12.10.2017 | Pressemitteilung

Die Gewinner des DGPPN-Preises für Philosophie und Ethik 2017

Der mit 6.000 Euro dotierte DGPPN-Preis für Philosophie und Ethik in Psychiatrie und Psychotherapie geht in diesem Jahr an zwei Preisträger, die in ihren Arbeiten ganz besondere Herausforderungen des Fachgebietes herausgestellt haben. Gleichzeitig vergibt die Jury einen Anerkennungspreis für eine Nachwuchswissenschaftlerin. Insgesamt waren 32 Bewerbungen eingegangen.

Alle drei Arbeiten sind nach Auffassung der interdisziplinär besetzten Jury herausragend. „Ihnen ist gemein, dass ihre Lektüre nicht ganz bequem und ihre Argumentation scharf und teilweise provokant ist. Sie stellen sich aus Sicht der Jury jeweils besonderen Herausforderungen unseres Faches – sei es die Grenzen des Handelns, die Identität des Faches oder die Genderthematik betreffend“, sagt Jury-Vorsitzender Professor Martin Heinze. Der DGPPN-Preis für Philosophie und Ethik in Psychiatrie und Psychotherapie wird von der Fachgesellschaft in Verbindung mit der Stiftung für Seelische Gesundheit und dem Bonner Institut für Wissenschaft und Ethik vergeben. Das Preisgeld beträgt insgesamt 6.000 Euro. Die beiden Hauptpreisträger erhalten jeweils 2.500 Euro, die Nachwuchswissenschaftlerin 1.000 Euro.

Der Beitrag „Neurosurgery for Psychopaths? An Ethical Analysis“ von Dietmar Hübner und Lucie White vom Institut für Philosoph der Leibniz Universität Hannover greift ein Thema auf, das bislang in psychiatrischen und ethischen Fachdiskussionen vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Es geht um die Frage, ob neurochirurgische Eingriffe an inhaftierten Psychopathen zu therapeutischen oder experimentellen Zwecken ethisch gerechtfertigt sein können. Die Arbeit zeigt, dass der Umgang mit Psychopathie erhebliche ethische Probleme aufwirft, für die etablierte Lösungsansätze aus dem Bereich der Ethik der Psychiatrie nicht greifen. Der Beitrag ist daher sowohl thematisch originell als auch von großer gesellschaftlicher Relevanz. Die argumentative Durchführung erfolgt auf höchstem analytischem Niveau. Mit dem medizinischen Nutzen einerseits und der informierten Einwilligung andererseits werden zentrale Prinzipien der Medizinethik herangezogen. In vorbildlicher Klarheit legt der Beitrag dar, warum diese Prinzipien im vorliegenden Fall nicht greifen. Er besticht dabei nicht nur durch die Stringenz der Argumentation, sondern ebenso durch eine überaus kluge Kontrastierung mit anderen Fallkonstellationen. Abschließend wird skizziert, dass das erzielte Ergebnis auch für andere Problemlagen aus dem Bereich der Ethik der Psychiatrie relevant sein könnte. Der Beitrag ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie ethische Analysen helfen können bei schwierigen Fragen aus dem Bereich der Psychiatrie normative Orientierung zu geben.

Der Beitrag „Gibt es psychische Störungen?“ von Markus R. Pawelzik von der EOS-Klinik für Psychotherapie Münster konstatiert, dass es natürlich psychische Störungen in einem individuell therapiewürdigen Sinne gibt. Er stellt aber die rhetorisch provokante Frage, ob es sie auch im Sinne eines bestimmten paradigmatischen Modells biologischer Marker gibt. Lässt sich für jedes bestimmte Syndrom aus Symptomen, wie es in der Klassifikation psychischer Störungen angegeben wird, ein neurobiologisch zu markierender Kausalmechanismus entdecken und für die Therapie ausnutzen? Bei neurologischen Störungen ist dies der Fall, lässt sich dieser Fall auf die Familie psychischer Störungen übertragen? Das lebensweltlich-alltägliche Normativ, an dem gemessen Abweichungen als psychische Störungen auffallen, unterstellt eine Plastizität und Variabilität im menschlichen Verhalten. Eine bestimmte Struktur kann an der Realisierung verschiedener Funktionen beteiligt sein, eine bestimmte Funktion durch verschiedene Strukturen realisiert werden. Mit diesem Prinzip harmoniere auf der Emergenzebene des Gehirns dessen Konnektivität und die Einsicht, dass das Gehirn ein Sozialorgan darstelle. Die psychischen Störungen können dann einerseits als lebensgeschichtlich singulär (und damit weniger als typisch im Sinne des biologischen Markers) verstanden werden, andererseits ähneln sie einander in der Überlappung der Symptome aus verschiedenen Syndromen. Dadurch ändere sich die Aufgabe der Erklärung, d. h. die Relation zwischen dem Erklärungsbedürftigen (explanandum) und dem Erklärenden (explanans).

Der Beitrag von Isabella Marcinski, einer Promovierenden am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin, beschäftigt sich mit „Phänomenologischen Perspektiven in der Philosophie der Psychiatrie: Essstörungen und die Thematisierung von Sozialität“. Das Thema ist sowohl in der psychiatrischen Forschung als auch in der Philosophie eher randständig. Über die Themensetzung im engeren Sinne hinaus, nimmt sich der Text nicht weniger vor, als Grundlagen für eine feministische Phänomenologie zu schaffen und fragt dabei, wie sich phänomenologische Perspektiven an sozialkonstruktivistische Ansätze anschließen lassen. Die Lebenswelt sei als eine soziale und politische zu denken: „In der phänomenologisch orientierten Psychiatrie wird Sozialität lediglich im Rahmen von Intersubjektivität zum Thema, während es vielmehr darum ginge, auch nach gesellschaftlichen Machtverhältnissen, Diskursen und Normen zu fragen." Die Autorin schreibt klar und verständlich; sie überzeugt durch stringente Argumentationslinien. Die Darstellung der phänomenologischen Perspektiven in Vergangenheit und Gegenwart besticht durch Sorgfalt und Anschaulichkeit. Eine Begrenztheit bisheriger Beiträge zum subjektiven leiblichen Erleben der Betroffenen wird deutlich gemacht, indem die Autorin Leerstellen aufzeigt, die sich dort auftun, wo die Einordnung in den soziokulturellen Kontext fehlt, und auf die besondere Erfahrungsqualität Betroffener eingeht. Die Autorin schlägt weiterhin vor, die Phänomenologie als „Genealogie“ zu verstehen, die zeige, wie gesellschaftliche Normen Teil unserer leiblichen Erfahrungen werden.

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