Das RECOVER-Modell ist ein sektorenübergreifendes regionales Versorgungsmodell für Menschen mit psychischen Störungen, welches verbindliche Regeln zur Koordination und Steuerung der Hilfsangebote einerseits und der Patientenwege andererseits umfasst. Es deckt so den individuellen Hilfebedarf passgenau ab. Obwohl das Modell den Nachweis erbracht hat, dass es wirksam und kosteneffizient ist, hat der G-BA keine Empfehlung für die Übernahme in die Regelversorgung ausgesprochen. Die Ablehnung wird nicht begründet und ist auch in keiner Weise nachvollziehbar. So droht eine sinnvolle Versorgungsinnovation an der inneren Logik des sektoralen Gesundheitssystems zu scheitern. Leidtragende sind die Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen.
Häufig finden Menschen mit akuten Symptomen einer psychischen Erkrankung, in Krisen oder mit chronischen Verläufen nicht die für sie individuell passende Hilfe oder scheitern an den Schnittstellen zwischen den verschiedenen ambulanten und stationären Angeboten, was zur Verzögerung und zu Abbrüchen einer sachgerechten Behandlung und Betreuung führt. Insbesondere für Patienten, die an einer schweren und komplexen psychischen Erkrankung leiden, ist das gegenwärtige fragmentierte ambulante und stationäre Versorgungssystem nicht überschaubar und mit erheblichen Barrieren versehen. Im Resultat stehen insbesondere den Patienten mit größerem Bedarf weniger Hilfsangebote zur Verfügung, was neben großem Leid für die Betroffenen und Angehörigen auch zu hohen direkten und indirekten Kosten durch Wiederaufnahmen und Rückfälle, lange Arbeitsunfähigkeitszeiten sowie viele Frühberentungen führt.
Es ist daher notwendig, die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen unter der Bedingung begrenzter ökonomischer Ressourcen und einer steigenden Inanspruchnahme psychiatrischer Leistungen am Bedarf und an den Bedürfnissen der Betroffenen und Angehö-rigen auszurichten und evidenzbasiert umzusetzen. Nur ein gestuftes Vorgehen innerhalb eines vernetzten Hilfesystems kann dies leisten. Das beinhaltet die Koordination und Steue-rung der Hilfsangebote einerseits und der Patientenwege andererseits. Gestufte und ver-netzte Versorgungsmodelle gehen vom Bedarf des Patienten aus und bieten gezielte Ent-scheidungsunterstützung durch Leitlinien und Versorgungspfade, bei denen die verschiede-nen Therapieangebote strukturiert und koordiniert durch eine verbindliche und effektive Aufgabenteilung der verschiedenen Leistungserbringer definiert werden. Als Ergänzung der Versorgung können bei geeigneten Patientengruppen zusätzlich internetbasierte Therapie-formen eingesetzt werden.
Das RECOVER-Projekt hat mit Förderung durch den Innovationsfonds ein schweregradge-stuftes, integriertes, koordiniertes und evidenzbasiertes Behandlungsverfahren für Men-schen mit schweren psychischen Erkrankungen umgesetzt. In einer groß angelegten Studie wurde der Beweis erbracht, dass eine solche gestufte sektorenübergreifende Versorgungs-form kosteneffizient umgesetzt werden kann und wirksam ist:
Diese sehr beachtlichen Ergebnisse wurden erzielt, obwohl ein wesentlicher Teil des Projekts zeitlich mit der Corona-Pandemie zusammenfiel. Diese hatte im gesamten Gesundheitswe-sen zu beispiellosen und extrem kurzfristigen Umstrukturierungsmaßnahmen auf der einen und einer erheblichen Veränderung der Inanspruchnahme des Gesundheitswesens vonseiten der Bevölkerung auf der anderen Seite geführt. Betrachtet man diejenigen Patienten im Projekt, die vor Beginn der Pandemie in die Behandlung aufgenommen waren, so zeigen sich hinsichtlich der Effektivität weitere signifikante Ergebnisse zugunsten des RECOVER-Modells. Dies lässt die begründete Annahme zu, dass das RECOVER-Modell unter normalen Bedingungen insgesamt noch bessere Ergebnisse erreichen könnte.
Bei diesen Ergebnissen ist es geradezu verblüffend, dass der G-BA keine Empfehlung für die Übernahme in die Regelversorgung ausspricht und dies auch nicht näher begründet. Die alleinige Empfehlung, die Ergebnisse des Projekts intern weiterzuleiten, damit sie ggf. in der Überarbeitung des KSVPsych-RL berücksichtigt werden, ist nicht überzeugend, und sie er-scheint nicht zielführend, was die Erreichung der eingangs beschriebenen Ziele angeht. Eine Überführung einzelner Bestandteile des RECOVER-Modells in die KSVPsych-RL wird absehbar schwierig sein, da es sich um stark differente Ansätze mit unterschiedlichen Grundlagen handelt. Zwar liegt das Ergebnis des NPPV-Projekts (welches eine der KSVPsych-RL ähnliche Struktur hat) noch nicht final vor, bisherige Evaluationen des IGES-Instituts können jedoch keine uneingeschränkte Empfehlung nahelegen. Sie kommen u. a. zu dem Ergebnis, dass die Leistungsausgaben durch die GKV in weiten Teilen sogar höher ausfallen als in der Regelver-sorgung – dies steht im diametralen Widerspruch zu den Ergebnissen des RECOVER-Projekts. Zudem konnte das RECOVER-Modell bereits erfolgreich in einer anderen Region aufgebaut und umgesetzt werden.
Die Entscheidung des Innovationsausschusses ist vor dem Hintergrund der Notwendigkeit einer schweregradgestuften, koordinierten und vernetzen Versorgung für schwer psychisch erkrankte Menschen und der gelieferten Evidenzen nicht nachvollziehbar. Sie steht auch im Widerspruch zur uneingeschränkten Empfehlung der externen unabhängigen Evaluatoren. Die DGPPN rät dringend, das RECOVER-Projekt unter Berücksichtigung der geschilderten Aspekte neu zu bewerten.