Cannabiskonsum birgt insbesondere für junge Menschen erhebliche Gesundheitsrisiken. Eine Entkriminalisierung muss daher umfassende Maßnahmen im Bereich Prävention und Behandlung, Jugendschutz sowie Begleitforschung beinhalten. Insgesamt kommt die DGPPN zu der Einschätzung, dass die diesbezüglich im Gesetzentwurf formulierten Maßnahmen bei Weitem nicht ausreichend sind. Solange diese Aspekte nicht angemessen adressiert werden, wird zu befürchten sein, dass das Gesetz zu einer Verschlechterung der Gesundheit Jugendlicher führen kann.
Cannabis ist die am weitesten verbreitete illegale Droge in Deutschland. Vier von zehn jungen Erwachsenen (15–24 Jahre) haben bereits Cannabis konsumiert – Tendenz steigend [1]. Der Anteil der täglich oder fast täglich Konsumierenden unter denen, die in den vergangenen zwölf Monaten Cannabis konsumiert haben, ist in jüngster Zeit in Deutschland angestiegen. Lag der Anteil der unter 18- bis 59-Jährigen seit 1995 relativ stabil und im Jahr 2018 noch bei 9,5 %, stieg dieser im Jahr 2021 auf 15,7 % an [2]. Zudem zeigen Analysen von Daten des Statistischen Bundesamts einen deutlichen kontinuierlichen Anstieg der Diagnosen des schädlichen Gebrauchs und der Abhängigkeit von Cannabis sowie von Cannabispsychosen im Zeitraum von 2000 bis 2018 [3]. Regelmäßiger Cannabisgebrauch ist mit verschiedenen psychischen, körperlichen und sozialen Risiken verbunden [4].
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob eine Legalisierung von Cannabis zu einer Zunahme des Konsums und konsumbezogener Störungen und Komplikationen führen kann. Im letzten Jahrzehnt wurde Cannabisgebrauch zu Rauschzwecken in den USA, Uruguay, Kanada, Georgien und Thailand legalisiert. Dies erfolgte mit jeweils unterschiedlichen gesundheitspolitischen Zielen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Die Effekte der geänderten Gesetze und Rahmenbedingungen wurden insbesondere in den USA und in Kanada wissenschaftlich evaluiert. Aktuelle Übersichtsarbeiten [5–8] zeigen, dass die Verfügbarkeit von Cannabis nach einer Legalisierung in Abhängigkeit von den Rahmenbedingungen mehr oder weniger schnell ansteigen kann. Hinsichtlich der befürchteten Zunahme von Konsum, Konsumstörungen und gesundheitlichen Komplikationen sind die Literaturergebnisse uneinheitlich, wobei die Effekte der Legalisierung von den unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen abhängig sein dürften und somit variieren können. Zudem bauen sich die Effekte mit dem unterschiedlich schnellen Wachstum der legalen Cannabismärkte nach und nach auf, sodass sie sich möglicherweise noch nicht überall vollständig zeigen. Trotz mancher Widersprüche zeichnet sich in der Gesamtschau ein Bild ab, wonach eine Legalisierung mit einer Latenz zu einer Zunahme des Konsums in der Bevölkerung führt, sowie zu einer Zunahme des Konsums bei schwangeren Frauen, einer Zunahme von (akzidentellen) Intoxikationen bei Kindern, einer Zunahme von Fahrten und Unfällen unter Cannabiseinfluss sowie schließlich einer Zunahme von Psychosen zumindest in Subgruppen der Bevölkerung [9, 10, 6].
Die oben genannten Gesundheitsrisiken müssen bei der Entwicklung eines neuen Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis dringend berücksichtigt werden. Dafür sind aus Sicht der DGPPN umfangreiche Maßnahmen zur Reduktion des gestiegenen Cannabiskonsums und Verhinderung des weiteren Anstiegs durch die Entkriminalisierung in Form von Prävention, Jugendschutz, zielgruppenspezifische Beratungs- und Behandlungsangebote sowie Begleitforschung notwendig. Diese sind im vorliegenden Entwurf als unzureichend zu bewerten.
