Was tun, wenn Menschen sich aufgrund einer schweren Erkrankung akut gefährden, aber eine hilfreiche medizinische Behandlung ablehnen? Der Deutsche Ethikrat diskutiert an diesem Donnerstag in einer öffentlichen Anhörung die ethischen und rechtlichen Implikationen des Selbstbestimmungsrechts in der Patientenversorgung. Die DGPPN begrüßt und unterstützt diesen Schritt, weil es eines breiten und kontinuierlichen gesellschaftlichen Diskurses bedarf, ob und wann sich die Medizin über den Willen von Patienten hinwegsetzen darf.
Jeder Mensch hat das verbriefte Recht, über seine Lebensführung selbst zu bestimmen – gerade auch in Bezug auf seine Gesundheit. Die freie, selbstbestimmte Entscheidung ist eine Grundvoraussetzung für eine legitime medizinische Behandlung. Doch schwere Erkrankungen können diese Selbstbestimmungsfähigkeit so stark beeinträchtigen, dass Patienten zeitweise nicht mehr in der Lage sind, die für ihre Behandlung erforderlichen Entscheidungen selbstbestimmt zu treffen.
„In diesen Situationen geraten wir Ärzte und alle an der Patientenversorgung beteiligten Berufsgruppen in ein schwieriges und auch belastendes Dilemma: Sollen wir eine krankheitsbedingte Behandlungsverweigerung akzeptieren und damit riskieren, dass Patienten schwer zu Schaden kommen oder sich das Leben nehmen? Oder sollen wir sie in diesen bestimmten Situationen gegen ihren Willen behandeln? Auch wenn solche Zwangsbehandlungen den Patienten nutzen können, wirken sie sich unter Umständen traumatisierend auf sie aus oder beeinträchtigen das therapeutische Verhältnis zum Arzt“, gibt DGPPN-Präsident Professor Arno Deister aus Itzehoe zu bedenken. Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet die Medizin in ganz besonderer Weise zum Schutz der Autonomie der Patienten. Gleichzeitig schreibt sie aber auch fest, dass niemand nur deshalb nicht behandelt werden darf, weil er aktuell krankheitsbedingt eine Behandlung nicht zulässt.
„Diese ethischen und rechtlichen Überlegungen sind gerade für Menschen mit psychischen Erkrankungen zentral. Umso bedeutsamer ist es, dass wir sie in der Gesellschaft breit diskutieren und immer wieder neu bewerten. Dass sich der Deutsche Ethikrat jetzt in einer öffentlichen Anhörung damit befasst und eine Stellungnahme veröffentlichen will, ist aus unserer Sicht ein wichtiges Zeichen. Richtigerweise muss die Debatte dabei die gesamte Medizin und auch den Bereich der Heimversorgung und der Behindertenhilfe einschließen. Eine Vielzahl von Erkrankungen und Behinderungen können die Selbstbestimmunsgfähigkeit beeinträchtigen und damit die Frage einer Behandlung gegen der Patientenwillen aufwerfen“, so DGPPN-Vorstandsmitglied Professor Thomas Pollmächer aus Ingolstadt, der in der Fachgesellschaft die Arbeitsgruppe zu diesem Thema leitet.
Die DGPPN beteiligt sich seit vielen Jahren an diesem öffentlichen Diskurs. 2014 hat sie eine Stellungnahme zu ethischen Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie veröffentlicht und Empfehlungen für die Praxis formuliert, mit denen sich Zwangsmaßnahmen reduzieren lassen – u. a. durch Deeskalationsmaßnahmen, Kommunikationskompetenz, klinische Ethikberatung, Behandlungsvereinbarungen und Patientenverfügungen – oder wie sich diese im Falle der Unvermeidbarkeit ethisch und rechtlich angemessen durchführen lassen. Aktuell wird eine wissenschaftliche S3-Leitlinie zur Vermeidung von Zwangsmaßnahmen erarbeitet. „Die Vermeidung von Zwang setzt eine hohe Strukturqualität voraus. Im Bereich der Psychiatrie bedeutet dies ganz besonders hochqualifiziertes Personal, das über genügend Zeit verfügt, um sich um die Patienten zu kümmern. Hier ist die Politik gefordert, sie muss die Rahmenbedingungen schaffen, welche die Autonomie von Menschen mit psychischen Erkrankungen unterstützt und deren umfängliche Partizipation an medizinischen Entscheidungen sicherstellt“, fordert Professor Arno Deister.