Berliner Zentraldienststelle Tiergartenstraße 4

Seit April 1940 residierte die „Zentraldienststelle T4“ als organisierende Behörde des Krankenmordes in der „arisierten“ Villa der Familie Liebermann in der Berliner Tiergartenstraße 4. Das Gebäude, das sich auf dem heutigen Vorplatz der Berliner Philharmonie befand, wurde im Krieg zerstört. Heute erinnert vor Ort eine Stele an die „Aktion T4“.

Brief von Matthias Liebermann, Nachkomme der ehemaligen Eigentümer der Villa 

Das Gebäude der Philharmonie in Berlin, gelegen in der Tiergartenstraße 4, ließ auf mich als Kind schon beim ersten Anblick in den späten 1970er Jahren im geteilten Berlin einen zwiespältigen Eindruck zurück.

Einerseits ist es die Spielstätte der Berliner Philharmoniker. Der Architekt Scharoun verfolgte mit dem Bau des Gebäudes den Stil des freien ungeometrischen Stils. Für mich ist dieses Gebäude unverrückbar Bestandteil des heutigen Berlins.

Andererseits mag es bei latent emphatischer Betrachtung anmuten, dass hinter der Geschichte dieser Fläche, wie vielen Flächen in Berlin Mitte, eine andere Geschichte steht.

Dem ist auch so:
Erworben wurde dieses Grundstück von meinem Urgroßvater, dem Textil-Industriellen Georg Liebermann, der sich im Berliner Tiergarten ein besonderes Wohnhaus rückwärtig zum Potsdamer Platz errichten ließ. Es war sehr prächtig in der Ausgestaltung, es wirkte beim Anblick wilhelminisch und streng.

Georg bewohnte dieses Haus mit seiner Frau Else, der Schwester der Ehefrau von Max Liebermanns Martha. Else war im Gegensatz zu ihrem Mann für eine extrem bescheidene Lebensführung bekannt.

Das Hausgrundstück war aus Sicht der Familie übertrieben, seiner eigenen Ehefrau Else, Schwägerin Max Liebermanns, war das Haus unangenehm und viel zu auffällig. Nach Georg Liebermann Tod 1926 erbten das Gebäude meine Großtante, Eva Köbener, sowie mein Großvater, Prof. Dr. Hans Liebermann.

Da das "Prachtgebäude" für normale Wohnzwecke vollkommen ungeeignet war, wurde dieses an zweimal an Personen vermietet, die dafür  600 RM im Monat Miete zahlten. Während des NS-Regimes, nach der Machtergreifung durch NS-Behörden, wurde das Gebäude quasi beschlagnahmt. Anfangs war dort, nach der Erinnerung meines Vaters ein Sitz der SA. Verschiedene NS-Behörden bevölkerten anschließend den Prachtbau Tiergartenstraße 4 mit über 20 Zimmern, wofür meine Großmutter Clara Liebermann eine monatliche Miete von 600 Reichsmark erhielt. Circa 1941 wurde in diesem jüdischen Besitz die berüchtigte, so genannte „Aktion T4“ ins Leben gerufen, bei der es sich um die organisierte, raffiniert betriebene Ermordung von ca. 300.000 Psychiatriepatienten und Kranken handelte, die seinerzeit als unangepasst und lebensunwert bezeichnet wurden.

Das Hausgrundstück Tiergartenstraße 4 wurde im Krieg endgültig durch die Nationalsozialisten enteignet. Meine Großmutter erhielt als Erbin quasi als Äquivalent dafür ein Haus in Berlin-Steglitz in der Schlossstraße überschrieben, das ebenfalls aus jüdischem Besitz stammte und nach dem Krieg zu Recht dem ehemaligen Besitzer zugesprochen wurde. Eine finanzielle Entschädigung wurde der Familie Liebermann für den Verlust des Grundstücks Tiergartenstraße 4 nach dem Krieg gewährt. 

Meinen Vater hat es immer besonders erschüttert, dass die T4 Aktion ihren Ursprung in seinem eigenen mit ererbten Haus ihren Ursprung nahm. Die T4 Aktion hat er immer auf Schärfste verurteilt und sich gefragt, warum so etwas durch Ärzte überhaupt initiiert werden konnte. In seiner langen Tätigkeit als Neurologe und Psychiater hat er hierzu keine finale Antwort gefunden.

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Prof. Dr. med. Dr. rer. soc. Frank Schneider

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