professionellen Helfenden. Zentral ist eine vertrauensvolle, tragende therapeutische Be­ziehung bei gleichzeitiger Aktivierung eigener Ressourcen der Betroffenen. In der Psychiatrie sind Krisen ubiquitär und Krisenbewältigung zählt zu ihren Kernkompetenzen.“

 

Prof. Dr. Meryam Schouler-Ocak, Leiterin des DGPPN-Referats für Interkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie, Migration, über die psychische Gesundheit geflüchteter Menschen in Deutschland:

„Deutschland ist ein Einwanderungsland. Knapp 30 % der Bevölkerung haben eine Migrations- oder Fluchtgeschichte; sie waren vor, während und nach der Migration zahlreichen Belastungs- und Risikofaktoren ausgesetzt. Auch nach der Ankunft in Deutschland werden die Belastungen nicht unbedingt weniger, mitunter kommen weitere hinzu: Trennung von der Familie, unsicherer Aufenthaltsstatus, soziale Exklusion, fehlende soziale Unterstützung, Erfahrung von Diskriminierung und Rassismus. Besonders belastet sind Menschen, die in Sammelunterkünften in zum Teil prekären Zuständen untergebracht sind: gemeinsam mit fremden Menschen, nur durch Vorhänge voneinander getrennt, ohne Trennung der Geschlechter. Sie müssen hier oftmals ohne Privatsphäre, ohne Rückzugsmöglichkeiten und ohne Tagesstruktur leben. Diese Umstände sind nicht nur nicht heilsam, sondern sie tragen dazu bei, dass sich Depressionen, Angststörungen oder Trauma-Folgestörungen entwickeln oder verschlimmern. Zudem ist der Zugang zum Gesundheitssystem für psychisch erkrankte Geflüchtete schwierig. Seit das Asylbewerberleistungsgesetz Anfang des Jahres angepasst wurde, hat sich das Problem verschärft: Geflüchtete – auch solche, die traumatisiert sind – müssen nun 36 Monate auf reguläre medizinische und somit auch psychiatrische Behandlungen warten. Das ist ein aus fachlicher Perspektive unhaltbarer Zustand. Denn, wenn Betroffene nicht adäquat behandelt werden, besteht die Gefahr der Chronifizierung und chronifizierte Erkrankungen sind im Verlauf schlechter behandelbar. Das erhöht nicht nur das Leid der Betroffenen, sondern beeinträchtigt auch deren Integrationsfähigkeit. Das kann und sollte sich Deutschland nicht leisten.“

 

Prof. Dr. Michèle Wessa, die am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg forscht, über Resilienz und wie sie gerade in Krisenzeiten helfen kann:

„Die aktuellen und andauernde Krisen der letzten Jahre stellen eine große Herausforderung für die psychische Gesundheit der Menschen dar. In diesem Zusammenhang verstehen wir Resilienz als gelungene Anpassung an sich verändernde Umstände in solchen Krisen mit dem Ergebnis, trotz starker Belastungen psychisch gesund zu bleiben. Dies macht auch deutlich, dass Resilienz nicht als statische Eigenschaft, sondern als dynamischer Prozess zu verstehen ist. Das heißt, Resilienz ist veränderbar und wir können sie fördern. Nicht im Sinne einer Selbstoptimierung, sondern um sich präventiv auf persönliche oder globale gesellschaftliche Krisen vorzubereiten, um diese und die hierdurch entstehende Stressbelastung besser bewältigen zu können und gesund zu bleiben. Zahlreiche Studien zeigen, dass es einem großen Teil der Menschen tatsächlich gelingt, Krisen zu bewältigen und zu überwinden. Für die Forschung gilt es deshalb, psychologische und neurobiologische Mechanismen zu identifizieren, die Menschen in die Lage versetzen, sich gut anzupassen, um basierend auf diesen Erkenntnissen geeignete Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Einige vielversprechende Resilienzmechanismen konnten bereits identifiziert werden: darunter eine flexible Emotionsregulation, soziale Unterstützung, Akzeptanz und eine optimistische Denkweise. Neuere Forschungsergebnisse weisen auch darauf hin, dass die wahrgenommene Kontrollierbarkeit schwieriger Situationen ein bedeutsamer Resilienzmechanismus sein könnte. Das heißt, die Bewertung der Kontrollierbarkeit einer Situation aber auch meiner eigenen Handlungsmöglichkeiten spielt eine wichtige Rolle und könnte auch in Präventionsmaßnahmen entsprechend adressiert werden.“

Weitere Informationen

 

Bilder zum Download

DGPPN Kongress 2024 (c) Claudia Burger

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