Eine Altersgrenze deutlich über 18 erscheint auch sinnvoll, da in den letzten Jahren epigenetische Effekte von THC und anderen Cannabinoiden in der Adoleszenz fortdauernd bis in das Erwachsenenalter gefunden werden konnten [23]. Epigenetische Effekte z. B. nach Konsum von THC in der Adoleszenz können zu einer Hirnreifungsstörung mit Auswirkungen auf kognitive Leistungen und zu einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von psychischen Erkrankungen führen sowie auf das Immunsystem wirken [24, 25].
Aus psychiatrischer und neurobiologischer Sicht und gegenwärtigem Stand des Wissens, sollte die Altersgrenze des Zugangs daher nicht unter 21 Jahren liegen. Selbst eine derartige Altersbegrenzung schließt über Cannabisrezeptoren vermittelte Folgeschäden auf das ausgereifte Gehirn nicht vollständig aus.
Dies ist im vorliegenden Gesetzentwurf nicht berücksichtigt. Dort heißt es, dass Personen ab 18 Jahren Cannabis besitzen und privat oder gemeinschaftlich zum Eigenkonsum anbauen und weitergeben dürfen (§ 2 Absatz 3). Das Gesetz sieht einzig die folgende Schutzmaßnahme für Heranwachsende vor: Cannabis mit einem höheren THC-Gehalt als 10 % darf von Anbauvereinigungen nicht an Heranwachsende (18–21-Jährige) weitergegeben werden (§ 15) und an 18–21-Jährige darf höchstens 30 Gramm Cannabis pro Monat weitergegeben werden (§ 19).
Diese Maßnahmen stellen aus Sicht der DGPPN keinen ausreichenden Schutz für Hirnschädigungen bei Heranwachsenden dar. Es bleibt unklar, wie die THC-Grenze für Heranwachsende kontrolliert werden soll, da die entsprechende Analyse aufwendig und teuer ist. Es ist zudem davon auszugehen, dass Konsumenten das legal erworbene Cannabis an jüngere Peers weiterreichen – bei 18-Jährigen entsprechend auch an Minderjährige. Schließlich erhöht die Regelung, wonach der Besitz von 3 Cannabispflanzen zum Erhalt von Eigenanbau-Cannabis in der Wohnung sowie die Abgabe von Cannabis in der Wohnung an über 18-Jährige erlaubt sind, die Verfügbarkeit von Cannabis deutlich und mindert einen Jugendschutz ebenfalls erheblich.
Die Strafbarkeit bei Weitergabe ist notwendig und sollte entsprechend Punkt 1.1 auf die Weitergabe an Personen unter 21 Jahren ausgedehnt werden.
Auch fehlt eine Gestaltung des Preisniveaus unter Beachtung der Auswirkungen auf Nachfrage und Wettbewerb mit dem illegalen Markt.
Zudem wird die Regelung zum Werbeverbot als nicht ausreichend gesehen. So soll direkte kommerzielle Werbung lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Dies erscheint zu schwach, insbesondere, wenn entgegen dem Verbot gewerbsmäßig Werbung betrieben wird.
Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass die Landesregierungen die Anzahl der Anbauvereinigungen auf eine je 6000 Einwohner begrenzen (§ 30) dürfen. Dies entspricht einem dichten Netz an Anbauvereinigungen, das geeignet wäre, die Verfügbarkeit und den Konsum in der Bevölkerung rasch und deutlich zu steigern [6]. Aus Sicht der DGPPN sollte eine stärkere Begrenzung vorgenommen werden.
Insbesondere der intensive Konsum hoher Cannabisdosen über viele Jahre hinweg und der Beginn des Cannabiskonsums im Jugendalter können kurzfristig mit Substanzabhängigkeit, spezifischen Entzugssymptomen, kognitiven Beeinträchtigungen, affektiven Störungen, Psychosen, Angststörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen und langfristig mit körperlichen Erkrankungen außerhalb des Gehirns (vor allem Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen) einhergehen. Die Literatur ist insgesamt nicht konsistent. Weitgehend konsistent sind die Hinweise auf die Bedeutung des Cannabiskonsums als Risikofaktor bei der Entstehung von Psychosen und kognitiven Beeinträchtigungen [26, 27]. Zudem stehen Cannabiskonsum und insbesondere der Beginn im Jugendalter in Zusammenhang mit einem erhöhten Suizidrisiko [28].
Daher müssen aus Sicht der Fachgesellschaft niedrigschwellige, kultursensible und flächendeckende (u. a. online) Beratungs- sowie Behandlungsangebote ausgebaut und etabliert werden.
Der Gesetzentwurf sieht diesbezüglich vor, dass das Jugendamt cannabiskonsumierenden Minderjährigen über die Sorgeberechtigen die Teilnahme an geeigneten Frühinterventionsprogrammen anbietet, in der diese lernen, ihren Umgang mit Cannabis zu reflektieren, gesundheitliche Risiken zu erkennen und von einem weiteren Konsum abzusehen (§ 7). Zur Stärkung der Prävention soll die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 1) eine digitale Plattform zur Information zur Wirkung und Risiken von Cannabis errichten, 2) ihr Angebot an cannabisspezifischen Präventionsmaßnahmen ausbauen, 3) ein strukturiertes, digitales zielgruppenspezifisches Beratungsangebot aufbauen und 4) Konsumenten hinsichtlich der Wirkung und den Risiken von Cannabis sowie zu den Möglichkeiten weitergehender Beratung und Hilfe beraten. Zudem sollen Anbauvereinigungen mit Suchtberatungsstellen vor Ort kooperieren (§ 23).
Diese Maßnahmen sind grundsätzlich sinnvoll und notwendig. Es fehlt jedoch der explizite Aus- und Aufbau wohnortnaher, evidenzbasierter Beratungs- und Hilfsangebote und die Finanzierung spezifischer Behandlungsangebote und des zusätzlichen Aufwands in den Suchtberatungsstellen sowie ärztlichen Praxen und Kliniken. Auch der Aspekt der Kultursensibilität von Beratungsangeboten sowie schulische Präventionsprogramme bleiben unberücksichtigt. Auch hinsichtlich der Gefahr von akuten Intoxikationen insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, sind flächendeckende Aufklärungskampagnen notwendig. Die steigende Zahl an Intoxikationen zeigt sich in allen Studien in den USA und Kanada. Cannabis ist schon heute der häufigste Anlass für einen Drogennotfall aufgrund von illegalen Substanzen bei unter 17-Jährigen.
In der Gesetzesbegründung zu §§ 7, 8 steht zwar, dass angestrebt wird, das Angebot an Frühinterventionsmaßnahmen auszubauen und dass die langfristige Finanzierung von Präventionsangeboten auch über die gesetzliche Krankenversicherung erfolgen kann. Die bloße Nennung und Ankündigung in der Gesetzesbegründung sind jedoch nicht ausreichend. Vielmehr müssen die Angebote jetzt bereits gesetzgeberisch ausgestaltet, finanziert und initiiert werden .
Dies sehen wir in dem Entwurf teilweise umgesetzt. Es fehlen jedoch Vorgaben zur Entwicklung von Präventionsprogrammen für Schulen, Berufsschulen und Hochschulen (die Prävalenz des Cannabisgebrauchs ist in der Altersgruppe der 18 bis 25-Jährigen am höchsten) sowie zielgruppenspezifische Angebote für Menschen mit psychischen Erkrankungen, vorbestehenden Suchterkrankungen oder familiärem Risiko für psychische Störungen.
Aus Sicht der DGPPN ist diese Summe bei weitem nicht ausreichend und der geplante Zeitraum von vier Jahren setzt einerseits zu spät an und ist zudem zu kurz. Die Begleitforschung sollte baldmöglichst beginnen, um den Status-Quo vor der Legalisierung zu erfassen und sie sollte die Veränderungen über mindestens 5, besser 10 Jahre nach der Legalisierung verfolgen.
Aus Sicht der DGPPN sind darüber hinaus eine umfassende Begleitforschung und Marktbeobachtungen insbesondere zu folgenden Aspekten geboten: